Vettel patzt: Webber übernimmt die WM-Spitze
Mark Webber holt sich nicht nur den Sieg von Ungarn, sondern auch die Gesamtführung - Fernando Alonso Zweiter vor Dominator Sebastian Vettel
(Motorsport-Total.com) - Er hob im Cockpit fragend und klagend die Hände, er lamentierte nach dem Rennen mit den Kommissaren und er zog auf dem Podest schließlich ein langes Gesicht - all dies bringt zum Ausdruck, was dem großen Favoriten Sebastian Vettel am Sonntag im Grand Prix von Ungarn passiert ist. Der Deutsche war bei herrlichen Bedingungen sofort in Führung gegangen, hatte dominiert, eine Strafe bekommen und das Rennen nur als Dritter beendet.
Für die gute Stimmung im Red-Bull-Lager sorgte Mark Webber, der mit seinem vierten Saisonsieg nicht nur den 100. Grand Prix des Teams krönte, sondern auch gleich die WM-Führung übernahm. Dabei hatte es zu Beginn überhaupt nicht nach einem Erfolg des Australiers ausgesehen. Beim Start hatte sich Fernando Alonso mit seinem Ferrari an Webber vorbei schieben können, auch Vettel wäre beinahe verdrängt worden.
Der Polemann rettete sich doch gerade eben noch als Erster in die erste Kurve. Danach war gegen den Heppenheimer kein Kraut gewachsen. Er eilte vorne mit riesigen Schritten davon, während sich Webber hinter Alonso einreihen musste und am Spanier nicht vorbeikam. Der Vorsprung von Vettel wuchs phasenweise auf 15 Sekunden an, aber dann kam die entscheidende Runde 15.
Safety-Car als Chaos-Auslöser
Vitantonio Liuzzi hatte einen Teil seines Force-India-Frontflügels auf der Ideallinie liegen lassen, das Safety-Car kam heraus. Alle Topleute eilten zum Stopp, auch Vettel erwischte gerade noch die Einfahrt zur Box. Webber verzichtete auf den Service, musste anschließend lange auf den weichen Pneus weiterfahren. Als nach nur drei Runden die Strecke wieder freigegeben wurde, machte Vettel den entscheidenden Fehler.
Der Deutsche ließ sich zu weit hinter seinen Teamkollegen zurückfallen, hielt sich nicht an den Maximalabstand hinter dem Führungsfahrzeug. "Ich dachte, es kommt noch eine Runde hinter dem Safety-Car", erklärt Vettel. Vorne konnte Webber ausreichend Platz herausfahren, um locker seinen Stopp absolvieren zu können. Dahinter hielt Vettel Alonso in Schach, um seinem Kollegen die nötige Luft zu verschaffen.
Gleichzeitig tagten die Rennkommissare und schauten sich die Szenen vor dem Restart an. Ergebnis: Durchfahrtsstrafe für Vettel - Siegträume geplatzt. Der Deutsche kam wütend in die Boxengasse, hob klagend und schimpfend die Hände. Er konnte sich nur noch auf Platz drei einreihen, kam später nicht mehr an Alonso vorbei. "Klare Sache, so etwas passiert. Es ist Racing", kommentiert Ferrari-Teamboss Stefano Domenicali.
Die Roten hatten mit einem Doppelsieg von Red Bull gerechnet und dürfen sich nun über die Plätze zwei und vier freuen. Felipe Massa fuhr hinter dem Führungstrio ein sehr unauffälliges Rennen. "Wir verlassen Ungarn mit einem Lächeln", so Domenicali glücklich. "Wir hatten eigentlich kaum Chancen gegen Red Bull, aber ich konnte Sebastian hinter mir halten", berichtet Alonso stolz.
Sutil Opfer von Renault-Panne
Nicht nur Vettel wurde ein indirektes Opfer der Safety-Car-Phase. Robert Kubica wurde von seiner Renault-Mannschaft schnell abgefertigt. Leider ließ man den Polen zu früh wieder losfahren. Adrian Sutil konnte nicht mehr ausweichen und krachte in den Renault - das Aus für den Deutschen. "Die haben mich wohl nicht gesehen, daher haben sie ihn einfach fahren lassen", erklärt Sutil enttäuscht. Für Kubica gab es anschließend eine Strafe, danach stellte auch der Pole seinen Wagen ab.
Auch bei Mercedes gab es große Sorgen in der Boxengasse. "Mein Mechaniker hat das eine Rad nicht richtig angezogen", erklärt Nico Rosberg, der am Ende der Boxengasse auf drei Rädern ausrollte. Der gebürtige Wiesbadener hatte den Fehler erst beim Herausfahren gemerkt. Durch das lose Rad wurde sogar noch ein Williams-Mechaniker getroffen, der verletzt abtransportiert werden musste. "Der war nach fünf Minuten wieder beim nächsten Boxenstopp, trotz angeknackster Rippe", sagt Rosberg, für den das Rennen beendet war.
Teamkollege Michael Schumacher stand gleich zweifach im Fokus. Auf der Runde in die Startaufstellung rutschte der Star von der Strecke. "Die Bremse zieht einseitig", so die Erklärung per Funk. Später fuhr Schumacher mit Bremsproblemen im Mittelfeld, ehe es später zum großen Showdown mit seinem Ex-Ferrari-Adjutanten Rubens Barrichello kam.
Der Brasilianer hatte spät gestoppt, wollte sich mit deutlich schnellerem Auto an Schumacher vorbei auf Platz zehn schieben und den letzten Punkt holen. Das gelang auch im dritten Versuch - aber wie! Schumacher drängte seinen Kontrahenten brutal auf der Start-Ziel-Geraden zur Seite, Barrichello verfehlte die Mauer nur um Millimeter. "Dass einer nach drei Jahren kommt und dann so etwas macht, das braucht kein Mensch", so der bissige Kommentar des aufgebrachten Williams-Piloten.
Schumacher mit brutalem Manöver
Die Rennkommissare wollen sich den Vorfall noch einmal genauer anschauen. Gut möglich, dass Schumacher nachträglich noch eine Strafe aufgebrummt bekommt. "Für meine Begriffe war genügend Platz. Ich wollte ihm das Leben so schwer wie möglich machen. Wir haben uns nicht berührt und Rubens ist vorbeigefahren", malt Schumacher ein deutlich harmloseres Bild von der Szene.
Hinter dem führenden Quartett bestehend aus Red Bull und Ferrari sorgte Vitaly Petrov für einen sensationellen Auftritt. Nach dem Kubica-Ausfall holte der Russe nicht nur die Renault-Kohlen aus dem Feuer, sondern er setzte sich mit Platz fünf eindrucksvoll in Szene - sein bestes Formel-1-Resultat bisher. Der Rookie ist nach scharfen Worten der Teamleitung nun regelrecht angestachelt und kämpft wie ein Löwe um seinen Job.
Es war auch der Tag des Rookies Nico Hülkenberg. Der Williams-Neuling hielt sich das gesamte Rennen im Schatten von Petrov und fuhr auf Platz sechs. Somit darf das britische Team wieder mal eine Zielankunft beider Autos in den Punkten feiern. Das gleiche gilt für Sauber. Pedro de la Rosa war stark wie zu seinen besten Zeiten. Der Spanier kontrollierte niemand geringeren als Weltmeister Jenson Button und holte Rang sieben.
Teamkollege Kamui Kobayashi zeigte einmal mehr sein großes, japanisches Kämpferherz. Der Sauber-Youngster schoss sich von Startplatz 23 schnell weiter nach vorne, überholte auf einer Strecke, die sonst kaum solche Aktionen zulässt und schnappte sich mit Platz neun den verdienten Lohn in Form von Punkten. Auch der Japaner hätte sich fast noch den amtierenden Champion im McLaren packen können.
McLaren erlebt schlechte Zeiten
Bei den Briten lief heute gar nichts. Zu Beginn des Rennens konnte zwar Lewis Hamilton halbwegs den Anschluss an den D-Zug von Red Bull und Ferrari halten, doch das Rennen war für den bisherigen WM-Leader schnell vorbei. Nach 23 Runden rollte der 25-Jährige mit seinem MP4-25 auf das Gras und musste den Wagen mit einem Defekt am Antrieb abstellen - vermutlich war das Getriebe schadhaft.
Teamkollege Button, der schon im Qualifying klar den Kürzeren gezogen hatte, blieb am gesamten Sonntag blass. Nicht einmal das Glück, direkt in der Runde von dem Safety-Car zum Service gekommen zu sein, zahlte sich im Ergebnis aus. McLaren ist geschlagen - und wie! Webber hat Hamilton die Führung in der Fahrerwertung abgeknöpft, Red Bull hat das Kommando bei den Konstrukteuren übernommen. Wenn McLaren in dieser Form aus der Sommerpause zurückkommt, dann geht bald gar nichts mehr.
Bei allen weiteren Mannschaften gab es am Sonntag kaum Überraschungen. Sébastien Buemi steuerte den Toro Rosso auf den soliden zwölften Rang, sein Teamkollege Jaime Alguersuari musste seinen Wagen nach einem Motorschaden früh abstellen. Liuzzi kam nach seinem Nasenwechsel auf Platz 13, dahinter holte Heikki Kovalainen die Krone der Piloten aus den neuen Teams vor Jarno Trulli. Timo Glock hatte nach seiner furiosen Runde vom Samstag zuerst einen schlechten Start und dann keine Chance gegen Lotus.
Auf dem Weg in die vierwöchige Sommerpause gibt es nun noch reichlich Diskussionsbedarf. Folgende Fragen gilt es schnellstens zu klären: Warum war Vettel nicht über den Restart informiert? Darf Schumacher sich im Zweikampf alles erlauben? Wer will Red Bull auf normalem Wege schlagen? Wie wollen McLaren, Mercedes und Co. aufholen, wenn die Fabriken geschlossen werden? Und dann gibt es noch die Debatte um flexible Frontflügel. Langweilig wird die nun folgende Sommerpause sicher nicht.