"Bullen-Kollision" ermöglicht McLaren-Doppelsieg!
Die Red Bulls kegeln sich gegenseitig vom mittleren Treppchen und überlassen dieses McLaren: Sieg für Lewis Hamilton vor Jenson Button
(Motorsport-Total.com) - Das siebte Rennen hat heute in Istanbul den fünften Sieger der Formel-1-Saison 2010 hervorgebracht - und das auf eine unglaublich dramatische Art und Weise: Lewis Hamilton gewann den Grand Prix der Türkei vor seinem McLaren-Teamkollegen Jenson Button. Dabei hatte es lange nach einem weiteren Doppelerfolg für Red Bull ausgesehen.
Doch in der 40. von 58 Runden kam es zum Drama bei den "Bullen", als Sebastian Vettel den führenden Mark Webber attackierte, sich neben ihn setzte - und die beiden kollidierten! Für Vettel war der Arbeitstag damit beendet, Webber rettete immerhin noch den dritten Platz ins Ziel und baute damit sogar seine WM-Führung aus. Bester Deutscher wurde Michael Schumacher (Mercedes), der als Vierter sein bestes Saisonergebnis von Barcelona wiederholen konnte.
Superstart von Vettel
Schon am Start war es bei leicht bewölktem Himmel und knapp 30 Grad turbulent losgegangen: Vettel traf den Kupplungspunkt am optimalsten und ging prompt an Hamilton vorbei, doch der Brite konnte ein paar Kurven später kontern und stellte die ursprüngliche Reihenfolge wieder her. Auch Schumacher gewann am Start zunächst eine Position gegen Button, doch der rächte sich in eindrucksvoller Manier für Barcelona und eroberte den vierten Platz vor der Zielkurve zurück.
An der Spitze hatte Webber die Situation unter Kontrolle, denn Hamilton folgte ihm zwar wie ein Schatten, verlor aber in Kurve acht jeweils ein paar Meter zu viel, um am Ende der Gegengeraden eine ernsthafte Attacke lancieren zu können. Kurz vor dem Boxenstopp erhöhte der McLaren-Pilot dann den Druck und in Runde 15 ließen beide gleichzeitig die Reifen wechseln - eine Runde nach Vettel, der dadurch eine Position gewinnen sollte.
Denn bei Hamilton gab es hinten rechts ein Problem, das ein bis zwei Sekunden kostete, wodurch er das Fernduell gegen Vettel verlor und auf Platz drei zurückfiel. Für den zweiten Rennabschnitt bildete sich also eine Vierergruppe an der Spitze, die stets innerhalb von zwei bis drei Sekunden lag! Dahinter hatten Schumacher und Nico Rosberg im Mercedes schon nach 30 Runden mehr als eine halbe Minute Rückstand. "Schneller waren wir halt nicht", seufzt Teamchef Ross Brawn.
Unterschiedliche Meinungen
Aber an der Spitze sollten sich die Ereignisse nach einigen ruhigeren Runden überschlagen. Denn Vettel erhöhte ab der 39. Runde den Druck auf seinen Teamkollegen, holte in dessen Windschatten Schwung, scherte bei der Anfahrt zur Zielschikane nach innen aus - und Sekunden später krachte es! Beim Austrudeln hätte der junge Deutsche den bis dahin führenden Webber fast noch ganz aus dem Rennen geschossen, zumindest ein Red Bull konnte aber weiterfahren.
"Eindeutig Sebastians Schuld", findet Rosberg, und auch Formel-1-Experte Martin Brundle sagt: "Sebastian hat nach rechts gezogen, Mark hat seine Linie nicht verlassen. Ein klarer Fall." Red-Bull-Teamchef Christian Horner widerspricht: "Mark hat ihn etwas zu sehr abgedrängt. Wir haben nur gesagt, dass sie sich Platz lassen sollen, aber das war heute nicht der Fall. Wir werden uns mit den Fahrern und Ingenieuren hinsetzen und darüber reden."
Vettel reagierte natürlich stinksauer, deutete Webber beim Aussteigen aus dem Cockpit den Vogel und verweigerte zunächst Interviews, um nicht in der ersten Emotion etwas Falsches zu sagen. Später stellte er sich dann doch der Presse. Seine Meinung ist aber klar: "Die Situation war aus meiner Sicht eindeutig, man muss sich ja nur die TV-Bilder ansehen. Ich war zwei, drei Runden schneller als Mark und hatte dann die Möglichkeit zu überholen. Ich war auf der inneren Seite."
Vettel entschuldigt sich für Geste
"Ich war nicht zu übereifrig. Ich habe einfach versucht, meine Chance zu nutzen. Unter Teamkollegen ist das natürlich besonders blöd, wenn man kollidiert, aber man sollte sich auch immer den nötigen Platz geben", beschwert sich der 22-Jährige und entschuldigt sich für seinen anfänglichen Wutausbruch: "Ich bin offensichtlich nicht der glücklichste Mensch der Welt. Das war eine typische Handbewegung, die Autofahrer halt machen. Da lässt man seinen Gefühlen freien Lauf."
Webber hat die stinkige Geste Vettels ohnehin nicht gesehen. Dass er den Zwischenfall anders erlebt hat, versteht sich aber von selbst: "Seb hatte einen großen Geschwindigkeitsvorteil und zog zur Seite. Dann scherte er plötzlich aus und es kam zur Kollision. Schade für das Team, aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig reinfahren. Ich habe jedenfalls nichts Verrücktes gemacht", hält sich der WM-Leader vorerst diplomatisch zurück.
Nächstes Duell bei McLaren
Das Rennen ging nach diesem Höhepunkt weiter seinen Lauf, McLaren erbte eine Doppelführung - und beinahe wären sich auch Hamilton und Button noch gegenseitig ins Auto gefahren! Denn Button kam bei leichtem Nieselregen näher an seinen Teamkollegen heran und attackierte in der 48. Runde an der gleichen Stelle wie zuvor Vettel, setzte sich aber auf die Außenbahn. Die beiden ließen sich Platz - und Button fuhr tatsächlich als Führender über die Ziellinie!
Doch Hamilton ließ nicht locker, saugte sich im Windschatten heran und setzte schon ein paar Sekunden später in der ersten Kurve einen erfolgreichen Konter. Dabei kam es zu einer leichten Berührung, die aber glimpflich ausging. "Wer will schon einen Crash? Niemand. Dementsprechend haben wir uns verhalten. Es war ein fairer Fight", befindet Button. "Wir waren fünf Kurven lang Rad an Rad, wirklich ein toller Kampf! Aber dann mussten wir Sprit sparen."
Das galt jedoch nicht nur für den 2009er-, sondern auch für den führenden 2008er-Weltmeister, sodass die Luft von jenem Zeitpunkt an draußen war. "Wir haben sie racen lassen, aber am Ende mussten wir Sprit sparen", gibt Teamchef Martin Whitmarsh zu Protokoll. "Das ist nicht einfach, wenn sie gegeneinander fahren. Dann haben wir ihnen gesagt, sie sollen vorsichtig sein, weil wir ja gesehen haben, was passieren kann."
Sicherheitsstopp von Webber
Nach 1:28:47.620 Stunden überquerte Hamilton die Ziellinie als Sieger, 2,6 Sekunden vor Button und 24,2 vor Webber, der einige Runden nach der Kollision mit Vettel sicherheitshalber an die Box kam, um den Frontflügel und die Reifen zu wechseln. Dahinter landeten die beiden Mercedes-Piloten. "Es war ein relativ normales Rennen", analysiert Schumacher, während Sportchef Norbert Haug findet: "Unser Speed war erst gegen Rennende okay."
Rosberg fiel zwischenzeitlich mit vermeintlichen Reifenproblemen ein paar Sekunden hinter Schumacher zurück, dabei war das ein bewusstes Abstandnehmen für den Fall, dass es zu regnen beginnen sollte und die beiden gleichzeitig an die Box kommen müssen. Als klar war, dass es trotz des leichten Regens nicht erforderlich sein würde, auf Intermediates zu wechseln, fuhr der Youngster im Team den Abstand sofort wieder zu.
Die weiteren Punkteränge gingen an Robert Kubica (Renault), Felipe Massa, Fernando Alonso (beide Ferrari), Adrian Sutil (Force India) und Kamui Kobayashi (Sauber). Letzterer hätte auch ebenso gut Neunter werden können, zog aber in einem harten Zweikampf mit Sutil den Kürzeren. Auch Alonso fuhr im Rahmen der Möglichkeiten ein starkes Rennen, denn in der ersten Runde war der ehemalige Weltmeister nur 13. gewesen.
Petrov fliegt aus den Punkten
Ein weiterer Pechvogel des Tages war Vitaly Petrov: Der Renault-Pilot war unterwegs zu einem sicheren Punkteergebnis, wehrte sich tapfer gegen Alonso, schlitzte sich aber am Ferrari einen Vorderreifen auf, als er sich doch geschlagen geben musste. Petrov fiel auf den 15. Platz zurück, ließ aber sein Talent aufblitzen, als er im allerletzten Umlauf in 1:29.165 Minuten noch die schnellste Runde des Rennens fuhr.
Leider keine Rolle spielten Nico Hülkenberg (Williams) und Sébastien Buemi (Toro Rosso), die schon in der ersten Runde an die Box kommen mussten. Außerdem wurden fünf Ausfälle gezählt: Beide Lotus-Piloten blieben mit Hydraulikschäden stehen, HRT verzeichnete ebenfalls einen Doppelausfall, auch wenn Karun Chandhok als 20. gewertet wurde, und für Vettel war der Arbeitstag nach der teaminternen Kollision beendet.
In der Weltmeisterschaft hat Webber (93) seinen Vorsprung ausgebaut. Der Australier führt nun fünf Punkte vor Jenson Button (88) und neun vor Lewis Hamilton (84). Dahinter folgen Alonso (79) und Vettel (78). In der Konstrukteurswertung gab es heute durch den Red-Bull-Patzer einen Führungswechsel, denn McLaren hat nach sieben von 19 Rennen einen Zähler Vorsprung. Dritter ist Ferrari. Rückstand: 26 Punkte.