• 27. Oktober 2023 · 04:31 Uhr

Was der Andretti-Einstieg mit Anhang 5 des FIA-Reglements zu tun hat

Michael Andretti möchte in die Formel 1 einsteigen und braucht dafür einen Motor, doch genau das könnte hinter den Kulissen zu einem Politikum werden

(Motorsport-Total.com) - Sollte Andretti Global tatsächlich 2025 oder 2026 in die Formel 1 aufgenommen werden, kann sich das amerikanische Team nicht zu 100 Prozent darauf verlassen, im Zweifelsfall durch das FIA-Reglement einen Motorenhersteller zugewiesen zu bekommen. Denn die Zusammenarbeit mit Cadillac (General Motors) könnte andere Motorenhersteller - je nach Lesart des FIA-Reglements, und davon gibt es zwei Varianten - von der Pflicht entbinden, Andretti im Fall des Falles zu beliefern.

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Michael Andretti plant, spätestens 2026 in die Formel 1 einzusteigen Zoom Download

Eigentlich bestimmt Anhang 5 des Technischen Powerunit-Reglements der FIA 2026, dass ein Team, das auf eigene Faust keinen Motorenhersteller findet, einen solchen durch die FIA zugewiesen bekommen kann. Notfalls gegen den Willen des Herstellers. Auf fünf A4-Seiten regelt Anhang 5 die "Lieferung von Powerunits, Kraftstoff und Motoröl für 2026 bis 2030", wie es im Titel heißt.

Anhang 5 definiert auch eine komplex wirkende Formel, T=(Ntot-A)/(B-C), die die Grundlage dafür darstellt, dass die FIA einen der in der Formel 1 vertretenen Motorenhersteller dazu zwingen kann, ein Team zu beliefern, das selbst keinen Motorpartner findet. Vereinfacht gesagt kann dazu jener Hersteller verpflichtet werden, der die wenigsten Teams beliefert.

Sollten zwei oder mehr Hersteller gleich viele (beziehungsweise wenige) Teams beliefern, entscheidet im Zweifel das Los, wer sich in Zukunft um das zu beliefernde Team kümmern muss. Festgelegt ist in diesem Zusammenhang auch ein maximaler Richtpreis für das Motorenleasing pro Saison, und zwar in der Höhe von 17 Millionen Euro (indexgebunden).

Alpine: "Absolut kein Vertrag" mit Andretti

Andretti-Cadillac hatte ursprünglich vor, zu einem späteren Zeitpunkt von General Motors (GM) eine Powerunit für das Formel-1-Programm entwickeln zu lassen. Da das bis 2026 nicht realistisch umsetzbar ist, wurde eine entsprechende Vorvereinbarung mit Alpine aufgesetzt. Der französische Hersteller sollte in der Übergangsphase Motoren an Andretti liefern, bis GM so weit ist.

Doch die Option für den Alpine-Deal ist verstrichen, und laut Aussage von Bruno Famin, Teamchef von Alpine in der Formel 1 und Vizepräsident von Alpine Motorsport, existiere "im Moment absolut kein Vertrag mit Andretti". Sodass die Amerikaner im schlimmsten Fall tatsächlich drauf angewiesen sein könnten, von der FIA einen Motorenhersteller zugewiesen zu bekommen.

Das könnte letztendlich wieder auf Alpine hinauslaufen, denn Stand heute wird Alpine 2026 neben Honda (Aston Martin) der einzige Motorenhersteller sein, der nur ein Team beliefert. Theoretisch trifft das zwar auch auf Audi zu, doch Audi kann als neuer Motorenhersteller zunächst nicht dazu verpflichtet werden, ein Team gegen den eigenen Willen zu beliefern. So steht es in Anhang 5.

Artikel 1.3.5 und 1.3.6 und was sie zu bedeuten haben

Dort steht auch, unter Artikel 1.3.5: "Weder das neue Kundenteam noch ein mit ihm in Verbindung stehendes Unternehmen darf ein Automobilhersteller sein, der (unter anderem) mit dem Ziel gegründet wurde, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen, es sei denn, der betroffene Powerunit-Hersteller hat dem ausdrücklich zugestimmt."

Und, unter Artikel 1.3.6: "Das neue Kundenteam darf keine Sponsoringvereinbarung mit einem Unternehmen haben, das mit den Kernaktivitäten eines Automobilherstellers konkurriert, die auch vom betroffenen Powerunit-Hersteller durchgeführt werden, es sei denn, der betroffene Powerunit-Hersteller hat dem ausdrücklich zugestimmt."

Das könnte bei Andretti-feindlicher Auslegung eine Carte blanche für die derzeit in der Formel 1 engagierten Motorenhersteller sein, sich dagegen zu wehren, sollte die FIA sie dazu zwingen wollen, Andretti mit Powerunits zu beliefern. Zumindest solange Andretti in Verbindung mit Cadillac beziehungsweise General Motors steht.

Dem Vernehmen nach sollen genau diese Paragrafen hinter vorgehaltener Hand von Formel-1-Rechteinhaber Liberty Media diskutiert worden sein. Der geplante Andretti-Einstieg ist in den vergangenen Wochen zum Politikum geworden, mit Andretti und der FIA auf der einen Seite und der Formel 1 und einer Mehrheit der bestehenden Teams auf der anderen.

Andretti-Frage: Sind die beiden Artikel letztendlich obsolet?

Doch was die Fraktion um die Andretti-Gegner bei der Interpretation des Reglements übersieht, ist der einleitende Absatz, der vor den Artikeln 1.3.5 und 1.3.6 festgeschrieben steht und sich auf Absatz 1.2 bezieht (1.2: "Ein Powerunit-Hersteller muss, wenn er von der FIA vor dem 1. Juni des vorangehenden Jahres dazu aufgefordert wird, mindestens eine Anzahl von Wettbewerbern beliefern").

In diesem Absatz unter 1.3 heißt es wörtlich, dass die Artikel 1.3.1 bis 1.3.11 nicht in einer Weise angewendet werden dürfen, "die die Lieferverpflichtung gemäß Artikel 1.2 dieses Anhangs außer Kraft setzen und/oder die die FIA daran hindern würde, die in Artikel 1.2 dieses Anhangs genannten Bestimmungen zu erlassen und durchzusetzen".

Bei der FIA ist man überzeugt, dass es sich dabei um eine rechtssichere "Catch-all-Klausel" handelt, die im Zweifel alle Subartikel außer Kraft setzt. Denn: Dem Motorenreglement haben alle in der Formel 1 engagierten Hersteller zugestimmt, und Anhang 5 war "in good faith" (in gutem Glauben), wie es an mehreren Stellen heißt, dazu gedacht, Teams dabei zu helfen, einen Motor zu finden, und nicht genau das zu verhindern.

Was die Regel ursprünglich verhindern sollte

Wofür 1.3.5 und 1.3.6 im Geiste des Reglements aufgesetzt wurden, war eine ganz andere Konstellation, nämlich um zu verhindern, dass sich eine Automobilmarke wie Alfa Romeo als reiner Sponsor ohne Vorhaben, einen Motor zu bauen, in ein Formel-1-Programm einkauft - und dann ein Alfa-Marktkonkurrent dazu gezwungen wird, Alfa Romeo zu beliefern. Was tatsächlich eine Zumutung wäre.

Michael Andretti selbst scheint ungeachtet all dessen unbesorgt zu sein, dass der Motorenlieferant zu einem Problem werden könnte. Er sagt im Interview mit Sky über die verstrichene Alpine-Option: "Technisch ist die Vereinbarung verstrichen. Aber sobald wir zugelassen werden, werden wir das reparieren. Darüber machen wir uns keine Sorgen."

Andretti: Bin Sulayem und der FIA "sehr dankbar"

Eine Hürde hat Andretti bereits genommen, und zwar die positive Bewertung durch die FIA, die einen formellen Prozess für eine Teilnahme an der Formel 1 ausgeschrieben hatte. Er sei "sehr aufgeregt" über die Zusage der FIA und bedanke sich beim Verband und dessen Präsident Mohammed bin Sulayem dafür, dass dieser den Bewerbungsprozess eröffnet und durchgeführt habe.

Der Prozess sei "eine sehr intensive und harte Angelegenheit" gewesen, "und ich bin stolz drauf, dass unser Team in jeder Kategorie an der Spitze lag. Das zeigt definitiv, dass wir das Recht haben, in der Startaufstellung zu stehen, und darüber freuen wir uns."

"Wir freuen uns auch sehr über die Unterstützung der Fans, und ich möchte mich bei allen da draußen für die Unterstützung bedanken, denn das bedeutet uns sehr viel. Wir sind sehr gespannt auf die Zukunft, denn ich denke, wir haben den Formel-1-Fans einiges zu bieten", sagt Andretti.

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