Zum Schnäppchenpreis in die Formel 1: Darum rebellieren die Teams!
Christian Horner erklärt: Wenn Michael Andretti seinerzeit (wie Audi) das Sauber-Team gekauft hätte, würde man ihn mit offenen Armen empfangen
(Motorsport-Total.com) - Der Widerstand, der Andretti von den zehn bestehenden Teams in der Formel 1 entgegengebracht wird, ist in der Fangemeinde derzeit ein leidenschaftlich diskutiertes Thema. Die meisten Fans wünschen sich ein größeres Starterfeld mit mehr Teams und unterstellen den bestehenden Teams Gier, weil sie ihren Einnahmentopf nicht mit neuen Playern teilen wollen.
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Christian Horner ist kein Fan eines Andretti-Einstiegs in die Formel 1 Zoom Download
Dass Geld der Hauptgrund für die Skepsis ist, streiten die bestehenden Teams gar nicht ab. Christian Horner sagt etwa im Interview mit Sky: "Klar, Geld regiert die Welt. Da ist jedes Team enorm sensibel, weil der Wert unserer Franchises verwässert wird, wenn du statt zehn plötzlich elf Teams hast. Es ist verständlich, dass die Shareholder der Teams darüber besorgt sind."
Zumal ein Einstieg von Andretti die zehn bestehenden Formel-1-Teams enorm viel Geld kosten würde. 2021, im Jahr 2 der COVID-19-Pandemie, hat Rechteinhaber Liberty Media 1,068 Milliarden US-Dollar an die Teams ausgeschüttet. 2022 waren es dank steigender Umsätze sogar 1,157 Milliarden. Ein Plus von acht Prozent.
Dieses Plus über die nächsten zehn Jahre zu halten, ist ambitioniert, aber nicht unmöglich. Das Branchenmagazin BusinessF1 etwa berichtet aktuell, dass bei Apple ein Plan geschmiedet wird, die Senderechte an der Formel 1 für zwei Milliarden Dollar pro Saison zu erwerben. Das würde den Umsatz der Formel 1 auf einen Schlag mehr als verdoppeln.
Ausgerechnet: Wie viel die zehn Teams wirklich verlieren würden
Doch selbst wenn man nur mit acht Prozent jährlichem Plus kalkuliert, werden im Zehnjahreszeitraum von 2021 bis 2030 insgesamt 15,5 Milliarden Dollar an die Teams ausgeschüttet. 1,4 Milliarden davon würde sich Andretti unter den Nagel reißen. Kein Wunder also, wenn die bestehenden Teams finden, dass 200 Millionen Antiverwässerungsgebühr ein echtes Schnäppchen sind.
Denn die bestehenden zehn Teams würden in unserem Rechenbeispiel dramatisch an Einnahmen einbüßen. Die Aufnahme eines elften Teams würde jedes Team 141 Millionen Dollar kosten, die Aufnahme eines elften und zwölften Teams sogar 258 Millionen Dollar. Da ist eine Antiverwässerungsgebühr von 20 Millionen (200 Millionen geteilt durch zehn Teams) ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Horner: FIA und Liberty benötigen eine gemeinsame Position
"Ich sehe das als Thema zwischen der FIA und Liberty", sagt Horner. "Die FIA ist der Regelgeber und Liberty der Promoter, der die Finanzen des Sports kontrolliert. Wenn ein neues Team reinkommt, wie finanziert man das? Ich finde, da müssen sich diese Jungs zusammensetzen und uns einen Vorschlag unterbreiten, was konkret sie sich vorstellen."
Dabei begrüßt Horner, dass Andretti mit der Marke Cadillac und dem Hersteller General Motors (GM) einen neuen Blue-Chip-Player in die Formel 1 bringen würde. Ein Duell Ford (Partner bei Red Bull Powertrains) gegen GM wäre "fantastisch", findet er. Doch den Einstieg als neues Team hinterfragt der Red-Bull-Teamchef trotzdem.
Als neues Team einsteigen oder Franchise übernehmen?
"Schauen wir, wie Audi in den Sport eingestiegen ist. Sie haben ein bestehendes Team, ein bestehendes Franchise gekauft. Warum sollte es für andere anders sein? Liberty und die FIA müssen eine gemeinsame Position entwickeln. Denn es kann nicht sein, dass für die einen andere Regeln gelten als für die anderen", fordert Horner.
Audi hat 2022 das Schweizer Sauber-Team übernommen, in einem mehrstufigen Deal, der bis 2026 die Übernahme einer Anteilsmehrheit und den Einstieg als vollwertiges Werksteam vorsieht. Über den Kaufpreis wurde zwischen dem bisherigen Eigentümer Finn Rausing und Audi Stillschweigen vereinbart. Gemunkelt wird von einer 700-Millionen-Bewertung für das Unternehmen.
Das wäre in derzeitigen Formel-1-Maßstäben ein Schnäppchen. Vom Branchenmagazin Sportico wird Sauber jetzt schon auf einen Wert von 815 Millionen Dollar geschätzt. Und mehr als die Hälfte der Teams sind demnach mehr als eine Milliarde wert. Wer jetzt ein Formel-1-Team besitzt, kann sich den Exit dank der hohen Nachfrage in ein paar Jahren vergolden lassen.
Will Andretti zum Schnäppchenpreis in die Formel 1?
Trotzdem war Andretti ein Jahr vor Audi nicht dazu bereit, Rausing mehr als 350 Millionen Dollar zu bieten. Denn die Amerikaner haben mutmaßlich nicht plötzlich ihre Liebe zur Formel 1 entdeckt, sondern eine Jahrhundertchance auf schnelle Dollars. Was auch erklärt, warum Andretti auf Biegen und Brechen schon 2025 einsteigen will und nicht erst 2026.
Denn 2025 gelten noch die aktuellen Concorde-Verträge mit 200 Millionen Antiverwässerungsgebühr. Für 2026 muss diese neu verhandelt werden, und dabei wird sich die Antiverwässerungsgebühr definitiv vervielfachen. 600 Millionen gilt dem Vernehmen nach als unterste Verhandlungsbasis. Summen, die weit darüber hinausgehen, nicht ausgeschlossen.
Anstatt also Sauber 700 Millionen zu überweisen und womöglich auch noch 600 Millionen Antiverwässerungsgebühr zu bezahlen, will Andretti sein Team für viel kleineres Geld selbst zusammenstellen und den anderen Teams 200 Millionen Kompensation zahlen, solange das noch möglich ist.
Wie die Befürworter eines elften Teams argumentieren
Das ist die kritische Sicht auf die Dinge, die von den bestehenden zehn Teams propagiert wird. Die andere Sicht geht so: Die Formel 1 ist zuallererst ein Sport, und für den Wettbewerb wäre es positiv, wie früher mehr Teams in der Startaufstellung zu haben. Zumal die aktuellen FIA-Regeln auf bis zu zwölf Teams ausgelegt sind.
Und: Während die einen sagen, dass die Antiverwässerungsgebühr viel zu niedrig angesetzt ist, um ihre Einnahmenausfälle zu kompensieren, sagen andere, dass so eine Gebühr womöglich sogar rechtswidrig sein könnte. Zumindest würde sich die EU-Kommission die Konstellation vor dem Hintergrund ihres Kartellrechts vielleicht genauer anschauen wollen.
Horner wird jedenfalls leidenschaftlich, wenn es um das Thema neue Teams geht. Die bestehenden Teams, sagt er, hätten in den vergangenen Jahren "Milliarden von Dollar" investiert, "und natürlich schauen wir uns jetzt genau an: Okay, wie sieht unser Geschäftsumfeld jetzt aus, sowohl kommerziell als auch operativ?"
"Vor sechs Jahren standen vier Teams knapp vor dem Ausstieg. Seither hat der Sport eine Wende geschafft, sich selbst neu erfunden. Heute ist die Formel 1 kerngesund. Und die zehn Teams sind jetzt effektiv Franchises. Franchises haben einen Wert. Es ist doch logisch, dass die Shareholder versuchen, ihr Investment zu schützen", argumentiert Horner.
Damit spricht er einen weiteren Punkt an, der in der öffentlichen Diskussion bisher kaum stattgefunden hat. Zusätzliche Teams kosten die bestehenden Teams nämlich nicht nur Einnahmen aus dem Preisgeldtopf, sondern verwässern auch den Wert der Franchises. Wenn auf dem Markt das Angebot erhöht wird, sinkt die Nachfrage und damit auch der Preis für einzelne Teams.
Wäre wirklich kein Platz für zwei weitere Teams?
Logistische Probleme, sagt Horner, spielen vor diesem Hintergrund nur eine untergeordnete Rolle, seien aber nicht wegzudiskutieren: "Wo würden wir die Boxen zum Beispiel in Zandvoort unterbringen?", hinterfragt der Red-Bull-Teamchef. "Es gibt auch operative Themen, die gelöst werden müssten."
Ein Argument, das FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem übrigens nicht gelten lässt. "Wir haben ja schon ein elftes Team, aus Hollywood", spielt er gegenüber Motorsport-Total.com auf die eigenen Boxen für das Apex-GP-Team des geplanten Formel-1-Films von Apple an. Zumal die Rennstrecken, wenn sie die Grade-1-Lizenz der FIA besitzen, auf bis zu 13 Teams ausbaufähig sein müssen.
Sicher ist, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Positionen sind ebenso verständlich wie verhärtet: Die bestehenden Teams wollen nicht auf Einnahmen verzichten, um damit einen neuen Gegner zu subventionieren. Und Andretti will zum Schnäppchenpreis an den Milliardenpott der Formel 1. Jetzt gilt es, die konträr erscheinenden Interessen unter einen Hut zu bringen.