Andrew Shovlin: 2023er-Regeln sind keine "Mercedes-Regeln"
Warum sich Andrew Shovlin gegen den Vorwurf wehrt, Mercedes dränge nur deshalb auf neue Unterboden-Regeln, weil der aktuelle W13-Silberpfeil zu langsam sei
(Motorsport-Total.com) - In der Formel 1 wird aufgrund des Bouncings über neue Unterboden-Regeln für 2023 diskutiert - und darüber, ob diese neuen Regeln ein entscheidender Vorteil für Mercedes darstellen könnten, das in der Formel-1-Saison 2022 bekanntlich mit einem schwierig zu fahrenden Auto zu kämpfen hat. Diesem Vorwurf tritt Andrew Shovlin als leitender Renningenieur der Silberpfeile entschieden entgegen.
In der Pressekonferenz vor dem Frankreich-Grand-Prix in Le Castellet sagte er: "Wir arbeiten daran, unsere Probleme selbstständig in den Griff zu kriegen. Ich glaube, da gelingen uns gute Fortschritte. Und wir wissen nicht, ob eine Regeländerung Mercedes entgegenkommen würde."
Als Beleg für seine Aussage verweist Shovlin auf die veränderten Regeln von 2020 auf 2021. Der Mercedes W12 mit dem geringen Anstellwinkel habe deutlich mehr gelitten als der Red Bull RB16B mit dem höheren Anstellwinkel. "Man kann also nicht sagen, dass Regeländerungen generell zugunsten von Mercedes verlaufen", meint Shovlin.
Mercedes pocht auf sicherheitsrelevante Anpassungen
"Wir halten es so: Wenn es um grundlegende Probleme geht, dann kriegt man die nicht gelöst, ohne die Regeln anzufassen. Als 2020 die neuen Regeln aus Sicherheitsgründen eingeführt wurden, waren weder Red Bull noch Ferrari dagegen, aber auch Mercedes hat sich nicht dagegen gestellt. Es ist so gekommen. Es hat uns nicht gepasst, aber es ist trotzdem passiert."
Ähnlich müsse man sich die aktuelle Situation vorstellen. Bleibe es bei den bestehenden Regeln, bleibe auch ein gewisses Gefahrenelement erhalten, so Shovlin: "Es gab dieses Jahr schon ein paar bemerkenswerte Unfälle, bei denen ein Auto aufgesessen ist und der Fahrer deshalb bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle verloren hat."
Aus seiner Sicht sei das Sicherheitsargument daher "ebenso stichhaltig wie der Fahrkomfort". Shovlin spricht sich aus beiden Gründen für eine Regelanpassung aus.
Wie der aktuelle Regelvorschlag aussieht
Im Raum steht konkret eine Anhebung der Unterboden-Außenkanten um 25 Millimeter, wogegen sich aber schon Widerstand regt. Als Kompromissvorschlag werden zehn Millimeter genannt, den offenbar die Mehrheit die Teams akzeptieren würde. Allerdings werden die Beteiligten nicht müde zu betonen, dass die Zeit dränge.
Fotostrecke: Formel-1-Technik: Detailfotos beim Frankreich-Grand-Prix 2022
Williams FW44: Seitenkasten und Eingang der Venturi-Kanäle Fotostrecke
Jan Monchaux als Technischer Direktor von Alfa Romeo etwa meint: "Es ist noch nicht zu spät, aber wir können es uns nicht leisten, noch weitere vier oder sechs Wochen zu warten. Ich würde es sogar vorziehen, die Änderungen kommen erst 2024."
Warum die Zeit drängt für die Teams
Sollte man sich aber auf Regeländerungen einigen, dann bräuchte Monchaux in den nächsten Tagen Gewissheit, so sagt er, nämlich "spätestens vor der Werkschließung in der Sommerpause". Denn das wäre der "spätestmögliche Zeitpunkt", um noch sinnvoll in die Entwicklung für 2023 eingreifen zu können.
Monchaux: "Nach der Sommerpause geben die Teams Vollgas bei der Entwicklung für 2023 und eine so wesentliche Änderung würde viele Pläne über den Haufen werfen. Denn das Problem ist: Man wird Ressourcen aufwenden müssen, die man vielleicht nicht eingeplant hatte. Denn wir reden hier doch von einem Neuanfang [bei der Entwicklung]."
"Es müsste also mehr investiert werden, damit man [technisch] bloß nichts verpasst. Das macht es schmerzhaft für einen Technischen Direktor, weil wir unter der Budget-Obergrenze operieren."
Auch finanziell sind Regeländerungen ein Thema
Letztere sei der Knackpunkt, betont Monchaux: Die Formel 1 habe sich dem Kostensparen verschrieben und mit dem Finanziellen Reglement einen Fahrplan vorgelegt.
"Wir haben eine strategische Vision für die Entwicklung der nächsten Jahre. Dafür braucht es aber auch eine klare Stabilität bei den Regeln", meint Monchaux. "Wenn wir alle sechs Monate die Rahmenbedingungen ändern, dann macht uns das nur das Leben schwer."
Deshalb sagt auch James Key als Technischer Direktor von McLaren, es müsse jetzt passieren, falls Regeländerungen umgesetzt werden sollen. "Wir wollen uns nämlich mit Dingen beschäftigen, die viel Vorlaufzeit haben. Das Getriebe zum Beispiel. Da tut sich viel um diese Zeit im Jahr. Je eher wir also die finalen Kennzahlen haben, umso besser."
So sieht es auch Shovlin von Mercedes. Er wünscht sich "Klarheit" und meint: "Gibt es Änderungen? Wenn ja, dann sollten wir es angehen und zustimmen."