Warum neue Regeln die Formel 1 für immer verändern könnten
Am Mittwoch will der Automobil-Weltverband FIA umfangreiche Regelneuerungen für die Formel 1 beschließen, was eine ganz neue Zeitrechnung bedeuten könnte
(Motorsport-Total.com) - Der heutige Mittwoch steht ganz im Zeichen der Zukunft: Der Automobil-Weltverband FIA wird im Tagesverlauf ein umfangreiches Regelpaket für die Formel 1 beschließen, um das langfristige Überleben der Rennserie zu sichern. Es könnte der Anfang einer ganz neuen Formel-1-Zeitrechnung werden.
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Neuer Ansatz für die Formel 1: Wird der Wettbewerb dadurch wieder enger? Zoom Download
Die Teams hatten sich bereits vergangene Woche für diesen "New Deal" ausgesprochen. Was dahinter steckt? Eine ganze Reihe von neuen Richtlinien für die Bereiche Chassis, Antrieb, Finanzen und mehr. Darüber stimmt der FIA-Motorsport-Weltrat am Mittwoch in einem Online-Voting ab.
Im Vordergrund standen zuletzt die geplante Budgetobergrenze und wie genau die Teams damit umgehen müssen. Die Maximalsumme war immer wieder Gegenstand von Diskussionen unter den Beteiligten: Man senkte sie schließlich von 175 Millionen Dollar pro Jahr und Team (umgerechnet rund 160 Millionen Euro) auf 145 Millionen Dollar ab. Das entspricht rund 132 Millionen Euro.
Erste Folgen der Budgetobergrenze
Doch die Budgetobergrenze und weitere Maßnahmen sind eben nur ein Teil des großen Regelpakets, das die FIA nun beschließen wird. Und dieses Regelpaket umfasst so viele Themen, dass der Sport damit eine völlig neue und nachhaltige Grundlage erhält.
Die Budgetbegrenzung wird jedenfalls dazu führen, dass die Formel-1-Teams wesentlich "schlanker" auftreten werden. McLaren zum Beispiel hat bereits angekündigt, etwa 70 seiner Angestellten aus dem Rennteam entlassen zu wollen, um den Budgetvorgaben entsprechen zu können. In den kommenden sechs Monaten ist mit weiteren Kündigungen in der Branche zu rechnen.
Auf die Motorenhersteller kommt indes ein Szenario zu, das sie bereits aus der Vergangenheit kennen: Die Antriebe sollen technisch "eingefroren" werden, wie das schon zum Ende der V8-Ära der Fall war. Sinn und Zweck der Übung ist schlicht: Kosten senken.
Auch am Antrieb soll gespart werden
Schrittweise soll die Entwicklung der Antriebe zurückgefahren werden. Ab 2021 will man nur noch eine Spezifikationsänderung pro Komponente zulassen, ab 2023 soll es dann gar keine Änderungen an den Antrieben mehr geben.
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#10: Fahren dürfen nur die Hinterbänkler - Sie ist der große Trumpf der Williams-Mannschaft. Doch nicht nur deshalb will die FIA der aktiven Radaufhängung beim Kanada-Grand-Prix 1993 einen Riegel vorschieben. Die fortschrittliche, aber unglaublich kostenintensive Technik wird von den Kommissaren bei der technische Abnahme als Fahrhilfe eingestuft und bei allen Teams für nicht-regelkonform befunden worden. Gleiches gilt für die Autos, die auf eine Traktionskontrolle setzten. Hintergrund: Die Systeme beeinflussen hydraulisch die Aerodynamik respektive entziehen dem Piloten teilweise die Kontrolle über den Vortrieb. Es entsteht die Drohkulisse, dass die Scuderia-Italia-Hinterbänkler Michele Alboreto und Luca Badoer die einzigen Starter in Montreal sind. Das Verbot wird bis Anfang 1994 aufgeschoben, dann aber durchgesetzt. Fotostrecke
Wenn die Antriebe erst einmal "eingefroren" sind, dann könnte sich die Formel 1 noch einmal mit dem Design der Antriebsstränge befassen. Es dürfte kleinere Anpassungen geben, aber wohl keine Revolution, wenn zum Beispiel ab 2025 ein neues Motorenformat eingesetzt werden könnte.
Die Hersteller stehen diesem Vorhaben positiv gegenüber, zumal die Entwicklungskosten für Formel-1-Antriebe derzeit nicht von der Budgetobergrenze betroffen sind.
Teamchef begrüßt eingedämmte Entwicklung
Renault-Teamchef Cyril Abiteboul sagte kürzlich im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com': "Es ist uns gelungen, darauf zu pochen, die verrückte Motorenentwicklung einzudämmen. Es ist nämlich wirklich verrückt, was wir für die Motorenseite ausgeben. Jetzt endlich wird sich das ändern."
Doch weder die Budgetobergrenze noch der Entwicklungsstopp in manchen Bereichen werden die Formel 1 so nachhaltig und grundlegend verändern wie eine neue Denkweise, die durchaus das Potenzial hat, die Hackordnung im Formel-1-Feld durcheinander zu würfeln.
Die Formel 1 war über Jahre hinweg fast ausschließlich eine Leistungsgesellschaft: Teams, die gute Leistung erbracht haben, wurden am meisten belohnt. Die Branchengrößen hatten nicht viel für kleinere Rennställe oder gar Neulinge übrig.
Das Ende der Zweiklassengesellschaft?
Das hatte aber auch einen großen Haken: Weil die Topteams durch finanzielle Boni und politische Mitsprache in der Strategiegruppe immer weitere Vorteile erhalten haben, ist die Formel 1 zu einer Zweiklassengesellschaft geworden. Ferrari, Mercedes und Red Bull spielen gewissermaßen in einer eigenen Liga, liegen außerhalb der Reichweite der anderen Teams.
Eben diese Zweiklassengesellschaft sollte mit dem neuen Formel-1-Reglement - geplant für 2021, verschoben auf 2022 - ein Ende haben. Das war das erklärte Ziel von Liberty Media. Dann kam die Coronakrise, und mit ihr eine ganz neue Herangehensweise.
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#10 Drei Autos pro Team: Als die Formel 1 nach dem Ausstieg von Jaguar und Cosworth 2004 und drohenden Pleiten bei Jordan oder Minardi vor Problemen stand, brachte der Brite die Idee von drei Fahrzeugen pro Team schon einmal auf den Plan. Ein großes Starterfeld und mehr Topautos wären garantiert. Fotostrecke
Auf einmal zeigen sich alle Beteiligten offen für neue Ansätze, für ein großes Ganzes. Und das ist der erste Schritt hin zu etwas mehr Chancengleichheit im Feld. Denn davon würde die Formel 1 insgesamt massiv profitieren.
Neuer Ansatz: Open Source
Wir reden hier von einem Handicap-System bei der Aerodynamik-Entwicklung, bei dem die langsamsten Teams am meisten Zeit im Windkanal und für CFD-Simulationen erhalten. Wir reden auch von Open-Source-Teilen, was noch vor einem Jahr als "undenkbar" abgetan worden wäre.
Unter dem Open-Source-Konzept versteht man zum Beispiel die Offenlegung von Entwicklungs- und Produktionsdaten oder ganzer Bauteile. Sprich: Ein Team kann Elemente des Fahrzeugs als Open-Source-Komponenten deklarieren, ein anderes Team kann diese Elemente für sich übernehmen und/oder verändert verwenden.
Abiteboul hält diese Ansätze für unheimlich wichtig für die Zukunft der Formel 1. Er meint: "Erstmals werden die Technologien, die wir entwickeln, geöffnet. Alle Teams arbeiten hier zusammen und entwickeln das Beste für gewisse Bereiche des Autos, mit Open-Source-Komponenten. Und das ist fantastisch."
Von null auf Weltmeister geht trotzdem nicht
"Es ist viel besser, viel effizienter, viel fairer und transparenter als ein Kundenteam-Arrangement."
Ein Team wie Williams wird damit nicht plötzlich wieder Weltmeister werden. Und es wird auch nicht verhindern, dass die klügsten Köpfe der Szene wieder die besten Autos bauen. Vielleicht aber wird es dazu beitragen, die Formel 1 weniger vorhersehbar zu machen.
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Tödlicher Unfall in Monza (2000): Das neue Jahrtausend hat nicht den besten Start. Bei einem Unfall in Monza stirbt ein Streckenposten, der von einem umherfliegenden Rad getroffen wird. Es ist der erste Todesfall in der Formel 1 seit Ayrton Senna 1994. Beim Saisonauftakt 2001 in Melbourne (Bild) gibt es einen weiteren tödlichen Unfall. Fotostrecke
In jedem Fall könnte es der erste wichtige Schritt sein auf dem Weg, der Formel 1 einen neuen Denkansatz zu verpassen. Nämlich einen, bei dem Teams und ihre Verantwortlichen zusammenarbeiten, um als Gruppe etwas zu verbessern und nicht für das jeweilige Team, für das Kollektiv und nicht für die eigenen Interessen.
Wie der Sieg wieder mehr wert wird
Denn wenn die neuen Aerodynamik- und Open-Source-Ansätze wie gewünscht funktionieren, warum nicht auch weitere Änderungen umsetzen, die den langsamsten Rennställen weitere Vorteile zusichern? Auf diese Weise könnte man den Wettbewerb eng gestalten. Das Kräfteverhältnis würde sich ständig wandeln.
Eine solche Kooperation wäre nicht der Tod der Formel 1, wie es früher immer behauptet wurde. Man würde auch kein künstliches Kräfteverhältnis erstellen. Man müsste sich den Erfolg vielmehr deutlich härter erarbeiten. Der Sieg wäre umso mehr etwas Besonderes.
Carlos Sainz sprach vergangenes Jahr zum Beispiel über die Motorrad-WM MotoGP und wie die Rennserie ihre Hersteller davon überzeugte, Zugeständnisse an die Marken zu machen, die nicht auf einem bestimmten Niveau fuhren. Eben diese Nachzügler erhielten mehr Testzeit und mehr Updates.
Vorbild MotoGP?
Sainz beschrieb das so: "Die Topteams waren zunächst skeptisch. Jetzt aber sind sie unheimlich zufrieden damit, weil sie noch immer gewinnen, aber weil sie auch deutlich mehr Gegner haben."
"Ein solches Szenario stärkt einen Hersteller und eine Marke, weil der Wettbewerb intensiver ist", meint Sainz. Er hält dieses Konzept daher für ein "gutes Beispiel" und für "etwas, das ich in Zukunft auch gerne in der Formel 1 sehen würde".
Dieser Wunsch könnte bald Wirklichkeit werden. Und dieser Ansatz könnte sich auch als Türöffner erweisen, dass solche Ideen in der Formel 1 der Zukunft zur Norm werden.
Fazit: Da ist mehr drin - für alle Beteiligten
Abiteboul sagt dazu: "Die Formel 1 ist ein Sport. Man tritt gegeneinander an. Dieses Element nehmen wir ja nicht weg, es muss unbedingt bleiben."
"Es geht vielmehr darum, neue Wege zu finden, wie die Teams etwas besser zusammenarbeiten. Das ist wahrscheinlich eine Lektion dieser Krise. Wahrscheinlich wollen auch die Fans, vor allem die jüngere Generation, etwas mehr Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ländern sehen, und auch in der Formel 1."
"Genau das könnte unser 'New Deal' liefern. Es ist ein Rahmen, der genau das ermöglichen soll."