Zak Brown: Wenn Ferrari aussteigen will, sollen sie aussteigen!
McLaren-CEO Zak Brown reagiert mit deutlichen Worten auf die Ausstiegsdrohung von Ferrari und stellt klar, dass die Formel 1 insgesamt wichtiger ist als ein Team
(Motorsport-Total.com) - Der Widerstand von Ferrari gegen eine weitere Senkung der geplanten Budgetobergrenze ab 2021 sorgt bei Zak Brown für eine emotionale Gegenreaktion. Der McLaren-CEO unterstellt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, er verschließe die Augen vor der Wahrheit - und erklärt sogar, dass die Formel 1 zur Not auch ohne Ferrari überleben könnte, sollte Binotto seine Ausstiegsdrohung wahrmachen.
Er sei immer "für eine gesunde Debatte" zu haben, stellt Brown in einer Videokonferenz mit ausgewählten Medien, darunter ein Vertreter von 'Motorsport-Total.com', klar. Aber: "Die Kommentare, die ich gelesen habe, ergeben keinen Sinn, widersprechen sich selbst und bilden die Realität nicht wahrheitsgemäß ab."
Der Amerikaner bezieht sich damit ganz offensichtlich auf die am Mittwoch im 'Guardian' veröffentlichten Kommentare von Binotto. Dieser hatte indirekt mit Ausstieg gedroht, sollte die Formel 1 die Budgetobergrenze von derzeit 175 Millionen US-Dollar pro Jahr weiter absenken. Ferrari, so Binotto, möchte "nicht an einen Punkt gelangen, an dem wir uns andere Optionen überlegen müssen", Motorsport zu betreiben.
Die Presseabteilung des Ferrari-Teams übte sich anschließend in Wortklauberei und stellte gegenüber ausgewählten Medien richtig, dass Binotto nie direkt davon gesprochen habe, die Formel 1 zu verlassen. Er habe sogar im Gegenteil klargestellt, dass er nicht an einen solchen Punkt geraten möchte. Was Binotto wirklich gesagt hat, darüber kann sich jeder Leser selbst ein Bild machen.
Brown: Schockiert über Aussagen von Binotto
Für Brown ist sonnenklar, was Binotto gesagt und wie er es gemeint hat - und der McLaren-CEO ist schockiert darüber: "Ehrlich gesagt fehlen mir fast die Worte, das zu kommentieren. Ich denke, wir alle erkennen, dass wir gerade in der schwersten Krise stecken, die die Welt in jüngerer Vergangenheit erlebt hat. Ganze Länder und Industrien stecken im Shutdown."
Dass Binotto ungeachtet dessen vor "überhasteten Reaktionen" warnt, ist in Browns Augen ein "entscheidender Fehler. Wer das sagt, verschließt die Augen vor der Wahrheit. Ich denke, so ziemlich jeder Präsident, Premierminister oder CEO auf der ganzen Welt bemüht sich gerade um rasche Entscheidungen, um dieses Thema direkt anzupacken."
Eines der zentralen Themen, das die Finanzchefs der Formel-1-Teams im Zuge der Coronakrise diskutieren, ist die Budgetobergrenze. Diese ist für 2021 beschlossen und steht aktuell bei 175 Millionen Dollar. Teams wie McLaren fordern angesichts des dramatisch schlechten Wirtschaftsausblicks eine Senkung auf 100 Millionen.
Fotostrecke: Alle Jahre wieder: Chronologie der F1-Ausstiegsdrohungen von Ferrari
1986: Ja, bereits in den 80ern liebäugelt Ferrari mit einem Formel-1-Ausstieg. Damals segnet noch Enzo Ferrari persönlich den Bau eines IndyCars ab, weil er unzufrieden mit dem angekündigten neuen Motorenreglement der Königsklasse ist. Der Ferrari 637 (Foto) aus der Feder von Gustav Brunner wird sogar gebaut - kommt aber nie zum Einsatz. Fotostrecke
Andere plädieren für einen Kompromiss. Mercedes, so berichtet 'F1-Insider.com', kann sich neuerdings maximal 145 Millionen vorstellen. Und die großen Drei (Ferrari, Mercedes, Red Bull) sind sich relativ einig darüber, dass Werksteams, die andere Teams mit Komponenten beliefern, mehr Geld ausgeben dürfen sollen als klassische Kundenteams.
Die Coronakrise bedeutet in der Diskussion aber Rückenwind für die McLaren-Seite. "Letztendlich", sagt Brown, "müssen die FIA und die Formel 1 dahinterstehen. Ich glaube aber nicht, dass die sich dagegen verschließen und wirklich ihr Veto einlegen können, wenn sonst genug Übereinstimmung besteht."
Zur Not, deutet Brown an, müsse man Ferrari die Ausstiegsdrohung wahrmachen und über die Klinge springen lassen, um die Mehrheit der anderen Teams zu retten: "Ich würde es hassen, wenn sie den Sport verlassen. Ich würde das bei jedem Team hassen. Das ist also bestimmt nicht das, was wir uns wünschen."
McLaren: Zur Not geht's auch ohne Ferrari
"Aber ich glaube, der Sport kann auch mit 18 Autos im Feld überleben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die anderen Motorenhersteller die zwei Teams auffangen könnten, die momentan von ihnen beliefert werden", sagt Brown über die Ferrari-Kundenteams Alfa Romeo und Haas.
Interview: Todt über Coronakrise, Ferrari-Affäre und mehr
FIA-Präsident Jean Todt spricht im Interview über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Formel 1, die daraus resultierende neue Herangehensweise im Motorsport generell und die kontroverse Ferrari-Affäre! Weitere Formel-1-Videos
"Wenn wir hingegen die Budgetgrenze zu hoch ansetzen und damit die abtörnen, die sich eigentlich vorstellen können, in die Formel 1 zu investieren, dann glaube ich nicht, dass die Formel 1 mit 14 Autos überleben kann. 16 ist hart an der Grenze, mit 18 geht's sicher. Die Formel 1 kann ohne Ferrari überleben. Es wäre mir aber lieber, sie bleiben. Der Sport wäre mit ihnen viel besser dran."
Übrigens: Die Idee von Red-Bull-Teamchef Christian Horner (die Ferrari unterstützt), statt einer weiter abgesenkten Budgetobergrenze für die kleinen Teams anzubieten, dass sie bei Red Bull, Ferrari und Mercedes ein Vorjahres-Komplettpaket kaufen können, stempelt Brown als einen Vorschlag "aus den 70ern" ab.
"In der Formel 1 dreht sich alles darum, ein Konstrukteur zu sein", kritisiert er den Kundenauto-Vorschlag. "Ich kann auch nicht nachvollziehen, wie das mit anderen Aussagen zusammenpasst, dass eine Konstrukteurs-Weltmeisterschaft und technologische Entwicklung die DNA der Formel 1 sein sollen."
Und er schickt eine eindringliche Mahnung: "Wir befinden uns in einer Situation, in der die Zukunft der Formel 1 auf dem Spiel steht, wenn wir in alte Muster zurückfallen. Wenn wir andererseits nach vorne schauen und mit der Zeit gehen, dann können wir die Krise nicht nur überleben, sondern sogar gestärkt aus ihr hervorgehen. Dann gewinnt die Formel 1. Dann gewinnen wir alle."