• 22. Juni 2019 · 08:15 Uhr

Angst vor "Buchhalter-WM": Die Details der Budgetobergrenze

Aus der harten Budgetobergrenze, die Liberty Media vor einem Jahr präsentiert hat, ist ein Wackelpudding mit millionenschweren Ausnahmen geworden

(Motorsport-Total.com) - 2021 kommt sie also, die jahrelang verhandelte Budgetobergrenze in der Formel 1. Aber von den ursprünglich anvisierten 150 Millionen US-Dollar, die Rechteinhaber Liberty Media vor gut einem Jahr bei der Bahrain-Präsentation ("Vision 2021") als Ziel formuliert hat, ist unterm Strich nicht viel übrig geblieben.

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Formel-1-Boss Chase Carey ist froh, die Budgetgrenze durchgebracht zu haben Zoom Download

"Es gibt so viele Ausnahmen, dass die 175 Millionen in Wahrheit eher 250 sind", bemängelt Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer. Auch wenn die Details zur Budgetobergrenze nicht offiziell verlautbart wurden, sickern nach und nach Informationen durch. Zum Beispiel über die in sportpolitischen Fragen zumeist gut informierte Plattform 'RaceFans'.

Demnach wurde der finale Liberty-Vorschlag den Teams am 4. Juni erstmals zur Durchsicht gegeben und am Kanada-Wochenende besprochen. Inzwischen gilt die extrem detailliert formulierte Budgetobergrenze als in Stein gemeißelt. Auch wenn das Reformpaket für 2021 erst im Oktober final verabschiedet werden soll.

Aus 150 sind am Ende 175 Millionen Dollar geworden (umgerechnet 155 Millionen Euro), und auch die erlaubten Ausnahmen wurden gelockert. Ursprünglich war angedacht, dass die Budgetobergrenze nur für Fahrergagen, Marketing und den höchstbezahlten Angestellten umschifft werden darf. Diese Liste wurde nun deutlich länger.

Warum auch Liberty eine Ausnahme wollte

Sie beinhaltet nun neben den Fahrergagen und Marketingausgaben gleich die drei bestbezahlten Mitarbeiter, die ersten 15 Millionen Dollar an Motorenkosten sowie die gesamten Reisekosten für Rennen und Tests. Letzteres war Liberty wichtig. Weil man nur so sicherstellen kann, dass die Teams nicht jammern, wenn mehr Rennen in den Kalender aufgenommen werden.

Die Idee, die Budgetobergrenze in Form einer dreijährigen Übergangsregelung einzuführen und die Gesamtsumme von Jahr zu Jahr zu reduzieren, wurde fallen gelassen. Die 175 Millionen plus Ausnahmen stehen für die gesamte nächste "Concorde-Periode", und die wird voraussichtlich die Jahre 2021 bis 2025 umfassen.

Formel-1-Boss Chase Carey ist mit dem Ergebnis zufrieden: "Wir haben ein Jahr gebraucht, um diesen Prozess durchzudiskutieren, um nicht nur eine geeignete Grenze finden, sondern auch einen Prozess, mit dem wir das entsprechend überprüfen können. Jeder kann sich darauf verlassen, dass die Kostenstruktur zuverlässig ist."

Vor Betrug hat er keine Angst: "Unser Sport ist kompliziert, aber diese Tricks gibt es in jedem Business weltweit. Die Regeln sind klar. Man braucht Zugang zu den Informationen, um sicherzustellen, dass das zuverlässig gemacht wird. Ich bin aber zuversichtlich, dass das anständig und zuverlässig überprüft werden kann", sagt Carey gegenüber 'ServusTV'.

Die Buchprüfer, die die Einhaltung der Budgetobergrenze gegenüber der FIA dokumentieren müssen, dürfen sich die Teams selbst aussuchen. Die FIA kann aber theoretisch ihr Veto einlegen, sollte sie mit einem Buchprüfer nicht einverstanden sein. Wahrscheinlich wird es sich dabei überwiegend um renommierte Unternehmen wie KPMG oder Deloitte handeln.

Praxistest für Budgetprozesse startet 2020

"Trockenübungen" gehen schon 2020 los. Zunächst ohne Strafen - nur um die Prozesse schon mal zu verinnerlichen, sowohl auf Team- als auch auf FIA-Seite. "Der Plan ist, einen Testlauf durchzuführen. Jeder soll ein Jahr bekommen, um zu verstehen, wie es funktioniert. Jetzt sind es nur Worte auf Papier. Wir brauchen ein Jahr Erfahrung in der Umsetzung", sagt Carey.

"Es wird ein Lernprozess, da bin ich sicher. Wir geben uns da keinen Illusionen hin. Wenn so etwas Neues kommt, muss man hier und da noch etwas glattbügeln und korrigieren. Das war erst der Anfang. Wir werden noch daraus lernen. Aber wir brauchen einen Startpunkt, und das bleibt jetzt eine Zeit lang in Kraft."

2021 sei nur "der Beginn eines Prozesses, der weitergehen wird", kündigt Carey an. "Wir versuchen, wieder einen Sport zu schaffen, der den Wettbewerb besser macht als heute. Es muss ein gesünderes Geschäft für jeden sein, der daran beteiligt ist. Das sind die zwei großen Ziele, an denen wir weiterhin arbeiten werden und wollen."

Aber die große Frage bleibt: Kann eine Budgetobergrenze überhaupt zuverlässig überwacht werden? Bekommt es die FIA mit, wenn zum Beispiel eine geheime Honda-Gruppe irgendwo im fernen Japan einen neuen Formel-1-Motor testet? Und wo ist die Grenze zwischen einem guten Deal und Betrug, wenn zum Beispiel ein Zulieferer extrem günstige Teile an ein Team liefert?

Red-Bull-Teamchef Christian Horner räumt ein, dass das "schon immer meine Sorge" war. Er hält fest: "Die Absicht ist da, aber jedes Team ist anders strukturiert und organisiert. Wenn du zum Beispiel eine Abteilung eines OEMs bist, wie werden dann die internen Kosten verrechnet?" Große Werke, argumentiert er, haben Möglichkeiten, Kosten zu verstecken und zu verschleiern.

Kronzeugenregelung als Schutzmechanismus

Aber: Ein Teamchef, der sich auf ein solches Spiel einlässt, riskiert viel. Selbst in Geheimprojekte müssen zumindest ein paar leitende Angestellte involviert sein, und wenn die ihren Arbeitgeber verpfeifen, fallen sie in die vergessene Whistleblower-Regelung der FIA. Das bedeutet: Kronzeugenschutz und im besten Fall sogar eine finanzielle Vergütung.

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Helmut Marko befürchtet, dass die Formel 1 zu einer "Buchhalter-Meisterschaft" wird Zoom Download

Angenommen, Toto Wolff käme auf die Idee, Formel-1-Kosten irgendwo im Daimler-Konzern zu verstecken. Er müsste einige Vertraute einweihen. Das geht solange gut, wie die Chemie stimmt. Aber wehe, man zerstreitet sich. Wer irgendwann einmal auf Wolff sauer ist, wird ihn vielleicht bei der FIA anzeigen. Wenn auch vielleicht erst Jahre später.

Der "Crashgate-Skandal" von Singapur ist genau so aufgeflogen. Als Flavio Briatore seinen Fahrer Nelson Piquet rausgeschmissen hat, ging dieser zur FIA und packte aus. Das kann ein Teamchef nicht riskieren. Zumal ihm bei einem Verstoß gegen die Finanzregeln ein Lizenzentzug droht. Das käme dem Ende der Karriere gleich.

"Das Regelwerk ist 42 oder 48 Seiten lang. Jedes Detail ist beschrieben", erklärt Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko. "Wir haben uns so vorbereitet, dass wir einen Finanzfachmann und einen Anwalt das ganze Jahr über mit in das System einbezogen haben, damit wir intern nicht an diese Vorschriften anstoßen."

Der Österreicher sieht zwei wesentliche Nachteile der neuen Regelung. Erstens: "Sie ist äußerst kompliziert. Im schlechtesten Fall haben wir eine Buchhalter-Meisterschaft, wo man dann zwei Monate nach dem Rennen disqualifiziert wird, weil man irgendwo ein Budget überschritten hat", erklärt er.

Zweitens: Große Teams, wie Red Bull eins ist, muss Personal abbauen, um den Kostenrahmen nicht zu sprengen. Ferrari und Mercedes, die ihre Motoren selbst entwickeln, werden aktuell auf je 1.400 Mitarbeiter geschätzt. Red Bull hat 860. "Man wird zum Teil Leute abbauen müssen", sagt Marko. Aber: "Für die suchen wir uns dann andere Betätigungsfelder."

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