Erklärt: Warum Haas gegen Force India protestiert hat
Es geht um 60 Millionen Euro, und die Angelegenheit ist komplex - aber wir versuchen, die juristischen Hintergründe möglichst simpel zu erklären
(Motorsport-Total.com) - Insgesamt acht Seiten umfasst das Urteil der FIA-Rennkommissare im Fall Haas gegen Force India, und der entscheidende Satz steht auf Seite 6 unter dem Punkt "Entscheidung 4". Er lautet: "In relation to the submission by the Racing Point Force India F1 Team that it is not a new team, the Stewards decide that the Racing Point Force India F1 Team is indeed a new team."
Aus juristischem Englisch in einfaches Deutsch übertragen bedeutet das nichts anderes als: Sahara Force India, das Nachfolgerteam aus der Kette Jordan-Midland-Spyker, gibt es nicht mehr. Racing Point Force India ist kein Rechtsnachfolger von Sahara Force India. Sondern, wie die Kommissare Mahir Al Badri, Garry Connelly, Dennis Dean und Felipe Giaffone explizit festhalten, ein "neues Team".
Haas-Technikchef Günther Steiner ist beim abgewiesenen Protest also nur auf den ersten Blick Verlierer. Dazu muss man verstehen: "Es war nie unsere Absicht, einen Krieg gegen Force India zu führen. Ich will ja, dass Force India fährt." Vielmehr richtet sich die Initiative des Haas-Rennstalls gegen Rechteinhaber Liberty Media und die sportlich-kommerzielle Führung der Formel 1.
Steiner hat jetzt genau das, was er wollte, nämlich eine offizielle Klarstellung, dass (Racing Point) Force India ein neues Team und kein Rechtsnachfolger ist. Das führt einige Vereinbarungen, die in der Formel 1 bisher gegolten haben, ad absurdum.
Nicht logisch: Sportlich nicht als neues Team gewertet
Zum Beispiel die Regelung der FIA, wonach Sergio Perez und Esteban Ocon in Sachen Komponentenstrafen ihre Konten von vor dem Eigentümerwechsel fortführen. Das ist nicht nachvollziehbar, wenn es sich wirklich um ein neues Team handelt.
Oder auch das sogenannte "Budapest-Agreement", dem letztendlich - teilweise in individuell unterschiedlicher Form - alle Teams zugestimmt haben. Darin, so glaubten die Verantwortlichen, ist geregelt, dass Force India weiterhin Preisgeld aus der sogenannten "Column 1" erhalten soll. Etwas, was Haas letztendlich zu dem Protest bewegt hat.
Steiners Position ist nachvollziehbar: Die Kommissare haben selbst entschieden, dass (Racing Point) Force India ein neues Team ist. Genau wie Haas in den Jahren 2016 und 2017. Doch während Force India als neues Team vom ersten Rennen an an "Column 1" partizipiert (das regelt das "Budapest-Agreement"), hat Haas die ersten zwei Jahre lang durch die Röhre geschaut.
Warum die 60 Millionen bisher kein Thema waren
Daran hat sich bisher niemand gestört. Denn in den kommerziellen Vereinbarungen der Formel 1 ist klar geregelt, dass "Column 1" nur an Teams ausgeschüttet wird, die in den vergangenen drei Jahren mindestens zweimal in den Top 10 der Konstrukteurs-WM gelandet sind. Das trifft auf Haas 2018 zum ersten Mal zu. Das amerikanische Team kassiert daher im Vergleich zu 2016 und 2017 28 Millionen Euro zusätzlich.
Nun hat Liberty Media im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: Entweder man zahlt Haas für 2016 und 2017 das "Column-1"-Geld nach, fast 60 Millionen Euro - oder aber man nimmt es (Racing Point) Force India bis 2020 weg. Denn erst dann wird das neue Team voraussichtlich zweimal hintereinander Top 10 gewesen sein (2018 und 2019).
Muss Haas überhaupt Protest einlegen? Nein!
Steiner hält sich mit einer Interpretation des Urteils noch zurück: "Ich werde jetzt mal mit meinen Rechtsberatern sprechen. Dann sehen wir weiter." Vor "Montag oder Dienstag" werde in der Angelegenheit nichts weiter passieren. Die Zeit drängt nicht: Haas hat 96 Stunden Zeit, um bei der FIA Berufung einzureichen. Also bis Mittwoch um 13:22 Uhr.
Ob das überhaupt notwendig ist, sei dahingestellt. Über die Frage, ob Haas das Geld zusteht, würde nicht die FIA, sondern ein ordentliches Gericht entscheiden. Dabei stellen sich Fragen wie: ein britisches oder ein amerikanisches? "Da seid ihr schon viel weiter als ich", winkt Steiner ab.
Immerhin räumt der Südtiroler ein, dass es Haas bei dem Protest "absolut" in erster Linie darum ging, schwarz auf weiß feststellen zu lassen, ob (Racing Point) Force Indias Status nun der eines "neuen Teams" ist oder nicht. Das ist gelungen: "Die Antwort steht im Urteil der FIA."
Liberty drohen nun teure Konsequenzen
"Dieses Urteil", sagt Steiner, "hat sehr wenig mit Chase zu tun. Es ist ein sportliches Urteil." Mag sein. Die Konsequenzen dieses sportlichen Urteils der FIA treffen den kommerziellen Formel-1-Chef Chase Carey aber sehr wohl. Liberty Media befindet sich in einer Zwickmühle - und die könnte letztendlich sehr viel Geld kosten. Was für den ohnehin angeschlagenen Kurs der Formel-1-Aktie wohl verheerend wäre.
Jetzt sind die Gerichte am Wort. Dass Haas gegen das FIA-Urteil in Berufung gehen wird, kann sein. Notwendig ist es nicht. Die Feststellung, dass (Racing Point) Force India ein neues Team ist, steht ja schwarz auf weiß drin. Und genau das benötigen die Haas-Anwälte als Grundlage, wenn es vor einem ordentlichen Gericht um 60 Millionen Euro geht ...