Formel-1-Kalender: Droht eine "Überfütterung des Publikums"?
2018 wird an drei Wochenenden aufeinander gefahren, wie soll das erst bei noch mehr Rennen werden? Teamchefs und Formel-1-Experten sehen Expansion kritisch
(Motorsport-Total.com) - In der Formel-1-Saison 2017 wird mit dem Großen Preis von Ungarn an diesem Wochenende die zweite Saisonhälfte eingeläutet. Doch das kommende Jahr wirft seine Schatten bereits voraus. Nicht nur das Fahrerkarussell dreht sich weiter. Auch der vorläufige Kalender für 2018 (und darüber hinaus) bietet Raum für Diskussionen. Zwar findet mit 21 Rennen nur eines mehr statt als in diesem Jahr, doch erstmals in der Geschichte wird es Grands Prix an drei aufeinander folgenden Wochenenden geben.
Mit Frankreich (24.06.), Österreich (01.07.) und Großbritannien (08.07.) steht die Formel 1 vor einer Mammutaufgabe. "Das wird hart. Drei Grands Prix direkt hintereinander, dann ein freies Wochenende und gleich wieder zwei Back-to-Back-Rennen. Das macht fünf Rennen in sechs Wochen. Das ist insbesondere für die Mechaniker, die Techniker, die Leute im Hintergrund eine riesige Herausforderung", weiß Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Für alle Teams, insbesondere aber für kleinere Teams mit begrenzten Ressourcen, könne das vor allem dann zum Problem werden, wenn im Rennen Unfälle passieren und die Boliden größeren Schaden nehmen. Davor warnen auch Piloten wie Felipe Massa (Williams): "Der Kalender ist extrem eng gestrickt. Das ist für die Jungs in der Garage noch härter als für mich als Fahrer. Es ist schwierig, nicht unmöglich, aber schwierig."
Niki Lauda warnt vor "Überfütterung des Publikums"
Eine Schmerzgrenze hat aber auch der Brasilianer. Denn 25 Rennen pro Saison, wie sie sich Liberty Media angeblich vorstellen könne, hält er für nicht machbar. "Das wären definitiv zu viel - insbesondere für einen so alten Mann wie mich", scherzt Massa, dessen Verbleib in der Formel 1 noch unklar ist. Mit der Forderung, perspektivisch 25 Grands Prix in den Kalender zu hieven, hatten die neuen Besitzer schon kurz nach Übernahme für Furore gesorgt.
Auch wenn Formel-1-Chef Chase Carey beschwichtigte, dass es einen solch konkreten Vorschlag nicht gegeben habe, geistert die Zahl seitdem durch die Medien und auch durch das Paddock. McLaren-Pilot Fernando Alonso drohte sogar öffentlich mit Rücktritt, sollte es tatsächlich zu 25 Rennen im Kalender kommen. Auch aus den Teams sind mehrheitlich kritische Stimmung zu vernehmen, wenn es um eine Expansion diesen Ausmaßes geht.
Niki Lauda etwa warnt im 'ORF': "Wenn man zu viel bietet, geht das Interesse zurück. Ich glaube, 21 oder 22 ist das Maximum. Sonst musst du wieder doppelte Mechaniker-Teams haben, um das Ganze durchzuhalten. Logistisch ist es schwierig - und aus meiner Sicht eine Überfütterung des Publikums. 21/22 wäre für mich die logische Grenze." Darin ist sich der Österreicher mit Landsmann und Mercedes-Kollege Toto Wolff einig.
Formel-1-Kalender der Zukunft: Ein Kommen und Gehen?
"Es geht darum, dass man eine exklusive Sportveranstaltung hat", sagt er und zieht Vergleiche zu anderen sportlichen Events: "Wimbledon gibt es nur einmal im Jahr, die Fußball-Weltmeisterschaft nur alle vier Jahre. Und diese Balance müssen wir richtig hinkriegen. Liberty will natürlich was verdienen. Und mehr Grands Prix bedeuten mehr Verdienst. Aber gleichzeitig muss es ein wirkliches Highlight bleiben", mahnt Wolff.
Haas-Teamchef Günther Steiner glaubt indes, dass sich Qualität und Quantität nicht ausschließen müssen. Bis zu 25 Rennen sind aus seiner Sicht möglich, "wenn sie es verkaufen können und genug Interesse da ist", erklärt der Südtiroler: "Das ist immer ein Balanceakt: Wann bist du nicht mehr interessant, wann ist es einfach nur noch Massenware, sodass jedes Wochenende ein Rennen ist und die Leute nicht mehr schauen, nicht mehr kommen."
Fotostrecke: Neue Formel-1-Strecken seit 2000
24.09.2000: Grand Prix der USA in Indianapolis. Das erste Premierenrennen der Formel 1 nach der Jahrtausendwende ist eigentlich keines. Einen Großen Preis der USA hatten schon mehrere Rennstrecken ausgerichtet, und zwischen 1950 und 1960 zählte das Indianapolis 500 zur Formel 1. Doch 2000 gingen die Piloten erstmals auf der 4,129 Kilometer langen Strecke an den Start, die das berühmte Oval mit einem Straßenkurs verbindet. Fotostrecke
Seiner Einschätzung nach wird es so bald nicht zu 25 Rennen kommen. 22 oder 23 hält er aber für durchaus realistisch - und vertraut auf das Knowhow der neuen Eigentümer. Diese werden nicht nur mögliche neue Austragungsorte wie etwa New York oder Miami auf ihr Potenzial abklopfen, sondern auch aktuelle Grands Prix genau bewerten, ist sich Helmut Marko sicher. Der Red-Bull-Motorsportkonsultent erwartet künftig einige Bewegungen im Rennkalender.
Liberty kann sich Kalender nach Regionen vorstellen
"Natürlich werden dann Rennen, die nicht den Zulauf haben, über die Klinge springen. Wir haben ja einige Rennen in Asien, die mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden", erklärt Marko. Gerade die aber entrichten mitunter die höchsten Antrittsgelder. Doch der Österreicher warnt vor voreiligen Schlüssen: "Es geht darum, den Sport, das Produkt so gut wie möglich zu gestalten. Da wird man neue Einnahmen kreieren müssen."
Und damit schließt sich der Kreis zur Anzahl der Grands Prix, die es klug abzuwägen gilt. Genau darum bemühe sich die neue Formel-1-Führungsriege, betont Marketingchef Sean Bratches. Gemeinsam mit den Teams und Fahrern werde nach einem Kompromiss gesucht, der für alle tragbar ist. So könnte sich Liberty Media etwa einen Formel-1-Kalender vorstellen, der nach Regionen gruppiert wird und die Belastung in Grenzen hält.
"Wenn man alle Europa-Rennen in einem Segment gruppiert, alle Amerika-Rennen und dann alle Asien-Rennen, ist das weniger anstrengend für die Beteiligten und auch weniger kostenintensiv", schildert Bratches die Idee. "Zudem gibt es Sponsoren die Möglichkeit, sich regional einzubringen, und Fans können sich darauf einstellen, dass Rennen die nächsten zweieinhalb Monate am Morgen, jene danach am Mittag und so weiter stattfinden, je nachdem wo sie sind."
In diesem Modell sieht Liberty Media vielerlei Vorteile. Vorerst bleibt es aber Zukunftsmusik. Denn die Hindernisse dafür lauern nicht nur in der Formel 1. Kollisionen mit anderen Rennserien sind schon jetzt nicht zu vermeiden. Mit noch mehr Grands Prix verschärft sich das Problem. Red-Bull-Teamchef Christian Horner findet: "Formel 1 ist die größte Motorsport-Meisterschaft der Welt. Sie sollte sagen können: Das ist unser Kalender - und die anderen passen sich an."