• 06. Oktober 2016 · 05:10 Uhr

US-Markt überschätzt: Die Formel 1 braucht Amerika nicht

Seit 1950 arbeitet die Formel 1 an ihrem US-Durchbruch, mit Liberty Media als neuem Besitzer steigt der Druck zusätzlich - Warum das Ansinnen vergeblich ist

(Motorsport-Total.com) - Seitdem bekannt wurde, dass Liberty Media neuer Hauptanteilseigner der Formel 1 ist, diskutiert die Medienwelt: Was werden die neuen Besitzverhältnisse für die Lizenzen bedeuten? Wird sich Liberty für eine stärkere Präsenz in den Staaten einsetzen? Wie werden sich Digitalisierung und die Gaming-Sparte entwickeln?

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Seit 2012 fährt die Formel 1 wieder in den USA - Gibt es bald noch mehr Rennen? Zoom Download

In dieser Kolumne soll der Fokus darauf liegen, wie besessen die Königsklasse ist, es im Land der Freiheit endlich zu schaffen.

Amerika ist nicht länger der größte Autokäufer der Welt, dieser Titel geht an China. Es hat auch nicht das Automobil erfunden wie Deutschland. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass Detroit führender Standort der US-Automobilindustrie und diese als solcher ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Kultur ist.

Formel 1 in Amerika: Ein Kommen und Gehen

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Formel 1 ein Interesse daran hat, sich in den USA dauerhaft zu positionieren. Der scheinbar unerschlossene Markt voller Rennsportfreaks würde drei (oder mehr) Stippvisiten von Lewis Hamilton und Mercedes zu schätzen wissen und in den hoch technologisierten Sport investieren - auch wenn längst bekannt ist, das die LMP1-Klasse der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft noch weiter entwickelt ist.

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Bruce McLaren beim Feiern seines Sieges auf dem Sebring International Raceway Zoom Download

Doch nicht selten ist es in der Formel 1 so: Was auf dem Papier gut aussieht, tut das nicht zwangsläufig auch auf der Strecke. Das hat die Königsklasse auch in den Jahren seit ihrem ersten offiziellen Grand Prix in Amerika im Jahr 1959 noch nicht begriffen. Damals fuhr die Weltmeisterschaft noch zweigleisig, denn die Rennen der Indy 500 zählten von 1950 bis 1960 zur Formel 1 dazu.

Seit dem ersten US-Grand-Prix, den Bruce McLaren in Sebring gewann, machte die Serie auf fünf verschiedenen Strecken Station in den Staatem. Hinzu kommen vier weitere Strecken, auf denen die Formel 1 unter leicht abgewandelten Namen gastierte, wie etwa beim Großer Preis der USA West in Long Beach.

Zuschauerinteresse in den USA rückläufig

Insgesamt richteten die USA 55 Grands Prix (einschließlich elf Indy 500s) aus, vergleichbar mit Frankreich (58) oder Deutschland (62). Zählt man jedoch die Jahre mit mehreren US-Rennen, schrumpft die Zahl der Saisons mit mindestens einem Lauf auf amerikanischem Boden auf 47 (von 67).

Es ist auch nicht so, dass einer der amerikanischen Grands Prix besonders viele Zuschauer angezogen hätte: Ein Ostrich-Rennen in Phoenix hatte am Sonntag mehr Besucher als das Formel-1-Rennen auf selber Strecke. Bei der Rückkehr der Königsklasse in die USA im Jahr 2000 verzeichnete Indianapolis nur die Hälfte des Fanaufkommens als bei der üblichen Indy 500. Zwar waren die Besucherzahlen für Formel-1-Standards hoch, halbierten sich aber noch einmal, bevor Streckenboss Tony George endgültig den Stecker zog.

Die Schuld dafür, dass die Formel 1 nicht länger in Indy fuhr, geben viele dem Michelin-Debakel im Jahr 2005, als beim Großen Preis der USA nur die sechs Autos mit Bridgestone-Reifen das Rennen antreten konnten. Doch die Zusammenarbeit war lange zuvor ein Auslaufmodell.

Formel-1-Rennen in New Jersey kam nie zustande

In den Jahren 1992-99 und 2008-11 - vor und nach dem ersten und letzten Großer Preis der USA auf dem Indianapolis Motor Speedway - pausierte die Formel 1 auf amerikanischem Boden. Das einzige Formel-1-Rennen in Nordamerika fand in Montreal statt. Dennoch führte dies nicht dazu, dass Rennsportfans die Lücke füllten, indem sie in entsprechend hoher Anzahl nach Kanada auswichen.


Fotostrecke: GP USA, Highlights 2015

Seitdem die Königsklasse im Jahr 2012 auf dem Circuit of The Americas in Austin fährt, sind die Besucherzahlen stetig zurückgegangen. Im vergangenen Jahr schoben das die Promoter auf das Wetter und die Rückkehr des Mexiko-Rennens in den Formel-1-Kalender. Fakt ist, dass die meisten Fans ihre Reise schon weit im Voraus und damit auch weit vor Hurricane Patricia geplant hätten. Das wiederum zeigt: Der Grand Prix fußt fast ausschließlich auf lokalen Fans. Ein weiterer Hinweis auf die geringe Zugkraft in den USA.

Im September 2013 gab die FIA den Kalender für die nächste Saison bekannt, der am 1. Juni ein Rennen in New Jersey vorsah. "Das Team des Großen Preises von Amerika ist überglücklich, Teil des Kalenders für 2014 zu sein, und freut sich darauf mit der Formel 1 Weltklasserennsport nach New Jersey zu bringen", sagte Rennpromoter Leo Hindery jun. damals stolz.

US-Marken in der Königsklasse überschaubar

Vier Jahre später ist die Formel 1 dort noch immer nicht gefahren, und es ist unwahrscheinlich, dass das so bald passieren wird. Dafür wird die Formel E bald durch die Straßen von New York rasen - ein Vorstoß, an dem der große Bruder bis heute scheiterte.

Es ist auch nicht so, als würden sich US-Marken darum reißen, die Formel 1 zu sponsern. Reifenausstatter Pirelli stammt aus Italien. Goodyears letztes Engagement liegt fast 20 Jahre zurück. Von den vier großen Ölmarken in der Formel 1 ist nur Mobil-Esso amerikanisch, der Rest kommt aus Europa (Shell, Total) oder Malaysia (Petronas).

General Motors und Chrysler haben sich nie in der Formel 1 engagiert. Chrysler startete mit Lamborghini zwar einst einen Schnupperkurs, der aber wenig spektakulär ausfiel. Die Allianz mit Mercedes endete, bevor es in der Formel 1 ernst wurde. Ford ist über seine europäischen Partner wie etwa Cosworth mal ein- und mal ausgestiegen. Die Jahre mit Jaguar von 2000 bis 2004 endeten enttäuschend. Auf dem US-Markt konzentrierte sich Ford im Bereich Motorsport auf NASCAR und zeitweilig CART Indycar.

Red Bull scheiterte in NASCAR-Serie

Wirft man einen Blick auf die Werbepartner der Formel-1-Teams, fällt auch hier ein Mangel an US-Interesse ins Auge. Warum sollte ein weitere US-Grand-Prix daran etwas ändern? Rühmt sich die Formel 1 doch schon jetzt damit, eine internationale Marketingplattform zu sein. Ferrari arbeitet mit UPS/TNT und Ray-Ban/Oakley, während das Comeback von Alfa Romeo an die Atlantik- und Pazifikküste einmal mehr verschoben wurde.

Red Bull hatte sich in den Staaten ein eigenes NASCAR-Team aufgebaut. Als das jedoch zu wenig Anhänger fand, sponserte Red Bull seine ehemaligen Kontrahenten, bevor man sich komplett zurückzog. Wenn sich schon NASCAR nicht verkauft, warum sollte es bei der Formel 1 funktionieren?

Mercedes pflegt Partnerschaften mit den US-basierten Marken Bose, Monster und Starlight. Auch McLaren hat - neben Mobil/Esso - eine Handvoll US-Partner (Michael Kors, Hilton). Motorenpartner Honda nimmt an der IndyCar-Serie teil, um den Verkauf von Autos und Trucks anzukurbeln. Und Williams hat nur einen größeren Sponsor mit US-Wurzeln vorzuweisen. Weiter hinten im Feld der Formel-1-Teams ist die Situation nicht anders.

Haas will expandieren - aber nicht in den USA

Haas F1, das einzige US-amerikanische Team in der Formel 1 seit 30 Jahren, ist in den Staaten in mehreren Motorsportserien unterwegs, darunter NASCAR, um die Produkte des Mutterkonzerns zu bewerben. Es strebt vor allem nach weltweiter Expansion beim Verkauf seiner CNC-Maschinen.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Warum gibt es keine amerikanischen Fahrer in der Formel 1? Wenn Piloten aus Venezuela oder Kolumbien Grands Prix gewinnen können, warum dann nicht auch solche aus Kalifornien oder New York? Auch hier wird vor allem in die europäische Nachwuchsförderung investiert, selbst wenn das Geld sicherlich vorhanden wäre.

Mitte der Neunziger ging BMW mit einer gleichnamigen Formel-Serie, der Formel BMW, an den Start, um die Lücke zwischen Kart- und Formelsport zu schließen. Die in den USA aufgelegte Meisterschaft mit Formel-BMW-Fahrzeugen erfreute sich großer Beliebtheit und war unter den fünf regionalen Serien die erfolgreichste.

Kein gesteigertes Interesse der Teams

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Alexander Rossi gewann das Indy 500, fuhr in der Formel 1 nur als Ersatzmann Zoom Download

Obwohl es seine Vielzahl von Fahrern von dort aus in die Königsklasse des Motorsports schafften - darunter der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel sowie Haas-Pilot Esteban Gutierrez - blieb Alexander Rossi dieser Aufstieg versagt. Er gewann zwar den amerikanischen Titel und das Formel-BMW-Weltfinale 2008, schaffte aber nie den Sprung in die Formel 1. Er begann stattdessen eine IndyCar-Karriere und fuhr in diesem Jahr in der Indy 500 zum Sieg.

Unter diesen Gesichtspunkten gibt es keinen triftigen Grund, aus dem Liberty sich intensiv auf den US-Markt konzentrieren müsste, auch wenn seine Besitzer und Führungskräfte vorrangig aus den Staaten kommen. Diese Tatsache allein macht noch kein Geschäftsmodell aus. Könnten die Interessen der Teams daran etwas ändern?

Ferrari, das seit der Ausgliederung aus der Fiat-Gruppe Ferrari an der New York Stock Exchange gelistet ist, hat im Jahr 2014 30 Prozent seiner begrenzten jährlichen Produktion von etwa 7.000 Auto in Amerika verkauft. Im Vergleich hat die Marke den etwa gleichen Anteil auch auf europäischen Märkten umgesetzt. Auf China und Japan entfielen neun beziehungsweise sechs Prozent, die restlichen 25 Prozent streuten über den Rest der Welt.

Mercedes im US-Markt am etabliertesten

Das Unternehmen beabsichtigt, sein jährliches Volumen auf 10.000 Fahrzeuge zu erhöhen oder 900 zusätzliche Fahrzeuge in den US- und noch einmal so viele in den europäischen Markt zu streuen. Lohnt es sich für Liberty, für umgerechnet 80 Autos im Monat auf Amerika zu setzen?

Mercedes ist bereits wesentlicher Bestandteil des US-Automarktes. In seiner Fabrik in Alabama fertigen rund 4.000 Mitarbeiter vorrangig SUVs. Pro Jahr verkauft das Unternehmen 400.000 Stück, Importe eingeschlossen.

Renault ist in Amerika nicht präsent, während Allianzpartner Inifiniti im Jahr 2015 nur etwa 100.000 Fahrzeuge verkaufte. Damit sind alle Motorenhersteller, die sich in der Formel 1 engagieren, genannt (Honda wurde bereits weiter oben erwähnt). Ein zwingender Anreiz für eine US-Offensive ergibt sich daraus nicht. Die Äuqivalente von Audi, BMW und Jaguar treten in der Formel E an - oder planen, dies zu tun.

Liberty Media: Schuster, bleib bei deinen Leisten


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in den USA

All das weist darauf hin, dass der Markt überschätzt wird, weil er die Formel 1 ganz augenscheinlich nicht braucht - und umgekehrt. Natürlich steht es Liberty Media frei, sich auf Märkte zu konzentrieren, in denen es Potenzial sieht. Dabei sollte es aber in Betracht ziehen, warum die Meisterschaft bisher daran scheiterte, in den USA Fuß zu fassen - und das, obwohl sie über sechs Jahrzehnte daran gearbeitet hat.

Letztlich liegt das auch an Unterschieden in der eigenen Sportkultur. Diese sollte Liberty nur allzu gut kennen, immerhin steht auf der Firmenwebsite: "Die Liberty Braves Group besteht aus der zur Liberty Media Corporation gehörenden Tochtergesellschaft Braves Holdings, LLC, die indirekt über das US-ametrikanische Baseball-Team Altanta Braves (MLB), dessen Stadion und weiteren damit verbundenden Grundbesitz verfügt."

Genauso wenig wie die MLB es in Europa geschafft hat, gelang der Formel 1 ihr Durchbruch in den USA. Und genauso wie MLB aufgegeben hat, sollte es die Formel 1 tun. Unter dem Versuch von Liberty, die Königsklasse im eigenen Heimatland groß zu machen, sollten ihre Kernmärkte, einschließlich Europa, nicht leiden. Vielmehr sollte die Priorität aktuell darauf liegen, die Formel 1 zu festigen, statt sie zu zerstückeln.

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