Nach Brexit-Referendum: Formel 1 vor ungewisser Zukunft
Für die auf der Insel beheimateten Teams werfen sich Fragen nach Zöllen und Arbeitsgenehmigungen auf - Ecclestone pro Brexit - Umzüge langfristige Folge?
(Motorsport-Total.com) - Man könnte meinen, die Formel 1 würde sich das Leben selbst schwer genug machen. Da kommen die Briten mit ihrem Referendum für einen sogenannten Brexit - dem Aussteigen Großbritanniens aus der Europäischen Union - und sorgen für zusätzliche Unsicherheit. Sieben der elf engagierten Mannschaften haben ihren Hauptsitz auf der Insel, ein weiteres lässt sein Rennteam von dort aus operieren. Das wirft Fragen auf. Es drohen schwerwiegende Konsequenzen für alle Beteiligten.
Trotzdem ist es angesichts der Spaltung in der Gesellschaft an der Streitfrage kaum verwunderlich, dass das Stimmungsbild in der Formel-1-Szene nach der Abstimmung überhaupt nicht eindeutig ist. Ex-Piloten drückten am Freitag in den Sozialen Netzwerken ihr Bedauern über die Entscheidung aus, einige zeigten sich gespalten. Am deutlichsten wurde Damon Hill, der auf Twitter zynisch erklärte: "Ihr wollt eine Revolution? Wir alle würden gerne euren Plan dafür sehen. Hat jemand einen? Bevor wir in Großbritannien zur Anarchie übergehen?"
Ähnlich klar äußert sich Formel-1-Boss Bernie Ecclestone. Er ist Brexit-Befürworter und glaubt, dass die Königsklasse nicht beeinflusst würde. "Ich habe es immer unterstützt", sagt der 85-Jährige gegenüber 'Reuters'. Kein Wunder, denn ihm droht durch die EU-Behörden juristischer Ärger wegen vermeintlicher Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit, die ihm die Teams anlasten. "Ich halte es für das Beste, wenn wir uns selbst regieren. Wenn ich ein gutes Produkt zum richtigen Preis verkaufen will, kaufen es die Leute, ob Chinesen, Italiener oder Deutsche", meint Ecclestone weiter.
McLaren befürchtet gravierende Probleme für das Geschäft
Dieses Argument teilen nur wenige. Das urbritische McLaren-Team spricht sich in Person von Ron Dennis gegen einen Brexit aus. "Mehr als 3.000 Familien hängen von unserem Schicksal ab, dazu unsere Zulieferer und ihre Angestellten", schreibt der Unternehmenspatron in der 'Times' und nennt einen EU-Verbleib "fundamental für das Geschäft" in Woking, wo Serien-Sportwagen produziert und Forschung für die Industrie betrieben wird. Er spricht außerdem von "schwerwiegenden Konsequenzen", sollte Schluss sein mit der Teilnahme an dem Europäischen Binnenmarkt.
Doch kommt es wirklich soweit? Aus dem Verband der Britischen Motorsportindustrie kommen positive Signale. Dessen Chef Chris Aylett sagt 'Reuters': "Europa ist ein großer Markt, aber die Vereinigten Staaten sind es auch. Werden wir auf lange Sicht einbüßen? Wir täten es sowieso, auch mit der EU." Er argumentiert, dass sich nicht alle Konzerne für ihr Renngeschäft auf der Insel niedergelassen hätten und nennt Hyundai in Alzenau und Toyota in Köln: "Wir können nicht alle haben." Momentan sind es jedoch nicht nur die Einheimischen McLaren, Williams und Manor, sondern auch Mercedes, Red Bull, Force India und Renault. Haas hat eine wichtige Dependance eröffnet.
Haben die Formel-1-Teams schon einen Plan B?
Die ersten Folgen werden unmittelbar nach dem Referendum spürbar. Der Absturz des Britischen Pfundes auf den Devisenmärkten macht Hotels, Catering und andere Umkosten eines Grand-Prix-Wochenendes teurer. Dabei wird es nicht bleiben: Sollte es nach dem EU-Ausstieg nicht zu bilateral ausgehandelten Freihandelsabkommen und Übereinkünften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit kommen, tauchen die nächsten Probleme auf. Prozesse, die heute selbstverständlich sind, würden kompliziert.
Was ist zum Beispiel mit deutschen Angestellten der Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth? Sie müssten eventuell eine Arbeitserlaubnis beantragen. Wie bekommt Red Bull seine Renault-Motoren nach Milton Keynes? Stehen die Lkw aus Frankreich stundenlang an der Zollkontrolle? Und was kostet der Spaß, wenn London plötzlich wieder Einfuhrzölle erheben sollte? Wie kommen die fertigen Autos runter von der Insel, wenn zeit- und kostenaufwendiger Papierkram für ein Chaos sorgt? Und braucht künftig jeder Besucher der Fabriken ein Visum, damit er nach Großbritannien reisen darf?
Solche Gedankenspiele ließen sich endlos weiterspinnen. Es gibt Fragen über Fragen. Bisher aber nur wenige Antworten darauf. Fakt ist, dass in Großbritannien bereits über ein Szenario gesprochen wird, bei dem europäische Unternehmen ihren Rückzug von der Insel antreten. Mit über 40.000 Angestellten, deren Arbeitsplätze direkt von der Motorsport-Industrie abhängen, und über zehn Milliarden Euro geschätztem Jahresumsatz sind die Formel 1 und Co. wirtschaftlich kein kleines Licht.
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#10: Der österreichische Designer Gustav Brunner hat schon zweimal für Ferrari gearbeitet, aber so viel Geld wie zwischen 2001 und 2005 bei Toyota hat er nie zuvor verdient. Bevor er das Toyota-Angebot annimmt, empfindet er dieses finanziell zwar als gut, aber nicht überragend - bis er merkt, dass die vereinbarte Gage jährlich gedacht ist und nicht wie irrtümlich angenommen für die komplette Vertragslaufzeit. Fotostrecke
McLaren, Williams und Manor müssten mit vielen Einschränkungen leben, andere könnten ihre Sachen packen. Doch die Hürden für die Abwanderung aus Großbritannien sind hoch. Viele Teams haben viel Geld in Infrastruktur investiert, die sich nicht so einfach ab- und an anderer Stelle neu aufbauen lässt. Ein würde Umzug wird zum Kosten-Nutzen-Rechenexempel. Hinzu kommt, dass Zulieferer unabhängig von Teams auf der Insel verbleiben, womit Zollschranken für Unheil so oder so sorgen würden.
Doch Formel 1 funktioniert außerhalb des sogenannten "Formula-One-Valleys" in Mittelengland. Das zeigen Ferrari in Maranello, Toro Rosso im ebenfalls italienischen Faenza und Sauber im schweizerischen Hinwil. Für die Konkurrenz gibt es Optionen: Mercedes hätte die Möglichkeit, sein Team im Schoße des Konzerns in Stuttgart zu beheimaten und Renault könnte die Truppe nach Frankreich holen, Red Bull bei seiner Juniortruppe. Doch noch ist der Brexit nicht wasserfest. Kein Grund, nicht über einen Plan B nachzudenken.