Staffel 5 von "Drive To Survive": Netflix findet die richtige Balance
Die fünfte Staffel der Formel-1-Serie "Drive To Survive" auf Netflix mag eine flachere Story haben als ihr Vorgänger - Warum sich das Einschalten dennoch lohnt
(Motorsport-Total.com) - Ein Wort der Warnung. Staffel 5 von "Drive To Survive" beginnt mit einem kurzen Rückblick auf das Saisonfinale 2021, das für einen Teil der ständig wachsenden Fangemeinde der Formel 1 eine schmerzhafte Erfahrung sein könnte.
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Netflix liefert wieder einen unterhaltsamen Blick auf die vergangene Saison Zoom Download
Aber gleich das erste Segment über die Saison 2022 entspannt die Stimmung wieder: Es zeigt die beiden Kumpels Mattia Binotto und Günther Steiner, wie sie in einem Fiat 500 einen kleinen Ausflug in die italienischen Dolomiten genießen und das Weingut des ehemaligen Ferrari-Teamchefs besuchen.
Dieser Wechsel gibt den Ton für die gesamte Staffel an. Ihr gelingt es, die Spannung und die Rivalitäten, die die Formel 1 so fesselnd machen, geschickt mit unbeschwerten Momenten zu verbinden, die eine menschlichere Seite der Protagonisten zeigen.
Die erste Folge konzentriert sich auf den Saisonauftakt in Bahrain und die "neue Ära" des technischen Reglements der Formel 1 für 2022. Das radikale Zero-Pod-Konzept von Mercedes erregt die Aufmerksamkeit - und den Spott - der Konkurrenz.
Während sich deren Vorbehalte angesichts der Schwierigkeiten von Mercedes auf der Strecke bald als gerechtfertigt erweisen, verlagert sich der Fokus auf Ferrari. Denn die Scuderia scheint endlich über die Mittel zu verfügen, um den anspruchsvollen Tifosi eine weitere Krone zu bescheren - ein Handlungsbogen, der in späteren Episoden fortgesetzt wird. Wir alle wissen inzwischen, dass es kein Happy End gab.
Es wird schnell deutlich, dass Netflix und die Produktionsfirma Box to Box Films an ihrem Konzept festgehalten haben. Warum sollte man auch ein Erfolgsrezept ändern, das die Popularität der Formel 1 in ungeahnte Höhen getrieben hat.
Man hat das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein
Das Kamerateam, das jedes Grand-Prix-Wochenende einen anderen Fahrer und ein anderes Team begleitet, liefert wieder einmal ehrliche Einblicke und komödiantische Szenen und gibt den Fans damit das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein.
Man spürt den Herzschmerz von Daniel Ricciardo und Mick Schumacher in ihren jeweiligen Folgen und sieht, wie Kevin Magnussen bei seinem unerwarteten Haas-Comeback Haas die Zeit seines Lebens hat. Den erzählerischen Kontext liefert weiterhin Will Buxton. Viele Fahrer und Teamchefs treten vor die Kamera.
Nachdem er sich in den vergangenen Staffeln geweigert hatte, an der Serie teilzunehmen, weil er mit der Erzählweise und der Darstellung mancher Fahrer nicht einverstanden war, hat auch Weltmeister Max Verstappen seine Mitarbeit fortgesetzt. Zuvor hatte es einigende Gespräche mit den Produzenten gegeben.
Verstappens Beiträge beschränken sich vielleicht auf einfache Sprüche und Plattitüden, aber wie wichtig es ist, den aktuellen Weltmeister an Bord zu haben, muss nicht erklärt werden.
Und der Niederländer kann sich sicher sein, dass seine Worte von Netflix nicht verfälscht werden. Aber die Serie ist selbstkritisch genug, um darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Unterhaltungsprodukt und keine Dokumentation handelt. Mercedes-Teamchef Toto Wolff verglich sie mit dem Hollywood-Blockbuster Top Gun.
Einer der Hauptkritikpunkte der Serie, die Tendenz, Kommentare aus dem Funk und Reaktionen an der Boxenmauer mit unzusammenhängendem Action-Material zu vermischen, setzt sich auch in Staffel 5 fort. Es wirkt aber weniger übertrieben als in den Vorjahren und dient hauptsächlich dazu, die Episoden voranzutreiben.
Ein bisschen flacher als die Achterbahn von 2021
Nach dem explosiven Ende der Saison 2021 bot das Jahr 2022 weniger uneingeschränkte Dramatik, und man könnte meinen, dass die Serie sich mehr Mühe geben würde, um neue Handlungsstränge zu entwickeln. Aber alles in allem hat sie das nicht wirklich getan.
Die meisten wichtigen Themen des letzten Jahres werden breit, aber recht fairen behandelt, auch wenn sie ein bisschen flacher sind als die Achterbahn von 2021.
Zu bemängeln ist, dass der Unfall von Guanyu Zhou in Silverstone mit endlosen Wiederholungen und dramatischen Pausen ausgeschlachtet wird, bis der Ausgang als glimpflich ausgelöst wird - frei nach dem Drehbuch zu Romain Grosjeans Feuerunfall 2020.
Nur wenige Segmente sind für eingefleischte Formel-1-Fans besonders aufschlussreich. Aber es sind diese kleinen Extras, die "Drive To Survive" für sie sehenswert machen.
Wir müssen zum Beispiel nicht hinter die Kulissen blicken, um daran erinnert zu werden, wie schlimm die Probleme von Mercedes waren. Aber dass Red-Bull-Teamchef Christian Horner offen in deren Niedergang schwelgt und darüber spekuliert, ob Lewis Hamilton zurücktreten wird oder nicht, ist ein frecher Farbtupfer, der den Faden einer feindseligen Rivalität aufgreift, die Staffel 4 dominierte.
Wir wussten auch von Wolffs Wut in den Teamchefsitzungen, als er versuchte, seine Kollegen davon zu überzeugen, das Thema Porpoising anzusprechen, und dabei auf den erbitterten Widerstand seines Erzfeindes Red Bull stieß.
Aber Teile davon in der Serie zu sehen, macht Lust, das Popcorn herauszuholen und zusammen mit den nicht minder amüsierten Zuschauern Andreas Seidl und Jost Capito zu kichern. Schließlich haben die Jahre der Mercedes-Dominanz Wolffs Kontrahenten nicht gerade zu Sympathisanten in seiner Notlage gemacht.
Fotostrecke: Die Pannenserie von Charles Leclerc: So verlor der Ferrari-Pilot die WM 2022
Nach drei Rennen schienen die WM-Chancen für Charles Leclerc riesig zu sein: 34 Punkte Vorsprung hatte er in der WM, sogar 46 auf Max Verstappen. Es folgte jedoch eine Serie von Pannen für den Ferrari-Piloten, ohne die der Titelkampf spannend hätte werden können. Wir schauen uns an, was Ferrari den Titel gekostet hat. Fotostrecke
Der Popcornvorrat wird erneut strapaziert, wenn wir Ferraris Strategiepannen miterleben und Red Bull für seinen Verstoß gegen den Kostendeckel kritisiert wird. Oder wenn sich Alpine und McLaren um Oscar Piastri streiten und wir die privaten Gespräche zwischen Otmar Szafnauer und Zak Brown mitverfolgen können.
Fernando Alonso erhält unsere Nominierung als bester Schauspieler in einer Nebenrolle, als er Alpine mit seinem plötzlichen Wechsel zu Aston Martin schockt. "Ich bin immer noch der Bösewicht", grinst der Spanier in die Kamera.
Kein gebührender Abschied von Sebastian Vettel
Auch der Glamour des ersten Grand Prix von Miami kommt nicht zu kurz, was Liberty Media sicherlich gefallen dürfte. Zudem wird die AlphaTauri-Bromance zwischen Pierre Gasly und Yuki Tsunoda großzügig in Szene gesetzt, und der heimliche Serienstar Steiner bekommt ebenfalls wieder viel Bildschirmzeit.
Dieses Mal bekommen wir aber auch eine gewichtigere, menschliche Seite hinter seinen schelmischen Witzen und F***-Bomben zu sehen. Sie sind eben genau wie wir anderen, diese Formel-1-Teamchefs. Wir können Alpine-Teamchef Szafnauer sogar dabei beobachten, wie er seine eigenen Hemden bügelt.
Etwas verwunderlich ist, dass Daniel Ricciardo einen viel größeren Abschied erhält als der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel. Der Deutsche taucht kaum auf und erhält nicht wirklich den Abschied, der seiner glanzvollen Karriere angemessen wäre.
Die Staffel über 2021 hatte es in sich, und einige der schwächeren Episoden von Staffel 5 erreichen nicht ganz das Niveau ihres Vorgängers. Doch das exklusive Filmmaterial, von dem "Drive To Survive" lebt, ist gerade interessant genug, um Staffel 5 wieder zu einem Muss zu machen, auch wenn einige Elemente für die leidenschaftlichsten Puristen der Formel 1 unweigerlich unangenehm sein werden.
Gelegenheitsfans und neue Fans - die Hauptzielgruppe - werden sich nicht für diese Details interessieren. Und sie werden wieder auf ihre Kosten kommen.