Kritik wegen Aramco: Vettel streitet Vorwurf der Heuchelei nicht ab
Grünwähler Sebastian Vettel macht jetzt Werbung für einen saudi-arabischen Erdölkonzern - und viele Formel-1-Fans fragen sich: Wie passt das zusammen?
(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettel, das weiß man, liegt die Umwelt am Herzen. 2021 hat er sein Engagement für gesellschaftsrelevante Themen mehr als in der Vergangenheit in den öffentlichen Fokus gerückt. In Österreich hat er gemeinsam mit Schulkindern ein Bienenhotel errichtet, in Silverstone selbst Müll aufgesammelt, in Ungarn ein Regenbogenshirt als Zeichen für mehr Toleranz getragen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Jetzt ist plötzlich Aramco Titelsponsor seines Arbeitgebers Aston Martin, und das passt auf den ersten Blick nicht so toll zu Vettels Bestreben, die Welt mit kleinen Dingen ein bisschen besser zu machen. Aramco ist der drittgrößte Ölkonzern der Welt, börsennotiert, aus Saudi-Arabien. Also zumindest auf den ersten Blick ganz weit weg von Umweltschutz und Menschenrechten.
Auf Social Media wird Vettel spätestens seit er sich geoutet hat, die Grünen zu wählen, von vielen Fans als Heuchler bezeichnet. Die Angriffsflächen sind vielfältig: Einer, der um die Welt jettet und bei Autorennen mit Verbrennungsmotoren sinnlos im Kreis fährt, damit Millionen verdient, die er teilweise nicht mal in Deutschland versteuert (weil er in der Schweiz wohnt), der soll doch bitte dem deutschen Otto Normalverbraucher nicht erklären, was er zu wählen hat, lautet ein oft genanntes Argument.
Jetzt also auch noch Aramco als Geldgeber - da reißt manchen Formel-1-Fans auf Facebook & Co. endgültig die Hutschnur! Dabei streitet Vettel das Heuchlereiargument gar nicht ab, sondern er gibt im Interview mit 'RTL' ganz offen zu: "Das, was ich mache, ist nicht sehr umweltbewusst und nicht nachhaltig. Also bin ich in der Hinsicht kein Vorbild - und kann unmöglich eins sein."
Vettel: Umweltbewusstes Handeln im Rahmen seiner Möglichkeiten
Allerdings betont er, dass ihm das voll bewusst sei und er im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, "das zu machen, was ich kann". Darüber, was er selbst konkret unternimmt, um die Umwelt und das Klima zu schützen, spricht Vettel nicht so gern, denn: "Sehr schnell verwechselt man das dann damit, dass sich Leute angesprochen fühlen und sagen: 'Nur, weil er das macht, denkt er, dass das jetzt okay ist.'"
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"Nein, das ist überhaupt nicht der Fall!", stellt er klar. "Ich glaube, jeder von uns muss für sich entscheiden, was er tun kann. Und hinterfragen, ob das gut ist oder nicht. Es gibt kleine als auch große Dinge. Der Verzicht auf Plastik, das Hinterfragen der eigenen Ernährung. Wo kommen die Sachen her, die ich zu mir nehme? Wie bewege ich mich fort?"
Ein konkretes Beispiel aus seinem Alltag: "Muss ich immer das Flugzeug nehmen oder kann ich aufs Auto umsteigen? Kann ich den Zug nehmen? Kann ich mit dem Fahrrad fahren? Da gibt's viele Themen und Verhalten, die wir ganz leicht für uns selbst anpassen können. Wer ist der Stromanbieter, wo beziehe ich meinen Strom? Wie gestalte ich mein Zuhause? Lass ich das Wasser laufen oder drehe ich es in der Zwischenzeit ab, wenn ich's nicht brauche?"
Doch der 34-Jährige betont: "Ich möchte die Leute nicht bekehren und belehren. Sondern mir ist das Thema sehr wichtig, weil es uns alle angeht und es keine Alternativen gibt. Und das Ganze sehr dringlich ist. Die Zeit drängt, die Fakten sind klar. Zahlen sind hie und da langweilig. Aber wenn man versteht, was auf dem Spiel steht, bekommt man sehr schnell auch mal Angst."
"Jetzt kann man einfach flüchten und das ignorieren. Oder man kann versuchen, es anzupacken. [...] Was auf dem Spiel steht, ist unsere Existenz. Wenn wir das nicht machen, sieht's düster aus. Aber wenn wir die Wende schaffen, ist die Zukunft besser und es geht uns allen besser als heute. Das finde ich extrem inspirierend. Daher siegt am Ende, zumindest bei mir, der Optimismus."
Und daher bekennt sich Vettel auch weiterhin offen dazu, bei der letzten Bundestagswahl die Grünen gewählt zu haben und mit den Grünen zu sympathisieren, "weil es in der Hinsicht die glaubwürdigste Partei ist, um gewisse Ziele zu erreichen". Zumal er zum Beispiel die Bilder von der Flutkatastrophe in Deutschland im Jahr 2021 noch genau im Kopf hat.
Vettel wünscht sich Maßnahmen seitens der Politik
"Natürlich kann man nicht 1:1 sagen, das ist aufgrund der Klimakrise und aufgrund des Wandels passiert", weiß Vettel. "Aber die Wahrscheinlichkeit steigt eben, und das Ausmaß." Jetzt sei Handeln gefragt und dass "auf der einen Seite jeder Einzelne versucht, was zu verändern, was Gutes beizutragen; aber auf der anderen Seite auch die Politik die Rahmenbedingungen schafft, dass sich auch im Großen was verändert, und zwar zum Guten".
Dass Vettel lieber einen anderen Titelsponsor als Aramco gehabt hätte, sagt er zwar nicht, ist aber anzunehmen. "Ich suche die Sponsoren nicht aus, das ist nicht meine Entscheidung", sagt er in dem 'RTL'-Interview. So, wie es jetzt nun mal ist, möchte er aber versuchen, "von innen heraus" eine Veränderung zu bewirken, behauptet er.
Auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com' äußert sich Vettel in Bezug auf Aramco durchaus kritisch. Es liege "auf der Hand, dass sich die Ölkonzerne insgesamt die Frage stellen müssen, wie sie die Zukunft gestalten wollen und müssen. Ich glaube, das kann eine Chance sein, hoffentlich ein bisschen Einfluss zu nehmen, um die Dinge ein bisschen ins Bessere zu wandeln."
"Natürlich bin ich noch kein Fachmann", räumt der Deutsche ein, "und ich weiß noch nicht über alles Bescheid. Aber wenn es Ambitionen gibt, kann man die, glaube ich, auch ausbauen." Letztendlich sei es "unabdinglich", dass die Erdölkonzerne neue Wege einschlagen, fordert Vettel, denn: "Fossile Brennstoffe werden aussterben. Und das hoffentlich sehr bald."
In diesem Zusammenhang nimmt er auch sein Arbeitsumfeld, die Formel 1 als Motorsportserie, in die Pflicht: "Ein Banner auszurollen, wo viele Sachen draufstehen, ist toll. Besser als nichts. Aber irgendwann ist das auch ein bisschen flach. Irgendwann muss man sich auch auf das Machen konzentrieren."
Dass er sich als Formel-1-Fahrer in einem "extremen Zwiespalt" zwischen seiner großen Leidenschaft und dem Streben, nachhaltiger zu leben, befindet, das weiß Vettel selbst: "Das eine ist meine Leidenschaft, mein Leben. Andererseits versteht man mehr und fragt sich natürlich selbst: 'Wie passt das noch rein, wie passt das in unsere Zeit?'"
Er hat für sich daraus den Schluss gezogen, zwar nicht mit der Formel 1 aufzuhören, aber sich so zu engagieren, wie er eben kann: "Ich glaube, bevor man das Lenkrad an den Nagel hängt, sollte man zumindest probieren, möglichst viele Leute irgendwie mitzunehmen und dafür zu begeistern und davon zu überzeugen, dass wir die Zukunft besser gestalten können und müssen", erklärt Vettel.