Red-Bull-Rochade: Was sie über Lawsons Scheitern und Tsunodas Klasse aussagt
Redakteur Oleg Karpow ist der Meinung, dass der Fahrerwechsel bei Red Bull nicht nur eine Entscheidung gegen Liam Lawson, sondern für Yuki Tsunoda ist
(Motorsport-Total.com) - Bei der Entscheidung, Liam Lawson nach nur zwei Rennen wieder aus dem Red-Bull-Cockpit zu entfernen, geht es nicht nur darum, dass der Neuseeländer enttäuscht hat. Vielmehr spielt auch eine entscheidende Rolle, wie sehr Yuki Tsunoda in den vergangenen Monaten das Bild von sich selbst innerhalb des Teams verändert hat.

© Motorsport Images
Yuki Tsunoda und Liam Lawson tauschen nach nur zwei Rennen die Cockpits Zoom Download
Ist es fair, Lawson nach nur zwei Rennen fallen zu lassen? Nein, wahrscheinlich nicht. Er hatte kaum eine echte Chance, sich an das Auto zu gewöhnen oder Fortschritte zu machen. Ihn zumindest noch in Suzuka fahren zu lassen - auf einer Strecke, die er gut kennt und mag - wäre nachvollziehbarer gewesen.
Ist es hart? Absolut. Keine Frage.
Aber ist es fair gegenüber den über 1.000 Mitarbeitern bei Red Bull Racing, einen Fahrer zu halten, der nicht nur hinter den Erwartungen zurückbleibt, sondern auch die harte Arbeit des Teams nicht in Ergebnisse ummünzen kann?
Nach dem Rennen in Shanghai sprach Christian Horner über Daten. Er erklärte, dass 400 Ingenieure daran arbeiten, das Auto schneller zu machen - und 600 Sensoren seine Leistung überwachen. Wenn alle zeigen, dass ein Fahrer der Grund für die mangelnde Performance ist und es keinen Hinweis auf eine baldige Besserung gibt, dann müssen Teamchefs handeln.
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Horner und Helmut Marko würden niemals zugeben, dass es ein Fehler war, Lawson zu befördern. Schließlich war es ihre Idee, ihn ins Hauptteam zu holen. Doch es wäre naiv zu glauben, sie hätten Freude daran, immer wieder Fahrer durch die harte Red-Bull-Schule scheitern zu sehen. Genauso unsinnig wäre es, ihnen zu raten, das Auto nicht auf Verstappen zuzuschneiden - denn genau dieser Ansatz hat ihnen vier Titel in Folge gebracht.
Wenn sie auch nur den kleinsten Hoffnungsschimmer gesehen hätten, dass Lawson sich in Suzuka oder später noch signifikant steigern könnte, hätten sie ihm wahrscheinlich noch ein paar Rennen gegeben. Die Entscheidung, ihn jetzt auszutauschen, zeigt, dass die Daten nichts dergleichen versprachen.
Tsunodas Wandel zum Leader
Es ist nicht nur Lawsons schwache Performance, die zu dieser Entscheidung geführt hat - sondern auch Tsunodas beeindruckende Entwicklung.
Die Entscheidung im Dezember, den Japaner weiter bei Racing Bulls zu belassen, war ebenfalls hart. Er hatte nacheinander Nyck de Vries, Daniel Ricciardo und dann Lawson geschlagen - doch Red Bull entschied sich trotzdem gegen ihn. Viele Fahrer wären daran zerbrochen. Doch Tsunoda ließ sich nicht entmutigen.
Statt sich über die Ungerechtigkeit zu beschweren, kehrte er nach Faenza zurück und arbeitete noch härter an sich selbst. Sein Teamchef Laurent Mekies beschreibt es so: "Als er nach Europa zurückkam, sahen wir sofort, dass er in unglaublich starker Verfassung war. Hochmotiviert, fokussiert bis ins Detail, bereit, noch härter zu arbeiten als zuvor."
Tsunoda hätte allen Grund gehabt, frustriert zu sein. Stattdessen akzeptierte er die Situation und wurde stärker. Schon in Bahrain fiel auf, dass er sich als echter Leader bei Racing Bulls positionierte - ohne dabei zu verbergen, dass er immer noch das Red-Bull-Cockpit anstrebt.
Seine Leistungen zu Saisonbeginn unterstreichen das: starke Qualifyings, gute Rennpace, oft bessere Platzierungen als das Auto eigentlich hergibt. In Melbourne hätte er locker Sechster werden können, wenn nicht sogar besser. In Shanghai waren es Strategiefehler und ein kaputter Frontflügel, die ihn um wertvolle Punkte brachten.
Die Herausforderung, Verstappens Teamkollege zu sein
Doch jetzt steht Tsunoda vor einer Aufgabe, die als die schwierigste in der Formel 1 gilt: im gleichen Auto wie Max Verstappen respektabel auszusehen.
"Das Auto ist schneller", lachte er, als ihn Journalisten in Shanghai auf eine mögliche Red-Bull-Beförderung ansprachen. Aber schneller bedeutet nicht automatisch einfacher. Verstappens Fahrstil ist einzigartig, und der RB21 ist exakt darauf zugeschnitten. Fahrer wie Gasly, Albon und Perez haben am eigenen Leib erfahren, was das bedeutet.
Realistisch betrachtet ist es kaum zu erwarten, dass Tsunoda sofort deutlich besser abschneidet als Lawson. Die beiden waren in der Vergangenheit meist auf Augenhöhe. Tsunoda kann also nicht nur auf seine bisherigen Stärken setzen - er muss sich weiter steigern. Konstanz, Fehlervermeidung und mentale Stärke sind gefragt.
Besonders bitter: Er muss sich ohne Vorbereitung in das Auto setzen - und das ausgerechnet bei seinem Heimrennen in Suzuka, unter den Augen tausender japanischer Fans.
Ralf Schumacher könnte Recht haben: Tsunoda kann mehr verlieren als gewinnen. Im Gegensatz zu Morpheus in The Matrix ist Marko dafür bekannt, dass er Fahrern keine Wahl lässt: Tsunoda muss sich jetzt beweisen - ob er will oder nicht.
Red Bull muss selbst etwas ändern
Doch nicht nur Tsunoda muss sich anpassen. Auch Red Bull sollte überdenken, wie es mit seinen Fahrern umgeht.
Die Strategie, Talente unter maximalen Druck zu setzen, um zu sehen, wer daran zerbricht, hat in der Vergangenheit selten funktioniert. Wenn Red Bull wirklich möchte, dass es mit Tsunoda klappt, dann muss das Team ihm zumindest etwas Rückhalt bieten.
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Ein guter Anfang wäre eine klare Zusicherung, dass er den Sitz bis zum Saisonende sicher hat - und nicht nach zwei oder drei Rennen das selbe Schicksal droht wie Lawson. Zudem sollte Red Bulls PR-Abteilung aufhören, das Narrativ zu verbreiten, Tsunoda sei nur wegen Hondas Unterstützung befördert worden. Denn seine Leistungen sprechen längst für sich.
Wenn es mit Tsunoda nicht klappt, bleibt Red Bull kaum eine Alternative. Fahrer wie Isack Hadjar oder Arvid Lindblad sind viel zu unerfahren, um sie direkt ins kalte Wasser zu werfen. Und für Lawson gilt nun das gleiche wie für seinen ehemaligen Teamkollegen: Er muss die Kröte schlucken, an sich arbeiten - und stärker zurückkommen.