Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Oscar Piastri
Oscar Piastri steigt in China in den WM-Kampf ein und zeigt McLaren-Teamkollege Lando Norris, dass der Weg zur Weltmeisterschaft 2025 kein Spaziergang wird
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Zak Brown gratuliert Oscar Piastri, Lando Norris braucht erstmal einen Schluck Zoom Download
zugegeben, kurz habe ich schon überlegt, ob ich letzte Nacht nicht einfach Sergio Perez am besten schlafen lassen sollte, nach dem ganzen Tohuwabohu, das da aktuell bei Red Bull abgeht. Nach nur zwei Rennen soll Liam Lawson schon durch Yuki Tsunoda ersetzt werden - der dann zwar zur Freude Hondas sein Heimrennen im Red Bull kriegt, danach aber wahrscheinlich genauso an Max Verstappen zu Grunde geht, wie alle anderen vor ihm...
Wie zuletzt eben auch der fallengelassene Perez, der jetzt wahrscheinlich gerade irgendwo in Guadalajara sitzt, mit den Kindern spielt oder seinem pöbelnden Papa einen Tequila trinkt - und sich denkt, dass Red Bull die aktuellen Probleme mit ihrem Projekt namens "Jugend forscht" ganz recht geschehen: Schließlich war Perez im Vergleich zu Lawson geradezu nah dran an Teamleader Verstappen, wurde nie zweimal hintereinander Letzter im Qualifying, und so weiter und so fort... aber lassen wir das.
Ein (fast) perfektes Wochenende für Piastri
Denn letzten Endes fiel meine Wahl ja doch auf einen anderen Piloten, dessen Name ebenfalls mit dem Buchstaben P beginnt: Piastri, Oscar Piastri. Vielleicht die langweiligere, weil naheliegendere Wahl nach diesem Auftritt in China - was ja irgendwie auch schon wieder bestens passt, zum manchmal nahezu schon stoischen Piastri - aber das Wochenende des Australiers war summa summarum einfach zu gut, um es nicht zu tun.
Beweist es doch einmal mehr, was für einen Unterschied wenige Tage in der Formel 1 schon machen können: Gerade mal eine Woche ist es her, da war der Mann aus Melbourne ausgerechnet beim Gastspiel in seiner Heimatstadt noch der tragische Held. Ein Ausrutscher ins Kiesbett kostete ihn eine Podestplatzierung, wenn nicht sogar mehr, bedenkt man, dass Piastri im Albert Park zwischenzeitlich der schnellste Pilot auf der Strecke war und schließlich von seinem eigenen Team per Stallorder eingebremst werden musste.
Vor allem kostete ihn der schmerzliche neunte Platz vor seinen erwartungsvollen Fans aber viele Punkte in der WM. Kein idealer Start und manch einer unkte da schon, dass das bereits der erste Fingerzeig sei in Richtung Lando Norris. Nun, spätestens jetzt, sieben Tage später, ist Piastri "zurück" im WM-Kampf. Denn Sprint-Wochenenden eignen sich besonders gut, um eine Aufholjagd zu starten, gibt es doch acht Punkte mehr abzustauben als sonst.
So gesehen lohnte es sich quasi doppelt, dass dem McLaren-Piloten ausgerechnet in Shanghai, um es mit Piastris eigenen Worten zu sagen, sein "bislang komplettestes Formel-1-Wochenende" gelang - was ihn dazu befähigte, satte Punkte einzufahren, sich in der WM-Wertung schon wieder auf zehn Zähler ranzuarbeiten an Spitzenreiter Norris, durch ein (fast) perfektes Wochenende:
Lediglich den Freitag verschlief McLaren ein bisschen, so reichte es im Sprint nur zu den Startplätzen drei für Piastri und sechs für Norris. Doch während sich der Australier nach vorne orientierte und zumindest Verstappen für Rang zwei knackte, damit unterm Strich nur den einen Extrapunkt von Sprint-Sieger Lewis Hamilton am Tisch liegen ließ, zeigte Norris einmal mehr Nerven, verlor mit einem vermeidbaren Ausrutscher in der Startphase einige Positionen und endete nur auf Rang acht.
Shanghai-Sieg beweist Piastris steile Lernkurve
So kam es, dass Piastri bereits vor dem Rennen ein paar wertvolle Punkte gutmachte - und parallel Selbstvertrauen und Momentum aufbaute, ausgerechnet auf einer Strecke, mit der er beim letzten Besuch im Vorjahr noch zu kämpfen hatte. Ein starkes Zeugnis seiner Entwicklung, war es doch obendrein auch noch sein ruhiger und präziser Fahrstil, der ihn diesmal das Untersteuern des MCL39 in China besser managen ließ als etwa Teamkollege Norris.
Doch wie gesagt, wenn schon eine Woche so einen Unterschied im F1-Kosmos machen kann, wie viel kann dann erst ein ganzes Jahr machen? Eines, in dem ein gewisser Reifeprozess vorangeschritten ist, in dem Piastri in Ungarn seinen ersten und einige Wochen später in Baku seinen zweiten Grand Prix gewonnen hat - in dem er, gemeinsam mit Norris wohlgemerkt, die Konstrukteurs-WM für McLaren eingefahren hat.
Das letzte offene Kästchen, wenn man so möchte, das hakte Piastri am Samstag in China dann auch noch ab: Seine erste Poleposition in der Formel 1. Bisher ein kleines Manko, dass im Qualifying manchmal die letzten Zehntel fehlten, wenn es darauf ankam, doch auch dieser Knoten scheint nun geplatzt.
So lässt sich am Ende die berechtigte Frage stellen, was Piastri 2025 eigentlich daran hindert, Weltmeister zu werden? Meine persönliche Meinung, und die darf in einer Kolumne ja ausnahmsweise mal Berücksichtigung finden, lautet: nichts.
Wer sind Piastris Gegner im WM-Kampf 2025?
Aber gehen wir es mal durch: Ferrari wird es - nicht nur wegen der Disqualifikation in Shanghai - mutmaßlich nicht sein. Die Scuderia ist aktuell wieder einmal zu sehr mit selbst beschäftigt. Lewis Hamiltons von den Tifosi frenetisch bejubelte Ankunft hat den Druck nicht gerade verringert - und ja, der frühe, unerwartete erste Sieg in Rot im Sprint an diesem Wochenende, der nötigt schon Respekt ab.
Aber noch hat Ferrari eindeutig zu viele Baustellen, ist zu wenig konstant, um sich in den WM-Kampf einzumischen. Und bis es soweit ist - falls das überhaupt geschieht - ist McLaren wohl über alle Berge mit ihrem extrem starken Gesamtpaket.
Kommen wir zu Mercedes: Die Silberpfeile sind positiv ins Jahr gestartet, George Russell konnte zweimal aufs Podium fahren und Andrea Kimi Antonelli entpuppt sich bisher tatsächlich als das Wunderkind, für das Toto Wolff ihn hält. Aber: In Jahr eins fährt der Italiener noch um keine WM und Teamkollege Russell wird alle Hände voll zu tun haben, langfristig mit der Spitze mitzuhalten, wenn Mercedes nicht schon bald ein paar Zehntel findet.
Denn nicht auf allen Strecken wird es glückliche Umstände geben, wie in Australien. Nicht alle Kurse werden dem Auto entgegenkommen, wie die neu asphaltierte Strecke in Shanghai, auf der man die starke Traktion und den geringen Reifenverschleiß gut ausspielen konnte.
Spätestens, wenn wir an Orte kommen, wo es richtig heiß ist - schlechte Nachricht für die Silbernen, aber die Formel 1 ist nach wie vor größtenteils ein Sommersport - will ich erstmal sehen, wie sich der vergangenes Jahr noch so extrem wetterfühlige Mercedes schlägt...
Ist Red Bull in dieser Form noch Konkurrenz für McLaren?
Der nächste auf der Liste ist, na klar, Weltmeister Max Verstappen. Den Niederländer muss man immer auf der Rechnung haben, er holt das Maximum aus dem Red Bull raus. Das Problem dabei: Das Maximum reicht aktuell unter normalen Umständen nicht mal fürs Podium, das hat China bewiesen.
Wenn man zusätzlich Verstappens Worten am Wochenende lauscht, klingt er alles andere als zuversichtlich: Es fühle sich so an, als sei man nur noch die vierte Kraft, schlug der Niederländer Alarm in Milton Keynes.
Lassen wir die Querelen, wer sich im anderen Cockpit mit dem extrem diffizilen RB21 und seinem offenbar minimalen Arbeitsfenster herumschlagen soll, mal außen vor. Aber wenn sich daran nicht grundlegend etwas ändert, wird auch ein Verstappen mit so einem Auto kein Weltmeister.
Experte Ralf Schumacher jedenfalls erklärte am Sonntag bei Sky, ihm fehle der Glaube daran, dass die Technik-Verantwortlichen um Pierre Waché es auf einmal viel besser hinbekommen als in den letzten zwölf Monaten - ich kann mich da eigentlich nur anschließen: Newey is gone. The magic is gone. Und somit wahrscheinlich auch die Chance auf die WM.
Norris für viele Topfavorit auf den Titel, aber ...
Landen wir zu guter Letzt also bei Lando Norris. Wie Pastri, hat zweifelsohne auch der Brite nochmal einen Schritt gemacht, sich nochmal weiterentwickelt, und ist damit für viele, zurecht, der Topfavorit auf den Fahrertitel. So wie etwa bei den WM-Tipps unserer Redaktion, wo vor dem Saisonauftakt gleich drei Redakteure, und damit die Mehrheit, auf Norris als neuen Weltmeister gesetzt haben.
Meine Wahl jedoch fiel schon damals auf seinen Teamkollegen, denn Norris hat eben noch eine andere Seite: Am Sonntag in China kam sie mal wieder kurz raus, als er nach dem Rennen davon berichtete, dass es "viel besser als ich vor dem Rennen erwartet hatte" gelaufen sei. "Ich war überhaupt nicht zuversichtlich und hatte ehrlich gesagt Angst, dass ich die gleichen Probleme wie in den vergangenen Tagen haben würde", so Lando, der ewig Sorgenvolle.
Fotostrecke: Die letzten 20 Siegerteams der Formel 1
1. McLaren - Letzter Sieg: Großer Preis von China 2025 mit Oscar Piastri Fotostrecke
Die Frage, ob es diese kleinen Selbstzweifel sind, die ihn immer mal wieder zu solch kostspieligen Fehlern antreiben wie zu Beginn des Sprints am Samstag, die er auch im siebten Jahr Formel 1 nie so ganz abgestellt bekommt, die kann Norris nur selbst beantworten - sie führen aber zu dem Glauben, dass der Brite dieses Jahr noch große Probleme mit Piastri bekommen wird und ein Norris-Durchmarsch, selbst wenn McLaren überlegen bleibt, keinesfalls in trockenen Tüchern ist.
Dabei trifft vielleicht Ex-Formel-1-Pilot Christian Klien mit seiner Einschätzung des Papaya-Duells den Nagel am besten auf den Kopf: Die gute Stimmung zwischen den beiden Stallgefährten "wird sich noch ändern", glaubt der Österreicher bei ServusTV und erklärt: "Die sitzen im schnellsten Auto, und wenn das die Saison so weitergeht, dann wird einer von den beiden Weltmeister. Dann musst du den Teamkollegen erstmal schlagen und da wird dann schon ein bisschen härter gefahren."
Direktes Duell spricht für Piastri: Monza reloaded?
Dabei werden sofort Erinnerungen wach an Monza im vergangenen Jahr, als Piastri in der Startphase mit einem knallharten Manöver an Norris vorbeizog - denn das von Klien angesprochene Szenario impliziert, dass wir diese Saison unweigerlich wieder in solchen Situationen landen werden, in direkten Duellen und Zweikämpfen. Und von allem, was ich bisher von beiden Piloten in ihrer Karriere gesehen habe, glaube ich ableiten zu können, wer dann tendenziell den Kürzeren zieht.
Piastri wirkt härter, mental stabiler, einfach abgezockter. Wo der Australier das hernimmt, weiß wahrscheinlich nur er selbst. Aber seine ruhige, kühle, manchmal fast schon emotionslose Art, könnte in naher Zukunft noch Gold wert sein, man denke nur mal an "Iceman" Kimi Räikkönen...
Auch Klien sind diese Unterschiede der mutmaßlichen WM-Protagonisten aufgefallen: "Ich glaube, dass Piastri vielleicht ein bisschen stabiler ist über die Saison, jetzt im dritten Jahr, dass er vielleicht ein bisschen fehlerfreier ist. Bei Norris geht es manchmal bisschen auf und ab, manchmal bisschen anfällig für Fehler, wenn er unter Druck kommt."
Allerdings gibt der Österreicher auch zu bedenken: "Aber wenn er ein Wochenende hat, wo alles für ihn passt, dann ist er auch kaum zu schlagen, das muss man auch sagen. Und auf eine Runde ist er da oft noch einen Ticken schneller als Piastri. Also würde ich mich jetzt nicht trauen, zu wetten: 50/50."
Damit liefert der Österreicher abschließend ein super Stichwort: Denn die Wettquote für einen WM-Sieg von Piastri lag vor Saisonbeginn tatsächlich noch bei 10,0. Nun ist sie bei 3,00 angekommen, Tendenz fallend. Und mittlerweile ärgere ich mich ein bisschen, dass ich mit meiner Prognose nur an unserem internen Redaktions-Tipp teilgenommen, aber kein Geld gesetzt habe...
Euer Frederik Hackbarth