Red Bull: Korrelationsprobleme lassen sich in der Formel 1 nie ganz lösen
Red Bulls Technikchef Pierre Wache spricht über die Korrelationsprobleme des Teams und sagt, dass diese nicht ganz gelöst sind - Das sei in der F1 auch nicht möglich
(Motorsport-Total.com) - Red Bulls Schwierigkeiten mit der Balance des RB20 waren teilweise auf Probleme mit der Korrelation zurückzuführen, bei der die Ergebnisse aus der virtuellen Welt nicht mit der Realität auf der Strecke zusammengepasst haben.
Auch Motorsportkonsulent Helmut Marko musste zugegeben, dass die Korrelation bei Red Bull nicht optimal war, und Max Verstappen kam zu dem Schluss, dass das Team in der Mitte der Saison "ein bisschen verloren" schien.
"Wenn man ein Problem mit der Korrelation hat, ist man natürlich ein bisschen verloren", stimmt Technikchef Pierre Wache Verstappen zu. "Max sieht das anders, denn es gibt immer eine kleine Verzögerung zwischen dem, was wir ihm bringen, und dem, woran wir arbeiten. Das, was wir ins System bringen, haben wir schon zwei oder drei Monate vorher in Angriff genommen."
"Für ihn ist es ein Phasenproblem, aber aus unserer Sicht ist es klar, dass man seinen Werkzeugen nicht mehr trauen kann, wenn es ein Korrelationsproblem gibt. Und wenn man seinen Werkzeugen nicht mehr trauen kann, muss man einen Weg finden, sie zu modifizieren, um die Korrelation wiederzufinden", meint er weiter.
"Dann ist man verloren, weil man an allem zweifelt, was man tut. Man ist nicht verloren, aber man zweifelt an den Ergebnissen, die einem die Tools liefern."
Auf die Frage, ob Red Bull das Problem der Korrelation inzwischen gelöst habe, lächelt Wache: "Nein, das wird nie ganz gelöst sein." Das liege daran, so der 50-jährige Franzose, dass die Korrelation zwischen virtueller Welt und Strecke in der modernen Formel 1 nie 100 Prozent betragen könne.
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"Mehr noch: Wenn man über einen gewissen Zeitraum das gleiche Reglement hat, sind die Zugewinne sehr gering und die Anforderungen an die Genauigkeit noch höher", sagt er. Wache weist darauf hin, dass der Kampf zwischen den vier Spitzenteams heute so eng ist, dass die Teams nur noch marginale Gewinne machen, was die Details der Korrelation noch wichtiger macht als früher.
"Der Korrelationsaspekt wird immer wichtiger, weil man nach kleinen Dingen sucht", so Wache weiter. "Auf der aerodynamischen Seite, und das gilt auch für die Aufhängung, sucht man nach zwei oder drei Abtriebspunkten im Boden, in der Karosserie und so weiter."
"Das hat Auswirkungen auf den Rest des Autos und auch auf Bereiche, die man nicht im Windkanal getestet hat, weil man sie nicht mit CFD testen kann. An diesem Punkt wird es gefährlich", meint er. Genau das passierte 2024: Red Bull entwickelte Upgrades, die theoretisch für mehr Abtrieb sorgen sollten, in der Praxis aber unerwünschte Nebeneffekte hatten und die Balance des Autos störten.
Bekommen die Gegner ebenfalls Probleme?
"Wenn ich das sage, dann hat man erstens ein Korrelationsproblem, weil das Delta, das man zu finden versucht, klein ist, und zweitens hat man ein Korrelationsproblem, weil man gewisse physikalische Gegebenheiten nicht reproduzieren kann."
"Das liegt daran, dass man [im Windkanal] per Definition mit einem kleineren Modell arbeitet und nicht mit der Realität. Aber alle anderen Teams haben das gleiche Problem, um ehrlich zu sein", erklärt Wache im Interview mit der niederländischen Ausgabe von Motorsport.com.
Bei McLaren scheint dieses Problem allerdings noch nicht aufgetreten zu sein. 2024 haben alle Upgrades, die das Team aus Woking eingeführt hat, funktioniert. "Im vergangenen Jahr, ja", wirf der Technikchef ein. "Aber ich weiß nicht. Zu Beginn des Jahres waren sie überhaupt nicht auf der Höhe."
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"Im Jahr davor waren sie überhaupt nicht gut. 2022 waren sie im Nirgendwo. McLaren hat seit Miami ein Auto gebaut, das gut ist. In den zweieinhalb Jahren davor waren sie nicht beeindruckend."
Dennoch würde man nach Waches Ausführungen erwarten, dass auch Teams wie McLaren irgendwann an eine Grenze stoßen und vor ähnlichen Problemen stehen. "Ich weiß nicht, wo sie stehen, aber vor allem weiß ich nicht, warum sie vorher keine Leistung gefunden haben, ob es an der Korrelation lag oder an etwas anderem. Ich weiß es nicht", sagt er.
"Ich gehöre nicht zu ihrem Team, aber das Ergebnis für uns ist, dass es jetzt schwieriger ist, zusätzliche Leistung zu finden, vor allem mit den Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen."
2024 "ein interessantes Jahr" und eine Lernerfahrung für die Zukunft?
Auch wenn Wache darauf hinweist, dass Korrelationsprobleme nie ganz beseitigt werden können, bleibt die Frage, ob sich die Situation im Vergleich zur letzten Saison verbessert hat. "Sie hat sich in den Bereichen verbessert, die wir verstehen", sagt er.
"Aber in der Formel 1 besteht immer die Gefahr, dass ein anderes Problem auftaucht. Das ist die Realität und der Grund, warum wir hier sind, um zu versuchen, die Probleme, die wir haben werden, vorherzusehen."
Und genau das mache die Formel 1 aus technischer Sicht so interessant, meint Wache. "Blindes Vertrauen in das System ist gefährlich", warnt er. "Ich sage nicht, dass man es nicht haben sollte, aber man muss sicherstellen, dass man alles in die richtige Perspektive setzt und nicht genau das auf der Strecke reproduziert, was man testet."
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Wache fügt hinzu, dass kein Formel-1-Team blind den Zahlen vertrauen sollte: "Ein Team kann nur gut sein, wenn man Zweifel hat und sich nie sicher ist. Wenn man sich sicher ist, weiß man, dass man versagt hat."
In diesem Sinne beschreibt Wache das Jahr 2024 als ein interessantes Jahr für Red Bull. "Um ehrlich zu sein: Was wir im vergangenen Jahr erlebt haben, empfinde ich als Ingenieur als sehr positiv. Wenn man gewinnt, beschäftigt man sich nicht so sehr mit Problemen oder Details, wie wenn man Probleme auf der Strecke hat. Wenn man nicht mehr der Schnellste ist, schaut man hin und lernt."
"Und je mehr man lernt, desto mehr ist es eine Investition in die Zukunft."