Der "Anti-Steiner": Die Bilanz nach einem Jahr Ayao Komatsu bei Haas
Seit einem Jahr ist Ayao Komatsu als Nachfolger von Günther Steiner Teamchef bei Haas: Die Bilanz des Japaners kann sich dabei durchaus sehen lassen
(Motorsport-Total.com) - Am 10. Januar 2025 ist es genau ein Jahr her, dass sich das Haas-Team offiziell von Günther Steiner getrennt hat - dem Mann, ohne den man sich das Team kaum vorstellen konnte. Doch der Rennstall hat nicht nur überlebt, dieses erste Jahr ohne ihn an der Spitze war vielleicht sogar das beste.
Es gab eine kleine Diskrepanz zwischen dem Aussehen und den Worten: "Ich bin sehr, sehr glücklich", versicherte Ayao Komatsu den Medien am Abend nach dem Großen Preis von Abu Dhabi. Allerdings wirkte er eher müde und etwas enttäuscht, als er sich mit vor der Brust verschränkten Armen in seinem Stuhl zurücklehnte.
Unter der Führung von Komatsu performte Haas 2024 über dem erwarteten Niveau. Nach dem zehnten Platz im Vorjahr schien selbst das von Gene Haas gesteckte Ziel, den achten Platz zu erreichen, für viele unrealistisch - auch für Komatsu selbst.
Er selbst erwartete vor dem Saisonbeginn den letzten Platz, doch am Ende kämpfte Haas bis zum Schluss um Rang sechs und verlor diesen nur knapp gegen Alpine, die von einem überraschenden Doppelpodium in Brasilien zehren konnten, ansonsten aber meist chancenlos waren.
Selbst mit dem siebten Platz kann sich Haas rühmen, neben McLaren das Team zu sein, das sich im Vergleich zum Vorjahr in der Meisterschaft am meisten verbessert hat. Und dennoch war es eine bittere Pille, Alpine am Ende den sechsten Platz zu überlassen.
"Ich denke, es ist sehr, sehr gut, dass wir enttäuscht sind, dass wir nicht Sechster geworden sind", sagt der Japaner, als die unvermeidliche Frage folgt.
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"Zu Beginn der Saison war unser offizielles Ziel Platz acht. Nochmals: Um Platz acht zu erreichen, muss man zwei Teams schlagen. Wissen Sie, ich habe mir [zu Beginn des Jahres] wirklich Gedanken gemacht: Wen können wir schlagen? Welche zwei Teams können wir nach dem Desaster vom letzten Jahr schlagen?"
"Aber ich denke, wir haben dieses Jahr gezeigt, dass wir es schaffen können, wenn wir als Team zusammenarbeiten, auch wenn wir bei weitem die kleinste Mannschaft sind. Darauf können wir wirklich stolz sein, und zwar alle im Team", so der Japaner.
"Wenn uns jemand gesagt hätte, dass wir in diesem Jahr auf Platz sieben landen würden, hätten wir das zu Beginn des Jahres unterschrieben. Aber natürlich liegt die Messlatte jetzt höher."
2024 besser als der fünfte Platz von 2018?
Aber: Auf dem Papier ist es nicht die beste Position, die Haas in der Konstrukteurswertung geholt hat. 2018 kletterte man in der Gesamtwertung bis auf Rang fünf, was aber auch daran lag, dass Force India mitten in der Saison Insolvenz anmeldete und der Nachfolger Racing Point die Punkte nicht übernehmen konnte. Die eigentliche Position von Haas in dem Jahr war einen Rang schlechter.
Der siebte Platz 2024 wirkt dennoch beeindruckender - nicht nur, weil der Zustand der Formel 1 allgemein besser ist und weniger Teams Probleme haben, sondern auch aufgrund der Art und Weise, wie Platz sieben erreicht wurde.
Zum ersten Mal in seiner Geschichte konnte Haas nicht nur die gesamte Saison über konkurrenzfähig bleiben, sondern man zeigte auch eine bessere Entwicklung als die Konkurrenz - und das ist noch einmal beeindruckender, wenn man bedenkt, wie das Team aufgestellt ist.
Für Haas sind Upgrades noch einmal eine größere Herausforderung als für die meisten anderen Teams. Denn der Rennstall verlässt sich bei der Produktion von Teilen vornehmlich auf Zulieferer. Die Reise vom Designbüro auf die Strecke ist für diese Teile länger und auch teurer.
Aber es waren die letzten Rennen der Saison, in denen Haas am stärksten aussah.
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Die bemerkenswerteste Statistik in der Saison von Haas ist die Tatsache, dass das Team in acht der letzten neun Rennen Punkte geholt hat. Das ist für ein Team, das noch nie zuvor den Großteil seiner Punkte in der zweiten Saisonhälfte geholt hatte, schon ein Erfolg.
"Wissen Sie, wenn man sich die Anzahl der Punkte ansieht, die wir in jedem Quartal der Saison geholt haben: Im letzten Quartal haben wir die meisten Punkte geholt", sagt auch Komatsu. "Dann die Tatsache, dass wir das Auto mit Upgrades schneller machen können... Im Qualifying von Abu Dhabi betrug der Abstand zur Poleposition drei Zehntel, oder? Das war unglaublich."
"Es ist wirklich gut, dass wir bewiesen haben, dass wir das Auto verbessern und auf die richtige Weise entwickeln können, wenn wir als Team zusammenarbeiten und kommunizieren."
Grundlage noch von Steiner
Es ist genau das - das Entwicklungstempo, das Haas im Jahr 2024 beibehalten konnte - das Komatsu sicherlich zu seinen Erfolgen zählen kann. Die Tatsache, dass der VF-24 von den Mängeln des Reifenmanagements seines Vorgängers befreit wurde, war zweifellos einer der Eckpfeiler der verbesserten Leistung von Haas im vergangenen Jahr.
Allerdings wurde dieses Auto immer noch unter der Aufsicht von Simone Resta und mit Steiner als Teamchef entwickelt. Und es wäre falsch zu behaupten, dass die Saison des Teams drastisch anders verlaufen wäre, wenn Steiners Vertrag verlängert worden wäre. Aber unter der Leitung von Komatsu wurde das Auto mit jedem einzelnen Upgrade schneller und schneller.
Vielleicht war der japanische Teamchef mit seinem technischen Hintergrund einfach besser in der Lage, die Hauptmängel in der relativ komplizierten Struktur von Haas mit mehreren Standorten in Italien und Großbritannien zu verstehen und zu beheben.
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Die verbesserte Kommunikation zwischen diesen Standorten - die von den Haas-Fahrern und dem neuen Technikchef Andrea De Zordo als eine der wichtigsten Errungenschaften von Komatsu genannt wird - klingt nicht besonders aufregend, aber sie macht wahrscheinlich einen spürbaren Unterschied.
Schließlich gab es nicht allzu viele andere Veränderungen. Nachdem sich Haas von Steiner und Resta getrennt hatte, gab es keine großen Neueinstellungen. Die Mitarbeiter blieben dieselben, also muss es etwas an der Art der Zusammenarbeit gewesen sein, das Komatsu erwecken konnte.
"Ehrlich gesagt, gibt es keine Magie", sagt er auf die Frage, welche Veränderungen er in das Team gebracht hat. "Es tut mir leid, dass ich eine langweilige Geschichte erzähle, aber es ist nichts Aufregendes. Es geht darum, die Grundlagen sehr, sehr, sehr gut zu machen und als Team zu arbeiten. Und dann kann das eben dabei herauskommen."
Glaubt Gene Haas wieder mehr an sein Team?
Der wichtigste Sieg für Komatsu war das Wiederherstellen des Vertrauens zwischen Gene Haas und seinem eigenen Team, das 2023 klar beschädigt war. "Gene hat das Geld", war ein Satz, den Komatsu während seiner Medienrunden häufig wiederholte, und es lag an ihm, seinem Boss zu beweisen, dass sich die Investitionen auszahlen.
Durch das Aushandeln besserer Verträge mit den Zulieferern und den Nachweis, dass jedes Upgrade - das in der Formel 1 immer mit einem siebenstelligen Betrag verbunden ist - das tut, was es soll, brachte er Gene dazu, sein Scheckbuch im Laufe des Jahres immer wieder zu öffnen.
Dieses erneuerte Vertrauen in Verbindung mit einem siebten Platz in der Konstrukteursmeisterschaft hat Haas dem Erreichen der Budgetgrenze im Jahr 2025 ein gutes Stück näher gebracht. Etwas, das auch noch nie zuvor passiert ist.
Es steht bereits fest, dass das Team im nächsten Jahr ein neues Motorhome bekommen wird, das das Alte ersetzt, das seit 2016 genutzt wird. Das mag nicht besonders aufregend klingen, ist aber auch kein kleines Investment, sondern hat den Wert eines großen Performance-Upgrades. Und es sind kleine Dinge wie dieses, die dem Team dabei helfen, zu wachsen und sich zu entwickeln.
Schließlich können die Arbeitsbedingungen ein entscheidender Faktor für potenzielle Neuzugänge sein - und Haas mit seiner relativ bescheidenen Basis in Banbury konkurriert mit Teams wie Aston Martin, die über eine protzige neue Fabrik in Silverstone verfügen. Für ein Team, das wachsen muss, ist es unerlässlich, sich mit diesen Bereichen zu befassen.
Haas legt an Personal zu
Im vergangenen Jahr stockte Haas von 230 auf 250 Mitarbeiter auf, und Komatsu weiß, dass dieser Prozesse weitergehen muss.
"Wir versuchen zu wachsen", erklärt er. "Es ist nicht einfach, gute Leute zu finden. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass wir wachsen müssen. Wissen Sie, wir [sind] unterhalb der kritischen Masse, wenn Sie so wollen. Wir sind so gut wie immer gesättigt - wenn etwas passiert, sind wir völlig überlaufen. Es ist also nicht nachhaltig."
"Ich möchte dieses Team zukunftsfähig machen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass wir sehr, sehr wenig Spielraum haben. Also ja, wir stellen ein, und wenn Sie auf unsere Website gehen, können Sie sehen, für wie viele Stellen wir suchen. Sie können sich gerne bewerben", sagt er.
"Für einige Stellen finden wir tatsächlich gute Leute. Bei manchen Stellen ist es wirklich schwer. Dinge wie unsere eigenen Rennergebnisse und die Botschaft, die wir vermitteln, dass wir ein ernstzunehmendes Rennteam sind, helfen dabei."
"Interessant ist aber auch, dass Leute von viel größeren Teams wie Mercedes und Red Bull zu uns kommen. Es hängt davon ab, wonach diese Leute suchen. Wissen Sie, wir sind ein viel kleineres Team, also ist es harte Arbeit. Man muss viel mehr tun. Aber manche Dinge sind besser, oder?"
"Wenn jemand einfach nur hören will: "Das ist dein Job, du musst ihn so gut machen, wie du kannst, und wir sind ein Team, das Rennen gewinnt" - wenn es das ist, was er will, dann wird er sich für ein großes Team entscheiden."
"Aber wenn sie, ich weiß nicht, einen größeren Überblick haben wollen, mehr Multi-Tasking wollen ... Das hängt von der Persönlichkeit ab. Auch hier müssen wir also die richtige Persönlichkeit anziehen, die in die Organisation passt."
Komatsu, der Anti-Steiner
Es ist schwer zu bestreiten, dass die Mannschaft ohne Steiner nicht da wäre, wo sie heute ist. Es waren sein Geschäftssinn und seine Managementfähigkeiten, die es Haas nicht nur ermöglichten, in die Formel 1 einzusteigen, sondern auch die Coronajahre zu überstehen - eine Aufgabe, die Komatsu mit seinen ganz anderen Fähigkeiten vielleicht nicht hätte bewältigen können.
Es war Steiner, der Deals mit Mick Schumacher und Nikita Masepin eingefädelt hat, um das Team 2021 im Grid zu halten. Und er war es, der später Sponsor MoneyGram an Bord holte.
Komatsu ist in vielerlei Hinsicht der Anti-Steiner. Vermutlich wird er in der siebten Staffel von Drive to Survive auch nicht so viel Sendezeit bekommen. Aber ein Jahr am Steuer hat ausgereicht, um zu beweisen, dass er wahrscheinlich die beste Führungspersönlichkeit ist, die das Team zu diesem Zeitpunkt seiner Geschichte braucht.
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Vielleicht muss er sich in einigen Bereichen noch weiterentwickeln, aber obwohl er wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, einen Partner wie MoneyGram zu gewinnen, verdient er sicherlich Anerkennung dafür, dass er eine Partnerschaft mit Toyota Gazoo Racing eingegangen ist - die neben finanziellen Vorteilen auch das Potenzial hat, einige der strukturellen Schwächen von Haas zu beheben. Auch wenn dieser Prozess definitiv noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird.
"Im Moment befinden wir uns noch in einem sehr frühen Stadium des Projekts", sagt Komatsu über Toyota. "Es ist also eigentlich ein Rückschritt, weil wir unsere Mitarbeiterzahl noch nicht erhöht haben, aber wir müssen das Projekt ja erst einmal aufbauen. Die Leute arbeiten also mehr."
"Es ist noch lange nicht so weit, dass wir einen Nutzen spüren. Im Gegenteil, wir sind im Moment sogar noch mehr ausgelastet. Das ist eine kleine Tiefphase, was normal ist, wissen Sie. Wir müssen also nur aus dieser Delle herauskommen und in die Phase eintreten, in der wir sie stabilisieren können, aber das wird mehrere Monate dauern. Um die Auswirkungen auf die Strecke zu spüren, wird es mindestens ein Jahr dauern."
Warum Komatsu trotzdem enttäuscht ist
All dies bedeutet nicht, dass das Jahr 2025 ein Erfolg sein wird. Haas hat im vergangenen Jahr sicherlich von den Schwierigkeiten seiner Rivalen profitiert, sei es der Kampf von Williams mit Excel-Tabellen oder die Managementprobleme von Sauber. Selbst die Wiederholung von Platz sieben wird eine große Herausforderung sein.
Komatsu wird sich auch auf ein völlig neues Fahreraufgebot verlassen, das er dieses Mal selbst ausgewählt hat. Der Erfolg des letzten Jahres wäre ohne Nico Hülkenberg, der seinen dritten Frühling zu genießen scheint, nicht möglich gewesen. Ohne einige herausragende Leistungen des Deutschen hätte Haas leicht auf Platz acht landen können.
Es war wiederum Steiner, der Hülkenberg nach einer dreijährigen Formel-1-Pause ins Team holte. Aber es ist Komatsu, der im vergangenen Jahr das Beste aus ihm herausgeholt hat, so wie er es auch bei jedem anderen Mitglied des immer noch bei weitem kleinsten Teams in der Startaufstellung versucht hat.
"Ehrlich gesagt, gibt es nichts Schöneres, als diese Leute glücklich zu sehen", sagt er über sein persönliches Highlight. "Ich bin nur enttäuscht, weil das Auto so schnell war... Ich habe das Gefühl, dass ich unsere Aero-Jungs, die Designer, die Jungs, die an der Produktion gearbeitet haben und alles getan haben, um dieses Auto auf die Strecke zu bringen, im Stich gelassen habe."
"Ich hatte das Gefühl, dass dieses Auto Platz sechs verdient hat und ich konnte es nicht liefern. Ich habe das Gefühl, dass ich diese Leute im Stich gelassen habe. Das ist der Teil, der enttäuschend ist."
"Aber wenn man sich die Jungs anschaut, dann sind sie glücklich. Natürlich sind sie enttäuscht, aber sie denken auch, dass wir eine tolle Saison hinter uns haben, was ja auch stimmt. Also ja, es ist ein etwas gemischtes [Gefühl], aber ich denke, insgesamt sollten wir stolz auf uns sein", so Komatsu.
Und was ist mit Gene?
"Nun, Gene... direkt nach dem Rennen hat er mir eine Nachricht geschickt. Ich will euch nicht verarschen, er sagte sofort: 'Glückwunsch zu einem sehr erfolgreichen Jahr für das Team'. Genau das. Also rief ich ihn an, um ihm zu danken."
"Wissen Sie, er ist der Erste, der enttäuscht ist, dass es nicht Platz sechs geworden ist, aber als ich ihn anrief, war das Erste, was er sagte: keine Enttäuschung, nein, nur 'Glückwunsch, wirklich, tolle Arbeit. So viel besser als letztes Jahr. Wir haben Platz sieben, ich bin wirklich glücklich.' Und das ist schön."