Hinter den Kulissen bei Haas: Wie groß der Stress für die Rennmechaniker ist
Die Mechaniker sind die stillen Helden der Formel 1 - Welchen Stress die Teams am Rennwochenende erleben und warum manchmal nicht einmal Zeit zum Essen bleibt
(Motorsport-Total.com) - Die Rennmechaniker in der Formel 1 haben einen harten und komplexen Job, vor allem angesichts des immer größer werdenden Rennkalenders. Doch trotz aller Herausforderungen gilt höchste Konzentration: Vor dem Qualifying eines jeden Formel-1-Rennens müssen die Mechaniker eine wichtige Aufgabe erledigen, bei der sie nichts falsch machen dürfen.
© Motorsport Images
Die Rennmechaniker der Formel 1 leisten Höchstarbeit - nicht nur beim Boxenstopp Zoom Download
Nach jedem dritten freien Training beziehungsweise nach jedem Sprintrennen müssen zwei Autos pro Team zerlegt und wieder zusammengebaut werden, wobei die letzten von den Fahrern und Ingenieuren gewünschten Einstellungen und Reparaturen zu berücksichtigen sind.
An einem typischen Nicht-Sprint-Wochenende muss der gesamte Prozess in nur 150 Minuten abgeschlossen sein. "Das ist eines der wichtigsten Dinge, die wir tun", sagt Matt Thompson, der erste Mechaniker von Nico Hülkenberg bei Haas, gegenüber Autosport, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network.
"Denn es ist das letzte Mal, dass man wirklich am Auto arbeiten kann. Sobald das Auto im Parc Ferme ist, kann man es nicht mehr anfassen, man kann nichts mehr ändern..." Beim Großen Preis von Mexiko 2024 haben wir hautnah miterlebt, wie dieser Prozess bei Haas abläuft und wie stressig er sein kann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.
Unter den wachsamen Augen der Chefs
Wir kommen gerade rechtzeitig zum Ende des dritten Trainings in Mexiko in der Haas-Garage an. Auf den Kommunikationskanälen von Haas ist viel zu hören, aber keiner der beiden VF-24 steht in der Garage - sie sind noch auf der Strecke des Autodromo Hermanos Rodriguez, in den Händen von Nico Hülkenberg und Kevin Magnussen.
Doch die Zielflagge ist gerade gefallen, und als die beiden an die Box zurückkehren, gibt Haas-Teammanager Peter Crolla, der zusammen mit Teamchef Ayao Komatsu an der Boxenmauer weit vor unserem Blickwinkel sitzt, das Kommando zum "Doppelstopp"-Training.
Hülkenberg kommt als Erster zurück und wird mit einem schnellen Reifenwechsel bedient, bevor er aus dem Weg geschoben wird, damit auch Magnussen an die Reihe kommt. Crolla und Komatsu beobachten das Geschehen aufmerksam.
Schnell werden die beiden Autos wieder auf die Räder gestellt und zurück in die Box geschoben. "Räder und Karosserie runter", lauten die Anweisungen von Elliot Parkes, dem ersten Mechaniker von Auto #20 (Magnussen), sowie Hülkenbergs Mechaniker Thompson.
Countdown-Uhr als zusätzliches Druckmittel
Ein zusätzlicher Appell von Thompson für einen "T-Tray-Test heute, wenn möglich" lässt aufhorchen, wenn man bedenkt, dass dieser Teil bei Red Bull in der Vorwoche in Texas für Furore gesorgt hatte. "Aber das ist Routine, die wir immer machen müssen", erklärt er später. "Man muss immer sicherstellen, dass das Auto legal ist."
Werkzeuge in der Hand, Körper über und unter den mehrere Millionen teuren Rennwagen - die Haas-Crew ist voll im Einsatz. Acht Minuten nach Beginn des Zeitfensters für die wichtigste Arbeit des Wochenendes steht Magnussens Auto auf seinem Ständer.
Drei Minuten später wird die Motorabdeckung von Hülkenbergs Auto entfernt, Magnussen folgt kurz darauf. Doch erst zwölf Minuten nach dem dritten Training wird auch Hülkenbergs Auto vom Boden gehoben.
Ein Countdown auf den Monitoren in der Garage verkündet: "Mittagssnack 12:45". Damit sollen die Mechaniker nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie in der Mittagspause in der Fahrerlager-Hospitality bei Gelegenheit etwas essen können. Zeit bleibt dafür allerdings nur selten.
Präzise Dokumenentation aller Arbeiten
Wenn die Karosserie der Autos abgenommen ist, werden dicke gelbe Kissen entlang der Kühler an den Seitenkästen angebracht. Das "soll uns vor der Hitze schützen, aber auch verhindern, dass die Kühler beschädigt werden", erklärt Thompson.
"Stellen Sie sich vor, Sie lassen ein Werkzeug darauf fallen", ergänzt er. "Und ehe man sich versieht, gibt es ein Leck, und man hat in den nächsten zwei Stunden einen weiteren großen Job zu erledigen." Nach weniger als 15 Minuten sind die massiven Bremsbeläge von Magnussens Auto entfernt, und ihre orangefarbene, schwammartige Beschichtung kommt zum Vorschein.
Kurze Zeit später, nachdem weitere Motorabdeckungen von beiden Autos entfernt worden sind, sagt Parkes zu Magnussens Crew: "Sobald der T-Tray-Test beendet ist, gehen wir runter und schauen uns den Unterboden an, denn es gibt noch einige Dinge, die ich von gestern Abend ausbessern möchte."
Parkes und Thompson arbeiten ihre Checklisten in einem speziellen Chatroom auf ihren Computern ab. Diese enthält farbcodierte Anweisungen für die von den Haas-Ingenieuren empfohlenen Einstellungen sowie für typische Kontrollen, Austauscharbeiten und Reparaturen und zeigt an, was davon bereits erledigt wurde.
Brandneue Skid-Blocks für das Qualifying
Pünktlich zur 27-Minuten-Marke nach dem dritten Training wird die Planke, also das Holzverbundmaterial des Unterbodens, von Magnussens Auto entfernt. Ein starker, rauchiger Geruch liegt in der Luft - das Ergebnis dieses Teils, das bei Geschwindigkeiten von bis zu 217 km/h auf der mexikanischen Strecke verschlissen wurde.
"Wir nehmen es immer ab, um es zu vermessen und zu prüfen, denn so können wir den Verschleiß der Skid-Blocks und solche Dinge berechnen", erklärt Thompson. "Und dann bauen wir für das Qualifying natürlich brandneue Teile ein, damit wir die besten Chancen haben, dass unsere Berechnungen am Ende des Rennens legal sind."
Als wir 30 Minuten nach dem dritten Training in die Box schauen, sind an Magnussens Auto bereits der Unterboden und der Diffusor entfernt worden, an Hülkenbergs Auto nicht. Magnussens Unterboden wird von zwei Mechanikern aus der Garage getragen - eine dunkle Silhouette, die wie keine anderes Teil der Autos die gewaltigen Ausmaße der modernen Rennwagen veranschaulicht.
Hülkenbergs Auto wird gestartet
Jetzt wird Hülkenbergs Auto gestartet. Die Räder drehen sich langsam auf dem Ständer, während die Ingenieure die Systeme auf Fehler untersuchen. Das Biest scharrt fast mit den Füßen, während ein Schlauch die Abgase von den Mechanikern wegzieht. Bei Magnussen wird das erst in fast einer Stunde der Fall sein.
"Normalerweise ist es so geplant, dass alles gleichzeitig passiert", sagt Haas-Chefmechaniker Toby Brown. "Aber wer zuerst fertig ist, steigt einfach ein und macht es. Vielleicht hat man später noch etwas anderes zu tun."
Während Hülkenbergs Auto wieder verstummt, kommt ein offizieller Mitarbeiter des Formula One Management, um die Rückfahrkamera an Magnussens Auto mit der Startnummer 20 zu überprüfen. Er erledigt seine Arbeit am Auto, nachdem die Abdeckung für ihn entfernt wurde.
Anpassungen im Mikrometer-Bereich
Knapp 40 Minuten nach dem dritten Training wird vor der Garage unter Aufsicht von Hülkenbergs Ingenieur Gary Gannon der Frontflügel des Autos mit der Startnummer 27 angepasst. Er erklärt die "wirklich kniffligen" Homologationstests, die an den Set-up-Anpassungen für das Qualifying vorgenommen werden müssen.
Das geschieht nach der Nachbesprechung des dritten Trainings zwischen Fahrern und Ingenieuren hinter der Garage in den riesigen Zelten, die bei diesem Rennen auch als Hospitality für das Team dienen.
Hier stellt Gannon sicher, dass die Änderungen am Frontflügel in die Vorgaben passen, die nach dem Qualifying unsichtbar von den FIA-Scannern projiziert und getestet werden, damit das Team nicht wie Williams in Zandvoort mit dem zu breiten Unterboden von Alex Albon erwischt wird.
Bei jeder Anpassung muss man einen gewissen Spielraum lassen, aber das bedeutet, dass man das Risiko eingeht, Leistung zu verlieren. Gannon sagt, dass es oft auf 0,01 Millimeter ankommt.
Kostencheck während der Rennwochenenden
Wir merken gerade, wie ruhig alles ist - wenig unnötiges Geplauder - als eine Paddock Club Tour hereinkommt. Es wird noch mehr geschaut. Kurz vor der Ein-Stunden-Marke nach FP3 steht Magnussens Auto plötzlich allein da: Checkliste abgearbeitet. Doch auf der anderen Seite der Garage wird fleißig an Hülkenbergs Auto gearbeitet, dessen Unterboden noch montiert ist.
"Wir hatten ein paar Reparaturen und ein kleines Problem mit den Bremsen, die wir austauschen mussten", erklärt Thompson. "Es war also keine große Sache, aber all die kleinen Dinge summieren sich. Auch Nico hatte eine unklare Frage zu den Bremsen. Mit einer unklaren Frage kann man nicht ins Rennen gehen, oder? Man muss alle möglichen Vorkehrungen treffen und von da an arbeiten."
Währenddessen blättert Brown gelassen durch eine 3D-Karte der Bremssysteme von Haas auf einem Bildschirm in der Mitte der Computer und Pulte, die die Garage des Teams teilen. Rechts von ihm wird das Cockpit des Autos mit der Startnummer 20 abgesaugt, um Staub und Schmutz zu entfernen, der auf dieser Strecke ein besonderes Problem darstellt.
Nach 63 von 150 Minuten, die den Mechanikern zur Verfügung stehen, ist der Unterboden von Hülkenbergs Auto endlich entfernt. Jetzt kommt ein neues Element ins Spiel: Ein Kontrolleur der FIA, der einen kurzen Blick auf die Motorabdeckung des Autos wirft. Wenige Minuten nach der Demontage des Autos folgen weitere Inspektionen durch verschiedene Offizielle.
Diesmal wird unter Hülkenbergs rechtem Seitenkasten kontrolliert, was sich bei Magnussen auf der linken Seite wiederholt. Brown erklärt, dass die Kontrolleure mit einer speziellen App QR-Codes scannen, um die Einhaltung des Kostenlimits für verschiedene Teile zu überprüfen. Sie kontrollieren, ob die Teile vom Team korrekt gekauft und abgerechnet wurden.
Keine Zeit für eine Mittagspause
70 Minuten sind seit dem Ende des dritten Trainings vergangen. Die Bremsen am Auto mit der Startnummer 20 sind wieder montiert, zehn Minuten später wird der Unterboden an Hülkenbergs Auto wieder angebracht - gerade als ein Sauber-Bolide in der Nachbargarage laut aufheult. Auch bei den anderen Teams wird fleißig gearbeitet.
Kurz darauf kommt ein dritter FIA-Kontrolleur. Energisch klopft und stochert er an Magnussens Heckflügel herum, einmal steckt er einen ganzen Finger in ein Loch. Nachdem er den Heckflügel des Dänen untersucht hat, scherzt er mit Brown.
"Ich kenne sie - einige sogar sehr gut", sagt er. "Denn ich habe schon mit ihnen gearbeitet. Es ist gut, wenn man ein gutes Verhältnis zu diesen Leuten hat." Als die 100-Minuten-Phase nach Ende des dritten Trainings näher rückt, wird Magnussens Unterboden in die Garage getragen und wieder angebaut.
In diesem Moment wird ein Teller Quesadillas (mit Käse gefüllte Tortilla-Wraps) auf Hülkenbergs Seite der Garage gebracht - zwei seiner Mechaniker hatten zuvor keine Gelegenheit, etwas zu essen. Sie müssen es schließlich machen, während sie arbeiten, denn die Zeit läuft unerbittlich weiter ...
Noch 30 Minuten bis zum Qualifying
Dann schlendert Teambesitzer Gene Haas durch die Box, kurz bevor die Karosserie wieder an Hülkenbergs Auto montiert wird. 120 Minuten sind seit dem Ende des Trainings vergangen und es wird Zeit, den Druck für die Mechaniker noch einmal zu erhöhen.
Der Countdown wird plötzlich gelb. Auf den Bildschirmen tickt ein neuer 30-Minuten-Timer bis zum Qualifying. Anpassungen an bestimmten Teilen - zum Beispiel an der Radaufhängung - sind nicht mehr möglich, wenn das betreffende Auto zum Start von Q1 auf die Strecke gehen soll.
28 Minuten vor Schluss sind die FIA-Kontrolleure wieder da - diesmal, um Aufkleber auf verschiedene Teile der beiden Autos zu kleben, vor allem auf den Frontflügel, den Heckflügel und den Unterboden. "Da wir unter Parc-Ferme-Bedingungen fahren, dürfen diese Teile später nicht mehr verändert werden", erklärt Brown.
Steiner: So kalt war Gene Haas bei der Kündigung!
Es war kurz und schmerzlos und dauerte sieben Minuten, als sich Gene Haas und Günther Steiner darauf geeinigt haben, ihre Zusammenarbeit zu beenden. Weitere Formel-1-Videos
"Und es gibt bestimmte Teile des Unterbodens, die man an- und abschrauben kann, um sie [illegal, ohne den Schutz der Aufkleber] zu verändern. Neuerdings werden die Aufkleber nach dem Qualifying auf die Kufen geklebt und vor dem Rennen kontrolliert. Denn ich nehme an, dass einige andere Teams die Kufen verändert haben. Das darf man nicht machen..."
27 Minuten vor Beginn des Qualifyings wird die Karosserie von Magnussens Auto wieder angebracht, während Hülkenbergs Auto auf den Boden abgesenkt wird. Die Karosserie wird mit Klebeband abgedichtet und seine Mechaniker beginnen damit, ihre Arbeitsplätze von verschiedenen Werkzeugen und Kisten zu befreien.
Stress noch kurz vor dem Qualifying
Doch 26 Minuten vor Beginn des Zeittrainings dreht sich plötzlich alles um das Auto von Magnussen. Nachdem die Arbeit am Auto des Dänen diesmal viel einfacher war als bei Hülkenberg, gibt es eine unerwartete Wendung: "Gerade als wir alles unter Dach und Fach hatten, sagte jemand von [Team-Motorenlieferant] Ferrari, dass sie etwas ändern wollten, das sie am anderen Auto gesehen hatten und das nicht ganz in Ordnung war", erklärt Parkes.
"Es war eine späte Mitteilung. Es war nicht mehr viel Zeit, also haben wir die Karosserie abgenommen und uns daran gemacht." Während die Arbeiten zu seiner Rechten weitergehen, kehrt Komatsu mit aufgesetzten Kopfhörern und versteinertem Blick zurück. Doch fünf Minuten später sind die Nacharbeiten an Magnussens Fahrzeug abgeschlossen, und auch er wird zu Boden gelassen.
15 Minuten vor dem Qualifying färben sich die gelben Monitore in der Box rot, und Crolla wendet sich noch einmal an das Team. Es ist kurz davor, dass die Autos wieder auf die Strecke gehen - der Ernstfall eines jeden F1-Wochenendes. Als die 10-Minuten-Marke für das Pre-Qualifying erreicht ist, informiert Komatsu das gesamte Team darüber, was in der kommenden Session zu erwarten ist, in der beide Autos das Q3 erreichen werden.
Hülkenberg schlendert nun zurück in die Garage. Er wird gewogen und setzt - nach einer letzten Besprechung mit seiner Crew und Gannon - Sturmhaube und Helm auf. Wenige Minuten später tut es ihm Magnussen gleich.
Drei Minuten bevor die Boxenampel auf Grün springt, sind die Reifen für Q1 aufgezogen und das Qualifying kann beginnen - diesmal mit echter Action für den VF-24. Die Mitarbeiter, die sich um den Feinschliff gekümmert haben, können sich nur noch zurücklehnen und zuschauen, welche Leistung die Piloten auf der Strecke erzielen ...
Wenn im Motorsport das Teamwork zählt
"Das dritte Training war in Ordnung, alles war komplett unter Kontrolle", resümiert Thompson und erinnert sich an die bisher intensivste Vorbereitung von Haas im Jahr 2024: "Die Liste der Aufgaben war ziemlich kurz, alles lief einfach zu glatt."
Doch "zehn Minuten vor dem Start stellten wir fest, dass eines der Regenlichter am Heckflügel nicht funktionierte, und wir dachten: 'Okay, wahrscheinlich ist nur ein Licht kaputt'. Also haben wir das Licht überprüft, aber das war es nicht. Wir haben es auf einen anderen Fehler in der Verkabelung zurückgeführt. Und natürlich sind wir [nach dem Qualifying] im Parc Ferme, also mussten wir es vorher reparieren."
"Unser Flügelwechsel dauert normalerweise eine halbe Stunde, aber wir hatten nur zehn Minuten Zeit. Alle mussten sich zusammentun, ihre normale Arbeit unterbrechen und einfach mithelfen, den Flügel zu wechseln. Und ich glaube, wir kamen mit 30 Sekunden Verspätung oder so raus. Aber bis dahin war es ziemlich entspannt und reibungslos."
Wenn Haas am Freitagabend nach dem zweiten Training noch Motoren oder Getriebe wechseln müsste, wäre der "Arbeitsaufwand höher" und würde eine längere Liste von Aufgaben bedeuten als das, was wir gerade gesehen haben. "Aber nach dem dritten Training ist es einfach entscheidend, keine Fehler zu machen ..."