F1-Expertenrunde: Was von der Williams-Entscheidung zu halten ist
Sargeant raus, Colapinto rein, Schumacher ohne Cockpit: Unsere Formel-1-Redakteure beleuchten diese Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven
(Motorsport-Total.com) - Logan Sargeant muss seinen Platz bei Williams mit sofortiger Wirkung räumen, statt ihm übernimmt der bisherige Test- und Ersatzfahrer Franco Colapinto für die restlichen Rennen der Formel-1-Saison 2024. Und Mick Schumacher kommt wieder nicht zum Zuge.
Das ist das Ergebnis der jüngsten Personalentscheidung bei Formel-1-Team Williams, das nicht länger gewillt war, Sargeant und dessen kostspielige Eskapaden auf der Rennstrecke zu dulden, nachdem das Aus des US-Amerikaners zum Saisonende ohnehin schon besiegelt war.
Was aber ist von dieser Entscheidung gegen Sargeant und für Colapinto zu halten? Das diskutieren unsere Formel-1-Redakteure in diesem Beitrag aus unterschiedlichen Perspektiven:
"Colapinto ist die logischere Wahl als Mick Schumacher"
Ruben Zimmermann
Ich habe mich in unseren Livestreams am Zandvoort-Wochenende auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de bereits klar positioniert: Aus meiner Sicht ergibt es für Williams wenig Sinn, Logan Sargeant so kurz vor dem Ende des Jahres rauszuwerfen.
Ja, der Unfall in Zandvoort war unnötig. Und vermutlich könnten andere Piloten im Williams auch bessere Ergebnisse als der US-Amerikaner holen. Aber: In der WM geht in den verbleibenden neun Rennen sowieso nicht mehr viel. Williams ist Vorletzter und der Rückstand nach vorne meiner Meinung nach bereits zu groß.
Zudem war Sargeant für 2025 sowieso schon raus und außerdem hat James Vowles selbst in der Vergangenheit mehrfach betont, dass die Saison 2024 für ihn im größeren Kontext keine große Bedeutung hat. Die Ziele bei Williams sind langfristig formuliert. Warum also Sargeant keinen "würdigen" Abschied ermöglichen?
Immerhin: Wenn man ihn schon unbedingt ersetzen will, dann hat man mit Franco Colapinto für mich den richtigen Ersatz gewählt. Denn so kann man den Tausch zumindest noch damit rechtfertigen, dass man einem eigenen Nachwuchsfahrer eine Chance gibt, sich zu präsentieren.
Der Argentinier ist für mich deshalb die logischere Wahl als zum Beispiel Mick Schumacher. Denn welchen Sinn hätte es aus Sicht des Teams gehabt, für neun Rennen einen Fahrer ins Auto zu setzen, für den es 2025 und auch darüber hinaus sowieso keine Perspektive bei Williams gibt?
Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass Schumacher schlechtere Ergebnisse als Colapinto abgeliefert hätte. Doch ob Mick jetzt Zwölfter wird oder Colapinto 14., das spielt im Hinblick auf die WM sowieso keine Rolle. Und da gebe ich dann doch lieber dem eigenen Nachwuchsfahrer eine Chance.
Und wer weiß: Vielleicht nutzt der Argentinier diese ja und schafft es wirklich, bis zum Ende des Jahres noch ein paar WM-Punkte beizusteuern. Aber ansonsten bleibe ich bei meiner Meinung, dass sich den Williams den Fahrertausch grundsätzlich hätte sparen können.
"Sargeant hatte seine Chance, jetzt hat sie jemand anderes!"
Norman Fischer
Ich habe vor einigen Wochen ja schon in einer Kolumne gefragt: "Wo ist der Mut, Red Bull?" Denn für mich war und ist immer noch unverständlich, wieso man weiter an Sergio Perez und Daniel Ricciardo festhält und nicht etwas Neues wagt - wobei ich es schon verstehen kann, allerdings bin ich kein Freund davon.
Diesen Mut zeigt Williams jetzt, und das finde ich gut. Die Karriere von Logan Sargeant war einfach in einer Sackgasse angekommen. Der Amerikaner hat in den knapp zwei Jahren jedes (!) Qualifying-Duell gegen Alexander Albon verloren und sah auch nie die Zielflagge vor seinem Teamkollegen.
Da 2025 Carlos Sainz zum Team stoßen wird, waren die Tage von Sargeant in der Formel 1 ohnehin gezählt. Warum sollte man ihn also noch weiter mitschleifen, wenn man genau weiß, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nichts Zählbares mit nach Hause bringt? Außer man zählt, in wie vielen Kleinteilen das Auto zurück an die Box kommt.
Ich bin ehrlich: Wer Sargeant dabei ersetzt hätte, ist mir eigentlich egal. Meinetwegen hätte es auch Mick machen können - Hauptsache Williams kommt raus aus dem bisherigen Trott und es gibt mal ein paar frische Namen, an denen es der Formel 1 derzeit bei 46 Rennen in zwei Jahren mit dem nahezu identischen Fahrerfeld mangelt.
Ich bin ohnehin nicht der Meinung, dass sich die sportliche Perspektive bei Williams ändern wird. Colapinto wird nicht die Punkte einfahren, die Sargeant schon nicht geholt hat - und das hätte auch Mick nicht. Oder glaubt wirklich ernsthaft jemand, Mick würde plötzlich nach zwei Jahren Auszeit Albon besiegen, der fest in das Team integriert ist?
Selbst Albon hat in dieser Saison nur zwei neunte Plätze vorzuweisen, von daher stehen die Chancen, dass ein Reservefahrer oder Rookie bessere Ergebnisse einfährt, schlecht.
Klar könnte man sagen: "Warum muss man dann Sargeant austauschen? Ist doch dann egal." Stimmt. Aber ich finde es ein gutes Zeichen, dass man einem jungen Fahrer aus den eigenen Reihen DIE Chance auf die Formel 1 gibt - davon gibt es bei nur 20 Plätzen und so langen Karrieren wie bei Fernando Alonso und Lewis Hamilton ohnehin zu wenig.
Damit bringt man nicht nur ein Land auf die Formel-1-Karte, das 23 Jahre ohne Fahrer auskommen musste, sondern man sendet jungen Fahrern auch das Signal: Kommt in unsere Akademie, denn bei uns hast du eine reelle Chance auf die Formel 1.
36 Rennen sind für Sargeant auch genug. Früher hätte ein Formel-1-Pilot damit locker fünf Jahre füllen können. Nyck de Vries wurde 2023 schon nach zehn Rennen abgeschossen, von daher finde ich nicht, dass die Ablösung unverhältnismäßig früh kommt.
Sargeant hatte seine Chance, jetzt hat sie jemand anderes.
"Mick hat eine zweite Chance absolut verdient"
Kevin Scheuren
Als ich die Nachricht gelesen habe, dass Williams sich für Franco Colapinto entschieden hat, musste ich wirklich erstmal schlucken.
Nicht nur denke ich, dass man dann auch Logan Sargeant hätte behalten können, nein, mir schoss direkt ein Name in den Kopf, den sicher alle deutschen Formel-1-Fans gerne in dem Auto gesehen hätten: Mick Schumacher.
Ich verstehe wirklich nicht, warum James Vowles Mick Schumacher hier nicht die Chance gegeben hat.
Mick ist ein halbwegs erfahrener Formel-1-Pilot mit seinen zwei vollen Saisons, hat zudem in der WEC an fahrerischer Reife und Qualität dazugewonnen und würde perfekt ins Williams-Team passen mit ambitionierten, aber nicht weltfremden Zielen.
Rein menschlich, so finde ich, hat er eine zweite Chance absolut verdient und die hätte Vowles ihm für diese neun Rennen geben können, ohne Risiko, denn am Ende der Saison wäre sowieso Schluss, aber Mick hätte sich so für Sauber/Audi in Stellung bringen können.
Sehr schade auch, dass Toto Wolff offensichtlich nicht die helfende Hand für Mick zu sein scheint, die man sich erhofft hat.
Es ist eine erneute Niederlage, ein erneut herber Schlag ins Gesicht von Mick Schumacher und auch eine Niederlage für Toto Wolff, die wirklich weh tut, weil ich weiß, wie sehr sich Mick das Comeback wünscht.
"Verrückte Erwartungshaltung in Deutschland"
Stefan Ehlen
Ich frage mich, wie realistisch die Chancen von Mick Schumacher wirklich waren bei Williams - und ob hier nicht falsche Hoffnungen geweckt wurden, wie schon so oft in letzter Zeit.
Denn ganz nüchtern betrachtet: Williams wollte Schumacher schon 2023 nicht und hat lieber Logan Sargeant genommen. Niemand sonst wollte Schumacher im Rennauto haben. Weder 2023 noch 2024. Warum sollte Williams dann ausgerechnet jetzt Schumacher holen?
Schumacher mag sich seit 2023 als Test- und Ersatzfahrer bei Mercedes viel Know-how und Erfahrungen in einem Topteam angeeignet haben, aber dort traut man ihm nicht mehr zu als einzelne Testfahrten. Sonst säße Schumacher ab 2025 als Hamilton-Nachfolger im Silberpfeil.
Außerdem hat Schumacher für Teams wie McLaren und Alpine getestet, wird zwar allseits gelobt, vor allem von Toto Wolff, blitzt aber trotzdem überall ab. Das wird seine Gründe haben.
Und dann ist da halt noch die verrückte Erwartungshaltung in Deutschland, Schumacher wäre das nächste große Ding nach geschnitten Brot. Ist er nicht. Aber es gibt viele, die glauben das. Auch sein Onkel Ralf Schumacher tut sich hier besonders hervor - und Mick damit eher keinen Gefallen, wenn er ihn überall ins Spiel bringt und Hoffnungen weckt, die sich dann zerschlagen.
Wir Medien spielen dieses Spiel mit und transportieren diese Inhalte. Das kann man kritisch sehen und für falsch halten, aber Tatsache ist: Die Menschen da draußen interessiert es. Das sagen uns die Aufrufzahlen und die vielen Kommentare in den sozialen Netzwerken: Die Fans wünschen sich Mick Schumacher wieder in der Formel 1. Und das ist auch völlig in Ordnung.
Die Sache ist nur die: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen manchmal Welten, so wie hier.
Ja, Mick Schumacher ist ein guter Rennfahrer. Zweifelsohne.
Aber er hatte die Gelegenheit, sich in der Formel 1 zu beweisen, und er sah bei Haas im zweiten Jahr ziemlich alt aus gegen einen Kevin Magnussen, der nicht als Überflieger gilt und eigentlich schon raus war aus der Formel 1. Das war kein Ruhmesblatt trotz einzelner guter Leistungen, und mit einigem Schrott auf der Rennstrecke. Auch das gehört zur Wirklichkeit.
Ich würde Mick Schumacher das Formel-1-Comeback gönnen, ehrlich. Aber es sind auch schon Fahrer mit wesentlich besseren "Bewerbungen" nicht genommen worden. Die Formel-1-Welt wartet einfach nicht auf einen Mick Schumacher, auch wenn Deutschland das mehrheitlich anders sieht. Oder sehen will.