Ayao Komatsu: Bin sicher, dass ich Ocon in den Griff kriegen kann
Haas-Teamchef Ayao Komatsu erklärt, wie er sich die Zusammenarbeit mit Esteban Ocon ab der Formel-1-Saison 2025 vorstellt und warum er keinerlei Bedenken hat
(Motorsport-Total.com) - Esteban Ocon gilt als ein schneller Fahrer, aber eben auch als einer, der sich mitunter zu zweifelhaften Manövern hinreißen lässt. Das hat der diesjährige Monaco-Grand-Prix wieder gezeigt. Wie also glaubt Haas-Teamchef Ayao Komatsu, ab der Formel-1-Saison 2025 mit Ocon umgehen zu müssen?
Antwort: "Ich denke, es kommt unterm Strich auf Dinge wie Transparenz, Vertrauen und klare Spielregeln an. Denn es gibt ein Problem, wenn das Vertrauen zwischen Fahrer und Team nicht mehr da ist", sagt Komatsu.
In seiner langen Zeit in der Formel 1 habe er in unterschiedlichen Rollen schon viel erlebt. "Meine Erfahrung ist: Solange ich transparent und ohne persönliche Agenda vorgehe, aber mit einem klaren Plan für das Team, was wir dieses Jahr erreichen wollen, solange ist Vertrauen da - wenn all das vorab klargestellt wurde."
"Mir jedenfalls ist bisher noch kein Problem untergekommen, das außer Kontrolle geraten ist. Deshalb mache ich mir da keine Sorgen", sagt Komatsu.
"Wenn ich Bedenken hätte, hätte ich mich nicht darauf eingelassen. Denn es liegt in meiner Verantwortung, dass wir zwei Fahrer haben, die für das Team arbeiten, im besten Interesse des Teams. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass Esteban und Ollie [Bearman] das hinkriegen."
War der Monaco-Crash ein Thema für Haas?
Was aber, wenn dieser eine Moment doch mal eintritt? So wie in Monaco, als Ocon seinem Alpine-Teamkollegen Pierre Gasly ins Auto gefahren ist. War das für Komatsu überhaupt ein Thema bei seinen Überlegungen für 2025?
"Sowas muss man natürlich bedenken", sagt der Haas-Teamchef. "Das fällt natürlich nicht unter den Tisch. Es war ein ziemlich großer Zwischenfall. Darüber habe ich mit ihm gesprochen - und trotzdem meine Entscheidung getroffen. Denn wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, hätte ich mich nicht so entschieden."
"Vielleicht beweist mir die Zeit das Gegenteil. Aber ich sehe da keine Probleme aufkommen, solange man die Sache richtig angeht. Man könnte mir deshalb vorwerfen, ich sei naiv. Und vielleicht zeigt sich in neun Monaten, dass ich falsch lag. Ich bin aber sehr überzeugt davon."
Was für Ocon gesprochen hat
Zumal Ocon an anderer Stelle überzeugt habe. Mit seiner bisherigen Karriereleistung zum Beispiel (mehr dazu in der Formel-1-Datenbank!): "Seine Ergebnisse sprechen für sich. Er hat viele Punkte geholt und er ist ein Rennsieger. Damit hat er bereits einiges erreicht."
"Und seine Leistung als Teamkollege von Fernando Alonso war beeindruckend. Wir dürfen auch nicht vergessen: Er ist erst 27 Jahre alt. Und er hat noch einiges zu beweisen", sagt Komatsu.
Außerdem verfüge Ocon über eine "großartige Arbeitseinstellung" und habe sich sofort für die Haas-Vision begeistern können. Komatsu: "Als ich mich mit ihm traf, schilderte ich ihm unser Projekt und was wir hier vorhaben. Ich habe nicht versucht, ihn von irgendwas zu überzeugen. Ich sagte ihm einfach, was Sache ist. Garantien gibt es ja nicht. Er hat das total verstanden, und zwar mehr, als ich das erwartet hatte."
"Er wollte dabei sein. Er glaubt an dieses Projekt. Und mir bedeutet das sehr viel, wenn ein Fahrer zu hundert Prozent hinter dem Projekt steht. Ich freue mich wirklich darauf."
Wann die Verhandlungen mit Ocon akut wurden
So viel hat Komatsu aus den bisherigen Gesprächen mit Ocon also mitgenommen. Und diese Gespräche haben bereits im Frühjahr 2024 begonnen: "Wir haben uns nach Miami getroffen und dann erneut in England. Ich hatte aber zuvor schon mit seinem Manager gesprochen."
Ocon und Komatsu waren sich aber nicht fremd, im Gegenteil: "Bei seinem ersten Formel-1-Test war ich der leitende Ingenieur. Ich kenne ihn also schon seit ungefähr zehn Jahren. Dann ging er zu Mercedes und ich hatte quasi keinen Kontakt mehr zu ihm. Eigentlich habe ich mich nach Miami erstmals seit Jahren wieder gescheit mit ihm unterhalten." Und jetzt ist der Fahrervertrag für 2025 und darüber hinaus besiegelt.
Warum Haas 2024 attraktiver ist als noch 2023
Und das, obwohl Ocon eine Wahl gehabt hätte: Mehrere Teams haben noch Plätze frei für die Saison 2025. Komatsu zeigt sich deshalb "dankbar", dass Ocon "uns den Vorzug gegeben hat, obwohl es andere, größere Teams gab". Genau genommen seien "alle anderen Teams größer als wir", meint der Teamchef. "Deshalb ist seine Unterschrift eine sehr positive Nachricht für uns, ganz klar."
Aber hätte es diese Unterschrift so auch ein Jahr früher geben können? Oder ist Haas erst durch den Aufwärtstrend in der Saison 2024 zu einer für Fahrer interessanten Anlaufstelle geworden? "Hundertprozentig", sagt Komatsu.
"Dank der anderen Teams, denen über die Saison hinweg Fortschritte am Auto gelungen sind, hatten wir bei Haas den Ruf weg, keine Entwicklung betreiben zu können. Manchmal sind wir gut ins Jahr gestartet, aber dann zurückgefallen. Weil sich unsere Leute jetzt aber ins Zeug gelegt haben, hatten wir in Schanghai, Miami und Imola Updates dabei, mit denen wir unsere Position zumindest halten konnten."
"Ja, wir haben uns vielleicht nicht so sehr gesteigert wie McLaren, aber wir sind im direkten Vergleich auch nicht zurückgefallen. Ab Silverstone hat man auch gesehen: Wir holen sogar auf. Wir haben also unter Beweis gestellt, dass wir sehr wohl entwickeln können. Und das wiederum macht uns interessant für Fahrer. Das ist sehr zufriedenstellend."
Wer die Haas-Entscheidung getroffen hat
Denn so hatte Haas eine echte Wahl unter mehreren Fahrern. Aber wer hat letztlich die Entscheidung getroffen: Komatsu als Teamchef oder Gene Haas als Teamboss?
"Unser Vorgehen ist: Wir erstellen eine kurze Auflistung möglicher Fahrer und dann schildere ich Gene die Vor- und Nachteile. Gene trifft am Ende die Entscheidung. Ihm gehört das Team. Und wenn er erstmal die Liste vorliegen hat, beschäftigt er sich sehr intensiv damit. Ganz allein. Er ist da sehr involviert, ein echter Racer", sagt Komatsu.
Haas' Motorsport-Leidenschaft sei entscheidend für das Formel-1-Team. "Denn ihm geht es nicht um Geld, er will einfach nur jemanden im Auto haben, der etwas draufhat."
Bei einem Abendessen in Spielberg im kleinen Kreis ("Gene, ich und dann auch Esteban") habe sich Haas persönlich einen Eindruck von Ocon verschafft. "Dabei hat er seine eigenen Schlüsse gezogen." Und kurz darauf stand der Deal.