Ungarn-Kontroverse: Welche Lehren zieht McLaren aus der Stallorder-Affäre?
McLaren ist plötzlich wieder ein siegfähiges Team in der Formel 1 - Das Team muss lernen, wieder mit den Gegebenheiten an der Spitze umzugehen
(Motorsport-Total.com) - McLaren ist wieder ein Top-Team in der Formel 1 und deshalb muss sich der gesamte Rennstall an diese neue Situation gewöhnen und anpassen. Plötzlich steht McLaren wieder im Rampenlicht, weshalb Fehler viel kritischer betrachtet werden. Zudem können getroffene Entscheidungen größere Auswirkungen haben, weshalb jedes Detail genau betrachtet werden muss. McLaren-Geschäftsführer Zak Brown gibt zu, dass sich der Rennstall genau in diesem Prozess befindet.
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McLaren und die Folgen des Erfolgs: Was sind die nächsten Schritte? Zoom Download
"Ich sage jedem in der Fabrik, dass Fehler in Ordnung sind, aber dass wir sie nicht zweimal machen sollten", sagt Brown. "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen, denn nur so werden wir besser." Der Doppelsieg in Ungarn war umstritten, weil Lando Norris Oscar Piastri per Stallorder vorbeilassen musste und der Australier so seinen ersten Grand-Prix-Sieg feiern konnte. Aber auch intern bei McLaren wird diese Situation sicherlich noch für Diskussionen sorgen.
Die Situation ist komplex, denn auf der einen Seite steht die Strategie: Norris machte auf die Reaktion seiner Verfolger hin den Undercut gegen seinen eigenen Teamkollegen, um Platz zwei zu verteidigen, sicherte sich damit aber auch die Führung. McLaren stellte daraufhin die Reihenfolge wieder her, hätte aber auch Piastri zuerst an die Box holen können. Dann wäre eine Stallorder vielleicht nicht nötig gewesen.
Dennoch könnte es die richtige Entscheidung gewesen sein, denn McLaren hielt so Lewis Hamilton und Max Verstappen auf Distanz. Das Risiko, in der Schlussphase noch einmal von Mercedes oder Red Bull attackiert zu werden, wurde deutlich minimiert. Auf der anderen Seite steht nun die Stallorder-Kontroverse, denn das Team hat es sich damit selbst schwer gemacht, den Doppelsieg nach innen und außen zu verkaufen.
Und auch die Fahrer werden daran zu knabbern haben, denn Piastris erster Formel-1-Sieg wurde durch die Entscheidung und den geschenkten ersten Platz an der Box überschattet. Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur sagte nach dem Rennen: "Ich verstehe das mit Piastri, es ist ein bisschen hart. Er hat das Rennen angeführt und einen guten Job gemacht. Es ist hart, wenn der Teamkollege dann den Undercut macht."
Auch die Disziplin am Funk war verbesserungswürdig, denn es wurde sehr emotional, als Norris die Anweisung erhielt, für seinen Teamkollegen Platz zu machen. Für den Briten wäre es der sichere Sieg gewesen, den er kampflos aufgeben musste. Eine schwierige Situation für einen jungen Fahrer, der sich gerade im Aufwind befindet.
Toto Wolff kennt die Situation sehr gut
McLaren kann nach dem Rennen sicher sagen, das Richtige getan zu haben: Der Doppelsieg war gesichert und das Team hat wichtige Punkte in der Konstrukteurswertung auf Red Bull gut gemacht. Allerdings hätte die Ausführung geräuschloser über die Bühne gehen können. Was vielleicht gefehlt hat, war ein klarer Plan im Vorfeld, wie das Team mit einer solchen Situation umgeht. Auch eine klare Kommunikation wäre hilfreich gewesen. So kann eine ähnliche Situation in Zukunft vermieden werden.
Aber das ist Teil des erwähnten Lernprozesses, denn nur wenn solche Situationen passieren, kann McLaren die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff kennt die Situation, wenn zwei Fahrer eines Teams um Siege und vielleicht sogar um den Titel kämpfen. Er hat es mit Lewis Hamilton gegen Nico Rosberg und Valtteri Bottas erlebt. Bei Mercedes hat Wolff deshalb damals klare Regeln für seine Fahrer aufgestellt. Das könnte auch eine Lösung für McLaren sein.
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"Du kannst solche Situationen nur lösen, wenn du sie erlebst und sie deine Schwächen aufzeigen", sagt er. "So etwas ist ihnen zum ersten Mal passiert. Wir haben aus unseren Erfahrungen gelernt, wie man mit zwei Autos in einer solchen Situation umgeht. Man will natürlich Punkte sammeln, ohne die Fahrermeisterschaft zu verlieren."
Norris bald Nummer eins?
Wolff glaubt, dass McLaren nun einen Plan, einen klaren Rahmen aufstellen wird, wie sich McLaren und seine Fahrer in Zukunft verhalten werden, sollte sich eine solche Situation wiederholen. Er traut Brown und Teamchef Andreas Stella zu, den Fall zu lösen und einen Plan für die kommenden Rennen aufzustellen.
Der Titelkampf ist in beiden Wertungen eng und McLaren könnte vor der Entscheidung stehen, eine klare Nummer eins zu nominieren. 76 Punkte trennen Verstappen und Norris, Piastri liegt 116 Punkte hinter dem Niederländer. Norris hat also die besseren Chancen, aber die 40 Punkte zwischen den beiden McLaren-Piloten könnten nicht ausreichen, um eine Nummer eins zu nominieren. Bislang behandelt McLaren beide gleich.
Wenn aber eine Entscheidung getroffen werden muss, dann zugunsten von Norris, dessen Rückstand auf Verstappen zuletzt immer kleiner geworden ist. Stella hat das Thema auf dem Radar, sagt aber, er habe den Finger noch nicht am Abzug, um eine solche Entscheidung zu treffen. "Mit Oscar und Lando sind wir in der glücklichen Lage, nicht entscheiden zu müssen, wer die Nummer eins ist", sagte er am Sonntag in Ungarn.
Laut Stella wäre es eine einfache Lösung, eine Nummer eins zu benennen, aber gleichzeitig könnte dies auch schnell zu Unruhe im Team führen. In der Schlussphase der Saison könnte McLaren jedoch die Entscheidung treffen, sich auf einen Fahrer zu konzentrieren. "Wenn es klare Titelambitionen für einen der beiden gibt, könnten wir die Herangehensweise überdenken", sagt er. Stella erwartet dann aber Teamwork, alsodass sich der andere Fahrer freiwillig in den Dienst des anderen stellt.