Wo ist der Vorteil von Red Bull in der Formel 1 2024 geblieben?
Nachdem ein weiteres Formel-1-Wochenende vergangen ist, an dem Red Bull nicht das schnellste Auto hatte, stellt sich die Frage, wie besorgt das Team sein muss
(Motorsport-Total.com) - Als Red Bull seinen RB20 bei den Vorsaisontests in Bahrain vorstellte, gab es bedrohliche Anzeichen für eine erneute Dominanz wie im Jahr 2023. Doch vier Monate später hat sich das Bild des diesjährigen Wettbewerbs völlig verändert.
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Die Konkurrenz hat aufgeholt: Red Bull und Verstappen stehen unter Druck Zoom Download
Mercedes hat es geschafft, sein Bodeneffekt-Auto mit einer Reihe von Upgrades zum Laufen zu bringen, und McLaren konnte seinen beeindruckenden Entwicklungskurs fortsetzen. Einzig Ferrari geriet durch Probleme mit dem letzten Upgrade ins Hintertreffen.
Aber auch dieses Team ist auf Strecken, die dem SF24 liegen, auf der Jagd. Fünf Fahrer aus vier verschiedenen Teams haben einen der letzten sieben Grands Prix gewonnen. Das ist eine gute Nachricht für die Formel-1-Fans, denn die zweite Hälfte des Jahres 2024 verspricht ein echter Thriller zu werden.
Für Red Bull? Nicht so sehr. Wo ist also der beträchtliche Vorsprung von Red Bull seit dem Start 2024 geblieben? Die herkömmliche Erklärung lautet, dass sich die Teams bei gleichbleibendem Reglement immer weiter annähern, wobei Red Bull einfach weniger Leistung aus dem aktuellen Regelwerk herausholen kann.
Stattdessen beginnen die Konkurrenzteams, die 2022 und 2023 das Nachsehen hatten, langsam damit, die richtigen Antworten auf die Fragen zu finden, die Red Bull bereits gelöst hatte, nämlich wie man mit diesen tief liegenden Bodeneffekt-Autos in verschiedenen Kurvenarten Abtrieb und Leistung erzeugen kann.
Nimmt man die gleitende Skala der Entwicklungszeit hinzu, bei der Windkanalzeit und CFD-Runs auf der Grundlage des Erfolgs eines Teams abgezogen werden, wird Red Bull doppelt bestraft: Aus einem Vorsprung wird ein langfristiges Handicap.
Brown: "Wir sind jetzt alle dabei, aufzuholen"
"Ich denke, sie haben die Endgeschwindigkeit schneller erreicht als der Rest von uns", sagt McLaren-CEO Zak Brown. "Aber es kommt ein Punkt, an dem der Ertrag nachlässt, wenn es darum geht, wie man ein Auto weiterentwickeln kann. Man muss ihnen zugute halten, dass sie es als Erste geschafft haben, und jetzt sind wir alle dabei, aufzuholen oder fast aufzuholen", so der US-Amerikaner weiter.
Obwohl er sich in letzter Zeit mit Brown über eine Reihe von Themen uneins war, stimmt ihm Red-Bull-Teamchef Christian Horner diesmal ausnahmsweise zu: "Es ist kein Geheimnis, dass wir weniger Zeit für die Entwicklung haben als die anderen, und wir befinden uns an der Spitze der Kurve, sodass die Erträge abnehmen."
Eigentlich müsste McLaren die WM anführen!
Hätte McLaren die vielen Strategie- und sonstigen Fehler der Saison 2024 nicht begangen, könnte das Team die Konstrukteurs-WM bereits anführen. Weitere Formel-1-Videos
Einer, der ein Nein jedoch nicht als Antwort akzeptieren will, ist Max Verstappen. Er hat sein Team wiederholt dazu gedrängt, sich auf die Suche nach Fortschritten zu machen, anstatt die neue Realität zu akzeptieren. "Wir könnten sagen: 'Ja, das ist normal'. Ich glaube aber nicht, dass es normal ist", betont der Weltmeister.
"Wir müssen weiter hart arbeiten. Wenn wir denken, dass dies normal ist, werden uns die anderen überholen. Ich arbeite jeden Tag mit den Ingenieuren zusammen und versuche auch, darauf zu drängen, dass die Updates früher kommen."
Wie viel mehr steckt noch im RB20?
Das ist alles schön und gut, aber wie viel kann Red Bull noch aus seinem RB20 herausholen, vor allem, da wir uns dem Sommer-Shutdown nähern und die Teams mehr und mehr beginnen werden, sich mehr auf ihre Autos für 2025 zu konzentrieren?
Red Bull sorgte für Aufsehen, als es seinen optisch andersartigen RB20 vorstellte. Das deutete darauf hin, dass sich das Team aus Milton Keynes nicht auf den Lorbeeren seines beispiellosen Erfolges ausruhen wollte und alle Register zog, um sicherzustellen, dass es für den Rest dieses Regelzyklus vorne bleiben würde.
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Und obwohl der RB20 einen deutlichen Schritt machte, der Red Bull zunächst wieder in eine komfortable Führung brachte, scheint es sein Pulver früh verschossen zu haben.
So erklärte Chefingenieur Paul Monaghan, dass sich Red Bull "möglicherweise ein wenig 'asymptotisch'" verhält, das heißt, dass die Fortschritte immer geringer werden, da die Entwicklungskurve abflacht. Doch Horner ist immer noch zuversichtlich, dass die Updates, die in Arbeit sind, einen Unterschied machen werden, wenngleich er einräumt, dass es jetzt nur noch auf die kleinsten Details ankommt.
"Ich denke, wir haben einiges in der Pipeline. Während wir an der Spitze der Kurve stehen, können wir immer noch zulegen. Wenn sich das Feld weiter annähert, kommt es unweigerlich auf diese kleinen Details an, die den Unterschied ausmachen."
Wird Verstappen Red Bull aus der Patsche helfen?
Wie besorgt Red Bull wirklich sein sollte, ist schwer zu sagen, denn verschiedene Faktoren haben es verkompliziert, die Hackordnung zu bestimmen. Eine Reihe von unebenen Strecken - Red Bulls Achillesferse - ließ den RB20 schlechter aussehen, als er ist.
Aber entgegen den Erwartungen des Fahrerlagers schien der McLaren in Barcelona über eine Runde trotzdem schneller zu sein. Doch dann kam Österreich, und Verstappen gewann überzeugend den Sprint und holte sich die Pole für den Grand Prix mit vier Zehntelsekunden Vorsprung, was die Konkurrenz staunen ließ.
Am Wochenende in Silverstone schienen sowohl McLaren als auch Mercedes je nach den Bedingungen etwas schneller zu sein, was darauf schließen lässt, dass die Fähigkeit, die Reifen im richtigen Temperatur- und Leistungsfenster zu halten, einen größeren Unterschied macht als die reine Geschwindigkeit.
"Die Form schwankt ein wenig. Mercedes war in Silverstone stark, McLaren war die Woche zuvor stark. Wir haben die Woche davor in Barcelona gewonnen", blickt Horner zurück.
"Wenn man von Österreich ausgeht, wo wir uns mit vier Zehnteln Vorsprung vor dem gesamten Feld qualifiziert haben, wären wir in Silverstone (ohne Verstappens Bodenschaden in Q1; Anm. d. R.) auf der Jagd nach der Poleposition gewesen."
"Am Ende des Rennens jagte Max Lewis (Hamilton) und kam von zehn Sekunden Rückstand bis auf eine Sekunde und ein bisschen heran. Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn Max bei diesem Tripleheader die meisten Punkte geholt hätte."
Und das ist in der Tat der Fall, denn Verstappen hat in den vergangenen drei Wochen 51 Punkte gesammelt, während Oscar Piastri 43, George Russell 42 und Hamilton und Lando Norris jeweils 40 Punkte einfuhren. Darin liegt ein weiterer Vorteil für Red Bull.
Denn selbst wenn das Team nicht das schnellste Auto hat, ist es mit Verstappen in der Lage, das Maximum herausholen und die Fehler der anderen gnadenlos bestrafen.
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Red Bull hatte wohl an den meisten - wenn nicht sogar an allen - der vergangenen sieben Rennwochenenden nicht das schnellste Auto. Dennoch hat Verstappen drei dieser Rennen gewonnen und - mit Ausnahme von Monaco - den nächsten Verfolger Norris in allen anderen Rennen hinter sich gelassen.
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