Rettet das neue Chassis die Karriere von Daniel Ricciardo?
Daniel Ricciardo zeigt sich in China formverbessert, doch der Druck auf den Racing-Bulls-Piloten bleibt hoch - vor allem durch Liam Lawson und Helmut Marko
(Motorsport-Total.com) - So hatte sich Daniel Ricciardo das nach dem schwachen Saisonstart vorgestellt: Getreu dem Motto des Hauses, verlieh ihm sein neues Chassis in China endlich mal wieder Flügel - und stutzte offenbar zeitgleich die von Teamkollege Yuki Tsunoda: In Training, Sprint-Quali, Sprint, Qualifying und auch dem Rennen lag der Australier komfortabel vor seinem Teamkollegen, schnupperte sogar an den Punkterängen. Doch dann kam Lance Stroll ...
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Daniel Ricciardo konnte Teamkollege Yuki Tsunoda in China erstmals abhängen Zoom Download
Allem lautstark geäußerten Ärger über den Kapitalaussetzer des Kanadiers zum Trotz - zumindest den deutlichen Aufschwung bei der eigenen Performance konnte Ricciardo am Ende als Trost aus Schanghai mitnehmen. Und die Erleichterung, dass der Chassiswechsel offenbar tatsächlich als Heilmittel für die jüngste Formkrise dient, wenngleich sich der Racing-Bulls-Pilot darüber noch nicht zu früh freuen will.
"Es war auch immer der Plan, das neue Chassis hier einzuführen", stellt Ricciardo klar: "Ich weiß nicht, ob jemand anderes das schon gemacht hat, aber zu Rennen fünf habe ich natürlich meine Hand gehoben, dass ich es nehme, wann immer es fertig ist. Das war das Frühestmögliche und habe gesagt: 'Lasst es mich gerne versuchen.'" Hinzu kommt: "Yuki ist happy mit seinem, also passt das."
Für den Racing-Bulls-Piloten dient der Tausch auch dem Seelenfrieden: "Es ist einfach ein kleines Kästchen mehr, das man abhaken und damit sicherstellen kann, dass alles okay ist." Denn wirkliche Mängel an seinem alten Chassis konnte das Team nie finden.
"Aber manchmal sind diese Dinge sichtbar, manchmal eben auch nicht", sagt Ricciardo, dem dabei vor allem noch böse Erinnerungen aus seiner McLaren-Zeit nachhängen, als das Team sein Sieger-Chassis aus Monza 2021 ausmusterte und er danach einen Performance-Einbruch erlebte.
Auch die Saison 2024 begann nun mit einer Talsohle für Ricciardo, inklusive Startcrash mit Alex Albon in Suzuka als Tiefpunkt. "Wenn man sieht, wie die Saison bisher gelaufen ist, ist das sozusagen ein weiterer Schlag gewesen", gibt der 34-Jährige zu, dem jedoch auch bewusst ist: "Das war ein einmaliger Vorfall, sowas passiert einfach mal bei 24 Rennen." Deshalb habe er "den Kinnhaken einfach eingesteckt", so Ricciardo.
Wie viel Zeit geben Red Bulls Bosse Ricciardo?
Angst um sein Cockpit hat er trotz null Punkten nach fünf Rennen aber keine: "Es gibt keinen zusätzlichen Druck, im Sinne von: 'Scheiße, habe ich nächstes Wochenende noch einen Platz?' oder sowas in die Richtung", beteuert er.
Doch wie lange bekommt der Australier von seinen Bossen wirklich noch Zeit für bessere Ergebnisse? Red-Bull-Teamchef Christian Horner sagt dazu in China: "Es ist noch früh in der Saison und seine läuft noch nicht richtig an, er hatte einige Schwierigkeiten. Ich glaube, er räumt ja selbst ein, vom Gefühl her unterperformt zu haben. Aber wir sind erst bei Rennen Nummer fünf."
"Natürlich haben wir ein Auge auf alle bei Red Bull unter Vertag stehenden Fahrer und ihre Entwicklung", sagt Horner, für den dabei aktuell vor allem Tsunoda heraussticht: "Yuki hatte einen großartigen Start und fährt sehr gut." Ricciardos Schicksal liege aber dennoch weiterhin "in Daniels eigenen Händen", so Horner: "Er muss einfach wieder attraktive Leistungen zeigen, die nicht nur uns, sondern auch anderen auffallen."
Fällt Lawsons Vertrag Ricciardo auf die Füße?
Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko lässt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung allerdings keinen Zweifel daran, dass sich Ricciardo steigern muss: "Der Anspruch an ihn war, dass er klar schneller als Yuki sein muss, wenn er sich Hoffnungen auf den Sitz bei Red Bull machen möchte. Das war bisher nicht der Fall", sieht der Grazer die Tür für eine Beförderung ins A-Team erstmal wieder geschlossen.
Dass auch Ricciardos Platz bei den Racing Bulls nicht in Stein gemeißelt ist, liegt indes vor allem an Ersatzpilot Liam Lawson, der im Anschluss an die Handverletzung des Australiers in Zandvoort 2023 bei seinen ersten Grand-Prix-Einsätzen durchaus zu überzeugen wusste - und dem Red Bull für 2025 ein Renncockpit besorgen muss, um nicht den Zugriff auf das Supertalent zu verlieren.
"Wir haben natürlich mit Liam Lawson als Reservefahrer einen starken Fahrer im Team, dem es vertraglich zusteht, für ein anderes Team zu fahren, wenn er 2025 kein Cockpit bei uns bekommt. Diesbezüglich wäre es natürlich spannend, wenn wir ihn schon dieses Jahr in der Formel 1 sehen könnten, um uns noch ein klareres Bild zu machen", erhöht Marko den Druck auf Ricciardo und fügt an: "Aber das ist ein komplexes Thema, da muss man schauen, wie es weitergeht."
Teamchef Horner indes ist in dieser Sache mit Marko einmal mehr nicht ganz auf einer Wellenlänge - und tritt eher auf die Bremse: "Natürlich brennt ein Talent wie Liam Lawson auf eine Gelegenheit. Aber es ist dahingehend nichts geplant oder vorherbestimmt, wann und ob das überhaupt passieren wird. Die Priorität liegt sicher ganz klar auf den Fahrern, die aktuell in den Renncockpits sitzen", stärkt Horner Ricciardo den Rücken.
Ricciardo glaubt nicht an De-Vries-Schicksal
Ein ähnliches Schicksal wie das von Vorgänger Nyck de Vries, der mitten in der Saison vor die Tür gesetzt wurde, fürchtet auch Ricciardo selbst nicht: "Natürlich kann alles passieren, so naiv bin ich nicht. Aber für mich gibt es keine Anzeichen dafür, und ich glaube, das liegt ein bisschen daran, was ich in der Vergangenheit so gemacht habe. Ich glaube das Team weiß, auch von letztem Jahr, dass ich Zeichen von Speed und allem gezeigt habe", sagt der Australier.
"Aus irgendeinem Grund ist das dieses Jahr noch nicht in vollem Ausmaß der Fall gewesen, aber ich glaube, dass sie wissen, dass er da ist. Auch anhand der Dinge, die wir im Simulator machen, können sie das sehen. Jetzt muss ich es einfach nur zusammenbringen", meint Ricciardo und nennt weitere Gründe, warum das Team seiner Meinung nach an ihm festhalten wird:
"Natürlich sind wir nicht da, wo wir sein wollen. Aber ich bin auch kein Rookie mehr, der sich im Sport etablieren oder etwas beweisen will. Ich habe eine Erfolgsbilanz, die zeigt, dass ich es kann. Das Team glaubt daran und weiß das", zeigt sich Ricciardo selbstbewusst.
"Jetzt räumen wir einfach auf, damit wir da auch wieder hinkommen. Ich will nicht, dass das das ganze Jahr dauert und erwarte es auch nicht", sagt der Racing-Bulls-Pilot: "Wir versuchen einfach mich wieder in eine Position zu bringen, in der ich abliefern kann." Mit dem neuen Chassis als erste Schützenhilfe, damit die Spekulationen um Ricciardos Zukunft bald wieder der Vergangenheit angehören.