• 16. April 2024 · 12:14 Uhr

Interview: Adrian Neweys Vision, wie die Formel 1 sein sollte

Design-Guru Adrian Newey hat in der Formel 1 diverse Reglements durchlaufen - Für die Zukunft äußert der Brite im Interview vor allem einen großen Wunsch

(Motorsport-Total.com) - Als erfolgreichster Autodesigner der Formel 1 hat Adrian Newey schon einige Epochen des Grand-Prix-Sports miterlebt. Im Laufe seiner Karriere gab es viele Ideen für eine ultimative Formel-1-Maschine - darunter auch seinen virtuellen Red Bull X2010, den er einst für das Videospiel Gran Turismo entwarf.

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Adrian Newey sieht die Formel 1 vor Herausforderungen Zoom Download

Es war ein 1400 PS starkes Fanauto, das den Streckenrekord in Suzuka bei Simulatorfahrten um 20 Sekunden unterbot. Bei der perfekten Formel 1 geht es jedoch nicht nur darum, die ultimativen Autos zu haben. Denn ein Feld voller X2010 würde wahrscheinlich nicht den Rennsport liefern, den sich die Fans wünschen.

Eine erfolgreiche Formel 1 erfordert vielmehr die Überwindung zahlreicher diametraler Anforderungen, um Ziele zu erreichen, die zusammen etwas Aufregendes ergeben.

Newey: Fans wünschen sich laute Motoren, aber ...

Gerade debattiert die Formel 1 darüber, ob die aktuelle Regel-Ära all das gebracht hat, was man sich von ihr erhofft hatte. Gleichzeitig ist man gespannt darauf, was uns 2026 erwartet. Der perfekte Zeitpunkt, sich mit Newey zusammenzusetzen und seine Gedanken darüber zu hören, wie die Formel 1 sein sollte.

Im exklusiven Gespräch mit Motorsport.com gab Newey einen faszinierenden und pragmatischen Einblick in die Richtung, in die die Formel 1 seiner Meinung nach gehen sollte. Dabei wurde deutlich, dass in einer sich verändernden Welt wie unserer der Verstand heutzutage oft das Herz beherrschen muss.

So erklärt Newey: "Ich glaube, die meisten Leute würden sagen, dass man vom Standpunkt des Spektakels aus wahrscheinlich einen V10 mit hoher Drehzahl und Saugmotor haben möchte. Wir alle sehnen uns nach den V10- und sogar den V8-Motoren der 2000er Jahre. Aber natürlich sind sie nicht sparsam."

"Man muss also abwägen zwischen Spektakel und sozialer Verantwortung, auch wenn der Kraftstoffverbrauch der Autos in Bezug auf die durch den Sport verursachte Umweltverschmutzung in Wirklichkeit sehr gering ist", so der Brite.

Er betont: Im Fokus müssten die Menschen stehen, die die Rennen besuchen. Sie seien schließlich die größten Beitragszahler. "Und in dieser Hinsicht unterscheidet es sich nicht vom Fußball oder anderen internationalen Sportarten. Es geht um das Image und die Popularisierung", erklärt der Formel-1-Designer.

"Ich denke, das erste Problem ist die Energiequelle. Entscheidet man sich für Effizienz, die in der Regel relativ leise ist, weil Lärm eigentlich Ineffizienz bedeutet? Und was das Chassis betrifft, so ist es für mich klein und leicht. Die Autos sind sehr groß geworden. Diese Punkte umreißen die Grundvoraussetzungen."


Fotostrecke: Die Weltmeister-Autos von Adrian Newey

"Man kann dann darüber diskutieren, wie schnell das Auto sein sollte, in Bezug auf die Rundenzeit bei Highspeed-Performance. Aber man darf nicht vergessen, dass das Fernsehen immer den Eindruck erweckt, die Autos zu verlangsamen."

"Einem Auto mit mäßiger Leistung zuzuschauen, ist nicht sehr aufregend. Die Autos müssen richtig schnell sein, um im Fernsehen auch nur ansatzweise schnell zu wirken."

Formel-1-Regeln die "restriktivsten, die wir je hatten"

Neweys Ausführungen zu den Problemen einer Formel 1 der Zukunft treffen den Kern eines Konflikts, der im Herzen des Motorsports angesiedelt ist.

Die Regulierungsbehörden und Veranstalter des Grand-Prix-Sports wollen Regeln, die für Nervenkitzel sorgen, während es die Aufgabe der Teams ist, Autos zu bauen, die in einer perfekten Welt ihr Bestes geben und langweilige Doppelsiege einfahren. Denn ein unterhaltsamer Sieg bringt keine zusätzlichen Punkte.

Diese beiden Kräfte, die letztlich gegeneinander arbeiten, können nach Ansicht von Newey nie ganz aufgelöst werden. "Es sei denn, man macht es künstlich, was dann anfängt, wie die WWF (World Wrestling Federation; Anm. d. R.) zu werden. Da bin ich mir nicht sicher, ob man das kann", so der erfahrene Ingenieur.

Aus seiner Sicht sind die derzeitigen Formel-1-Regeln "die wohl restriktivsten, die wir je hatten". Und mit jedem neuen Regelwerk würden sie tendenziell restriktiver.

"Zudem wurde der Kostendeckel eingeführt, um die Ausgaben der größten Teams gegenüber den kleinsten Teams zu begrenzen. Und dennoch hat sich die Wettbewerbsordnung unter der Kostendeckelung nicht wesentlich verändert", so Newey.

Dass die Teams und die Regulierungsbehörden konkurrierende Ziele verfolgen, bedeutet jedoch nicht, dass sie garantiert scheitern, denn in ihrem Zuständigkeitsbereich befinden sich die gemeinsamen Zutaten, die großartige Rennen hervorbringen können.

Erinnerung an die guten Zeiten nicht repräsentativ

Großartig waren auch die Rennen in der Vergangenheit nicht immer. Doch die Erinnerung verklärt oft vieles, indem sie ikonische Momente als unvergesslich hervorhebt, während die langweiligen Rennen aus den Gedächtnisspeichern gestrichen werden.

"Wir haben die Angewohnheit, uns an die denkwürdigen Rennen, die denkwürdigen Duelle zu erinnern und diese irgendwie mit der rosaroten Brille zu sehen", beschreibt es Newey.

"Dann vergessen wir die, die etwas langweiliger sind. Die Realität ist aber, dass es im Laufe der Jahre viele langweilige Rennen gegeben hat, auch in jeder einzelnen Saison. Die vielleicht dramatischste Saison war 2012, als es in den ersten sechs Rennen sechs verschiedene Sieger gab", erinnert sich der Brite.


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"Ich denke, das Schöne an der Formel 1 ist, dass sie aus Mensch und Maschine besteht. Innerhalb der Maschine hat man das Chassis und den Motor. Man hat also drei wichtige Komponenten für ein durch und durch konkurrenzfähiges Paket."

"Man braucht nicht unbedingt alle drei, um der Beste in der Startaufstellung zu sein. Wenn zwei davon die Besten sind und der dritte gut ist, dann ist man in einer soliden Position."

Hier sieht Newey die Gefahr der Überregulierung:" Wenn die Autos so stark reguliert werden, dass es praktisch zu einem Ein-Marken-Rennen wird, dann zeigt die Geschichte, dass jede Rennserie, die nur noch eine Marke hat, immer weniger populär wird."

"Das beste oder schlechteste Beispiel, je nachdem, wie man es betrachten will, ist IndyCar Mitte der 90er Jahre. Damals gab es, glaube ich, vier oder fünf verschiedene Chassis-Hersteller, drei oder vier verschiedene Motorenhersteller, und die Popularität begann, mit der Formel 1 zu konkurrieren", blickt Newey zurück.

"Kurz danach wurde die Serie zu einer Ein-Marken-Serie, jedenfalls was das Chassis betrifft, und zu einer Zwei-Marken-Serie, was die Motoren angeht. Und die Popularität sank."

Die Rolle der Reifen: Newey befürwortet Abbau

Bei einer erfolgreichen Formel 1 geht es jedoch nicht nur darum, die Autos richtig hinzubekommen. Auch die Reifen haben einen erheblichen Einfluss, weiß Newey.

Zwar beklagen sich Teams und Fahrer in dieser Saison immer wieder über den Reifenabbau und darüber, dass sie nicht mehr in jeder Runde das Maximum herausholen könnten. Doch Newey ist der Meinung, dass die Balance im Moment recht gut ist.

"Ich denke, der Reifenabbau hat einen schlechten Ruf", sagt er. "Aber ich persönlich finde das eigentlich eine gute Sache. Es ermöglicht verschiedene Strategien, auch wenn man hinten liegt, etwas zu riskieren und auszuprobieren, wie wir es im vergangenen Jahr beim Rennen in Texas gemacht haben."

"Wenn der Reifenabbau damals nicht so stark gewesen wäre, hätten wir keine Chance gehabt, Max (Verstappen; Anm. d. R.) zum Sieg zu verhelfen. Und das war wahrscheinlich eines der spannendsten Rennen des Jahres, wie sich herausstellte."

"Ich denke also, dass der Reifenabbau so, wie wir ihn haben, genau richtig ist. Es bedeutet, dass wir verschiedene Strategien haben können und dass verschiedene Autos zu verschiedenen Zeitpunkten des Rennens unterschiedliche Leistungen bringen."

"Das sorgt für ein bisschen Abwechslung und damit für Unvorhersehbarkeit, die sonst vielleicht fehlen würde", betont der Red-Bull-Ingenieur. "Normalerweise sind die Rennen, bei denen der Reifenabbau weniger ein Problem darstellt und das Feld mit einem Stopp endet, die etwas langweiligeren Rennen."

Die Größe der Autos als entscheidender Faktor

Angesichts der jüngsten Diskussionen über das Problem der "Dirty Air", das trotz aller Bemühungen mit dem neuen Reglement fortbesteht, kehrt Newey zu seinem ursprünglichen Standpunkt zurück: dass die Größe der Autos entscheidend ist.

"Was die Aerodynamik angeht, so konnten die Autos 2022 einander dicht folgen, und das tun sie auch jetzt noch", sagt er. "Aber die Autos sind wirklich groß geworden. Sie sind schnell, aber sie sind schwer, und ich denke, das ist ein bisschen schade."

"Denn eines kann man sagen: Was auch immer Formel-1-Autos repräsentieren, tendiert dazu, auch im Ausstellungsraum populär zu werden. So wurden die Schaltwippen in der Formel 1 eingeführt und sind jetzt auch bei Straßenautos sehr beliebt geworden."

"Als in den 80er Jahren die Autos mit Turbolader in der Formel 1 eingeführt wurden, gab es auch mehr Straßenautos mit Turbolader. Und schauen Sie sich die Kotflügel aus Kohlefaser an - die meisten Sportwagen, die man heute auf der Autobahn sieht, haben eine Art Flügel, der sich auf und ab bewegt", zählt Newey auf.


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Er weiß: Aktuell ist Ökologie das vorherrschende Thema. Es wird viel darüber gesprochen, wie man die Auswirkungen des Autos auf den Planeten reduzieren kann. "Damit einher geht in der Regel die Besessenheit, Emissionen zu reduzieren, vielleicht durch Batterien oder Wasserstoff, ohne fossile Brennstoffe zu verwenden."

"Aber die viel wichtigere Sache ist für mich die Energiemenge, die das Auto verbraucht. Denn das ist der springende Punkt: Wenn ein Auto große Mengen an Energie verbraucht, spielt es keine Rolle, woher die Energie kommt. Selbst wenn sie von einer Windturbine kommt, ist das keineswegs emissionsfrei.

Deshalb spricht sich Newey für eine Art Rückbau aus: "Die Chance für die Formel 1, den umgekehrten Weg zu gehen und viel kleinere, leichtere und aerodynamisch effizientere Autos zu bauen, würde ich auf jeden Fall befürworten."

"Vielleicht würde das eine Abkehr von diesen drei Tonnen schweren Monstern bedeuten, die unsere Straßen verschandeln und nicht als Schlaglöcher hinterlassen."

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