Formel-1-Technik: Das ist der Mercedes-"Trick" an der Vorderachse
Die Mercedes-Vorderachse unter der Lupe: Warum die Bilder von der Präsentation des W15 für die Formel-1-Saison 2024 wohl doch kein "Scherz" waren
(Motorsport-Total.com) - Mercedes muss sich einen Scherz erlaubt haben. Das war die erste Reaktion auf ein Bild des neuen W15 bei dessen Präsentation am 14. Februar. Denn auf einer Aufnahme war eine ungewöhnliche Vorderrad-Aufhängung mit einem doppelten Querlenker zu sehen.
Doch was zunächst als "Fake" abgetan wurde, zumal vom Reglement so nicht erlaubt, entpuppte sich bei den Formel-1-Wintertests 2024 in Bahrain als eine clevere Idee.
Mercedes hat mit seinem Bild also nicht etwa versucht, die Konkurrenz in die Irre zu führen, sondern angedeutet, über welche technischen Möglichkeiten der W15-Neuwagen verfügen würde: Die Mechaniker können den oberen hinteren Querlenker der Vorderräder unterschiedlich hoch am Chassis positionieren, in einer höheren oder einer tieferen Position.
Was die unterschiedliche Querlenker-Einstellung bedeutet
Wozu das gut ist? Durch den Kniff lässt sich die Aufhängung noch besser auf die jeweiligen Anforderungen der Rennstrecke abstimmen. Sprich: Je nach Einstellung liegt der Mercedes W15 noch ein bisschen besser.
Der entscheidende Vorteil von Mercedes ist konkret der große Spielraum, den der variable Querlenker bietet. Denn die meisten Teams können die Position ihrer Querlenker zwar um ein paar Millimeter variieren, mehr aber nicht.
Allerdings hat Mercedes nicht einheitlich damit getestet: Bei den Probefahrten in Bahrain fuhr das Team an den ersten beiden Tagen mit der höherliegenden Variante und erst am dritten und letzten Tag mit der tieferliegenden Version.
Eine McLaren-Idee aus der Saison 2015
Interessant ist: Wenn der hintere obere Querlenker tiefer ansetzt, fällt der Abstand zwischen dem oberen und unteren Querlenker deutlich geringer aus. Das hat Auswirkungen auf die Aerodynamik in diesem Bereich des Fahrzeugs und dürfte die Effektivität der aerodynamischen Querlenker-Oberflächen verstärken.
Ganz neu ist dieser Ansatz nicht: Formel-1-Teams haben bereits in der Vergangenheit damit experimentiert, die Vorderrad-Aufhängung intensiv auf aerodynamische Vorteile zu trimmen. Der McLaren MP4-31 aus der Saison 2015 wäre ein solches Beispiel.
McLaren hatte damals keine Möglichkeit, die Position des oberen Querlenkers manuell zu verändern, sondern verwendete über die Rennsaison hinweg einen unveränderten Aufbau an der Vorderachse. Die hinteren Querlenker waren dabei bewusst dicht übereinander am Chassis angebracht.
Abstimmungsvorteile durch die neuen Querlenker
Es geht bei einer solchen Konstruktion aber nicht nur um aerodynamische Vorteile: Mercedes könnte mit seiner flexiblen Querlenker-Lösung auch die Bremsvorgänge optimieren. Konkret: das "Eintauchen" der Vorderrad-Aufhängung, wenn der Fahrer auf der Bremse steht.
Hier kann Mercedes mit seinen unterschiedlichen Querlenker-Positionen den Effekt entweder verstärken oder abmildern. Und das kann sich je nach Rennstrecke positiv bemerkbar machen, weil anderen Teams diese Abstimmungsmöglichkeit fehlt.
Innovative Mercedes-Aufhängungen aus der Vergangenheit
Mercedes hat nicht zum ersten Mal eine innovative Aufhängung vorgestellt. Erst beim Monaco-Grand-Prix 2023 hatte die Sternmarke eine veränderte Vorderrad-Aufhängung eingesetzt und den vorderen Querlenker höher am Chassis angebracht als davor.
Diese Änderung war damals grundsätzlich ein Erfolg. Aber: Es entstand auch ein bleibender Nachteil, weil es Mercedes nicht gelungen ist, die vorherigen Befestigungspunkte (rote Pfeile) aus dem Chassis zu entfernen. Und das ging auf Kosten eines etwas höheren Gewichts an dieser Stelle im Fahrzeug, was so auch auf den W15 und seine zwei Querlenker-Positionen zutrifft.
Doch Mercedes scheint zu glauben, dass die Flexibilität bei der Abstimmung mehr wert ist als der kleine Nachteil, den zwei unterschiedliche Ansetzpunkte am Chassis mit sich bringen. Auf jeden Fall bietet die innovative Aufhängung mehr Set-up-Möglichkeiten an der Vorderachse und verbreitert damit das Einsatzfenster des W15. Heißt: Die Ingenieure können das Auto besser auf eine Strecke einstellen.