Red-Bull-Vorwurf an FIA: Regeln 2026 sind "nicht durchdacht"
Warum Red Bull erneut Bedenken am Formel-1-Reglement für 2026 anmeldet und woran sich das Team von Weltmeister Max Verstappen konkret stört
(Motorsport-Total.com) - 2026 wird der nächste technische Meilenstein in der Formel-1-Historie. Dann führt die Rennserie ein ganz neues Reglement ein, das Aussehen und Leistung der Fahrzeuge sehr verändern wird. Doch auf große Begeisterung treffen die neuen Regeln bisher nicht, obwohl mit Audi und Honda zwei Hersteller werksseitig neu dazukommen.
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Sergio Perez im Red Bull vor George Russell im Mercedes beim Formel-1-Rennen in Monza 2023 Zoom Download
Formel-1-Weltmeister Max Verstappen aber fällte schon vor Monaten ein vernichtendes Urteil, als er sagte: "Ich habe die Daten im Simulator gesehen, und auf mich wirkt es ziemlich furchtbar."
Was die Regeländerungen 2026 konkret bedeuten
Aber was hat der Automobil-Weltverband (FIA) für 2026 eigentlich im Sinn? Kernpunkt der Änderungen ist ein neues Motorenformat mit nachhaltigem Kraftstoff und ohne MGU-H, aber mit mehr Gewichtung für die Hybrid-Komponenten: Die Batterieleistung wird von 150 Kilowatt auf 350 Kilowatt aufgewertet, der Verbrennungsmotor wiederum von derzeit rund 550 Kilowatt auf 400 Kilowatt reduziert.
Ein solches Szenario hat Red Bull bereits simuliert und Verstappen damit konfrontiert. Ergebnis: "Wenn du in Monza mit Vollgas über die Geraden fährst, dann musst du vier- oder fünfhundert [Meter] vor der Kurve runterschalten, weil das schneller ist. Und ich halte das nicht für den Weg, den wir beschreiten sollten", sagt Verstappen, räumt aber ein: "Monza ist da wahrscheinlich eine der schlimmsten Strecken."
Die FIA sieht das weniger dramatisch und meint, Red Bull habe vorschnell geurteilt und mit unvollständigen Daten gearbeitet, die gar nicht das wahre Bild der Situation im Jahr 2026 zeichnen könnten. Nikolas Tombazis als Leiter der Formelsport-Kommission im Weltverband sagt: "Die Autos werden nicht schon zur Mitte der Geraden den Topspeed erreichen und dann auf einmal langsamer. Das wird nicht passieren."
So reagiert Red Bull auf die FIA-Breitseite
Was aber hat Red Bull dann konkret gemacht und wie ist es zu seiner Einschätzung gelangt? Das erklärt nun Pierre Wache als Technischer Direktor des Weltmeister-Teams. Und sein erster Satz lautet: "Wir sind ja nicht dumm."
Das Formel-1-Reglement für 2026 befinde sich noch "in einem frühen Stadium", weil verschiedene Elemente davon noch gar nicht final verabschiedet seien. Zum Beispiel ist noch offen, welche Vorgaben dann für das Chassis gelten, weil sich der Weltverband bisher sehr auf das Antriebskonzept konzentriert hat.
Und aus guten Gründen, wie Wache erklärt: "Der wichtigste Aspekt und die größte Herausforderung ist die Kraftentfaltung des Antriebsstrangs. Der Antrieb wird sich im Jahr 2026 durch die verschiedenen Aspekte, die bereits beschlossen wurden, stark verändern. Die Herausforderung auf einigen Strecken ist dann der Energieaspekt, der sehr stark mit den Eigenschaften des Autos zusammenhängt."
"Bis die FIA und die Teams die Charakteristiken der Autos und deren Auswirkungen entwickelt und durchgespielt haben, ist es schwierig, wenn man zum Beispiel nicht genug Energie für eine Runde in Monza hat."
Was das neue Reglement bewirkt
Womit wir wieder bei dem Szenario sind, das Verstappen geschildert hat: Den Autos geht womöglich auf langen Geradeauspassagen die Puste aus.
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Wache hält das für denkbar: "Wenn die elektrische Leistung des Antriebs so hoch ist und man dann - wie bei einem Elektroauto - keine Energie mehr aufwenden kann, dann sinkt die Geschwindigkeit natürlich massiv."
"Du hast 350 Kilowatt elektrische Leistung und 400 Kilowatt vom Verbrennungsmotor, und wenn du die 350 Kilowatt abziehst, dann teilst du deine Leistung praktisch durch zwei. Damit sinkt natürlich die Geschwindigkeit und das Gefühl ist nicht so schön."
Warum die Formel 1 bald langsamer wird
Im Dialog mit den Formel-1-Teams arbeite der Weltverband jedoch daran, "wie diese Energie eingesetzt werden kann, damit das Geschwindigkeitsprofil über die gesamte Runde besser ist", sagt Wache. Damit soll auch erreicht werden, dass der Fahrer während der Fahrt "weniger gestört wird" durch das neue Fahrverhalten.
"Außerdem wird an den Eigenschaften des Autos gearbeitet, um den Luftwiderstand und den Anpressdruck zu verringern", sagt Wache und erklärt: "Durch weniger Abtrieb gewinnt man zunächst einmal mehr Energie zurück, weil man mehr Zeit in den Kurven und in den Bremszonen verbringt, und dann weniger Zeit auf den Geraden. Das ist die Art und Weise, wie sie es jetzt betrachten."
Basierend auf diesem Konzept dürfte die Formel 1 in der Saison 2026 langsamer sein als unter dem aktuellen Reglement. Für Tombazis stellt das aber "keinen großen Faktor" dar. Er meint: "Es wird ähnlich sein wie jetzt. Wir reden hier von ein paar Sekunden. Und selbst wenn es am Ende fünf Sekunden wären, würde uns das nicht den Schweiß ins Gesicht treiben."
Formel-1-Fans müssten auch keine Angst vor den neuen aerodynamischen Vorgaben haben: "Die Autos sehen [2026] immer noch wie Formel-1-Autos aus, kein Zweifel. Aber wer sich auskennt, wird sicherlich Unterschiede erkennen."
Formel-1-Autos werden 2026 kleiner
Denn die Fahrzeuge sollen kleiner werden: Die FIA plant, den Radstand von derzeit 3,6 Meter auf 3,4 Meter zu reduzieren. Außerdem werden die Autos zur Saison 2026 um zehn Zentimeter schmaler, sind dann nur noch 1,9 Meter breit. Parallel dazu soll das Fahrzeuggewicht "um 40 bis 50 Kilogramm" abgesenkt werden, so Tombazis. Man wünscht sich also insgesamt agilere Rennautos.
"Denn in den vergangenen Jahren hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Autos ein bisschen zu klobig und zu schwer geworden sind", erklärt der FIA-Formelsport-Leiter.
Was aber vermutlich bleibt oder in abgewandelter Form kommt, ist eine Überholhilfe wie das Drag-Reduction-System (DRS). "Damit soll ein Auto einem anderen so folgen können, dass es in Angriffsposition gelangen kann", sagt Tombazis. Noch aber ist sich die FIA unschlüssig, wie genau diese Überholhilfe aussehen wird.
Laut Tombazis stehen mehrere Ansätze zur Diskussion, darunter Aerodynamik-Anpassungen während der Fahrt auf den Geraden (wie bei DRS) oder in den Kurven. Auch eine Art "Push-to-pass"-System, wie es zum Beispiel die US-amerikanischen IndyCars verwenden, steht zur Debatte. Dabei wird für kurze Zeit mehr Antriebsleistung freigegeben.
"Da sind wir immer noch mit Simulationen beschäftigt, damit wir am Ende die bestmögliche Lösung haben", meint Tombazis.
Red-Bull-These: Nicht immer nur verschlimmbessern!
Das stört Red-Bull-Technikchef Wache zwar "nicht unbedingt", doch er kritisiert das Vorgehen trotzdem: "All diese Aspekte muss man als eine globale Sache betrachten. Man kann nicht Pflaster auf Pflaster auf Pflaster keben, um etwas zu erreichen."
"Man muss das Problem mit einem größeren Blickwinkel betrachten und sagen: 'Wie kann ich das in den Griff bekommen und wie löse ich mein Problem? Welche Autoeigenschaft brauche ich, um etwas zu erreichen?' Denn wenn man ein Pflaster braucht, um bestimmte Dinge zu lösen, kann man das immer noch nachträglich tun, aber man fängt nicht zuerst mit einem Pflaster an. Sonst funktioniert es nicht."
Seine These lautet also: Warum schon von Anfang an mit einer Überholhilfe planen, wenn es vielleicht auch anders geht? In jedem Fall müssten die Teams möglichst frühzeitig wissen, auf was sie sich konkret einstellen müssen.
Wache: "Wenn man Pflaster auf Pflaster setzt, vor allem bei solchen Dingen, werden die Teams ihre Autos anders entwickeln, als wenn man klarmacht, wie die Eigenschaften, der Luftwiderstand und die Kapazität des Autos sein müssen."
"Haben wir also etwas, das den Luftwiderstand durch zwei teilt, dann werde ich das Auto nicht auf die gleiche Weise entwickeln, wie wenn man sagt: 'Die Höhe des Heckflügels muss so sein, die Bodenfreiheit muss so sein'. In beiden Fällen sind der Luftwiderstand und die Menge an Abtrieb, die ich erreichen will, völlig unterschiedlich."
Was, wenn die Regeln noch einmal verändert werden?
Und die Zeit drängt: Es sind nicht mal mehr zwei Jahre bis zur Einführung des neuen Formel-1-Reglements, das kurz vor Beginn der Saison 2025 noch nicht vollständig vorliegt. Sind Anpassungen jetzt überhaupt noch möglich?
Da hat Wache seine Zweifel: "Jetzt ist es allmählich zu spät dafür." Denn gerade das Antriebsprojekt ist bei den unterschiedlichen Herstellern bereits weit fortgeschritten, und zwar nach den bisherigen Vorgaben.
"Das Problem ist, dass die Konstruktions- und Entwicklungszeit eines Motors länger ist als beim Chassis. Das Konzept des Verbrennungsmotors, der Batterie und des Elektroantriebs zu ändern, ist für [die FIA] inzwischen sehr schwierig geworden."
"Aber das [wahre] Problem ist, dass sie nicht das gesamte Konzept [dieser neuen Vorschriften] zur gleichen Zeit durchdacht haben. Die FIA hat zuerst das Motorenreglement festgelegt, und jetzt müssen wir uns mit dem Chassis auseinandersetzen, um die Probleme zu kompensieren, die wir haben. Und da haben wir keine andere Wahl. Das ist das Hauptproblem."
Das will Wache explizit nicht als Vorwurf an den Weltverband verstanden wissen, sondern als Erkenntnis für die Zukunft: "So ist es nun einmal und wir müssen damit arbeiten. Aber wir müssen auch für das nächste Mal daraus lernen."