Red-Bull-Tricks bei Andretti! Das verrät das Windkanalmodell
Andretti Global ist mit seinem Formel-1-Einstieg abgeschmettert worden - Das Windkanalmodell verrät, mit welchem Konzept man mitfahren wollte
(Motorsport-Total.com) - Die Absage der Formel 1 an Andretti Global hat bei Motorsportfans weltweit Kopfschütteln ausgelöst. Doch noch ist nicht aller Tage Abend und Andretti wäre schlecht beraten, das Projekt aufzugeben, solange die Chance besteht, 2028 in der Startaufstellung zu stehen.
© Andretti Global
Das Windkanalmodell von Andretti Global offenbart die technische Herangehensweise Zoom Download
Den Fortschritt seines ehrgeizigen Projekts demonstrierte Andretti kürzlich anhand eines Windkanalmodells. Dieses gibt einen Einblick in die Herangehensweise des amerikanischen Rennstalls an das Gesamtdesign. Es ist keine Überraschung, dass das Design konservativ ist und eine Reihe bestehender Ideen in sich vereint. Es weist vor allem Ähnlichkeiten mit dem Red Bull RB18 von 2022 auf.
Das Design der Seitenkästen ist eindeutig von Red Bull abgeleitet. Grundsätzlich gab es zu Beginn der Reglement-Revision 2022 drei Konzepte: Die "Inwash"-Lösung, bei der die Luft oben auf den Seitenkästen nach innen geleitet wird und die eigentlich von den Regelmachern angedacht war. Sie wurde zuletzt nur noch von Haas verfolgt.
Es gab die Mercedes-Lösung "Zeropods", eine originelle Interpretation des Reglements, aber letztlich erfolglos. Und schließlich die "Downwash"-Variante, die Red Bull von Anfang an verfolgte.
Charakteristisch für den Downwash ist die Rampe oder Rutsche, mit der die Luft nach unten zum Diffusor geleitet wird. Nicht so, wie es das Reglement ursprünglich vorsah, aber die effizienteste Art, Anpressdruck am Heck zu erzeugen.
Während die anderen Teams auf das Downwash-Konzept umstellten und es mit kreativen Ideen wie der "Bobbahn" von Aston Martin auf die Spitze trieben, verfeinerte Red Bull sein weniger radikales Konzept immer weiter. Ziel war es, den Kühleinlass immer weiter zu verkleinern, um mehr Luft an der Außenseite des Seitenkastens vorbei zu leiten.
Natürlich kann man argumentieren, dass fast das gesamte Formel-1-Feld auf die Red-Bull-Lösung umgestiegen ist. Allerdings geht der Red-Bull-Ansatz bei Andretti in anderen Details weiter.
Fahrzeugzentrum
Dies zeigt sich vor allem in der Gestaltung der Außenspiegel. Ihr Gehäuse besteht wie beim RB18 aus zwei Teilen, die wiederum in ein halboffenes Luftleitelement eingelassen sind.
Auch an der Außenseite der Seitenkästen wurde das Red-Bull-Design aufgegriffen: Ein Kanal (im Fachjargon "Swage Line" genannt) leitet die Luft genau so zum Heck, wie es sich das Red-Bull-Designteam um Adrien Newey einst vorgestellt hat.
Die Ähnlichkeiten setzen sich auf der Oberseite des Unterbodens fort. Leider verdeckt das Andretti-Bild aus Geheimhaltungsgründen den Anfang des Unterbodens hinter dem Vorderrad. Auffällig ist, dass im weiteren Verlauf des Unterbodens an der Seite kein Flügelwerk mehr zu sehen ist. Auch die Unterteilung des Unterbodens in verschiedene Segmente sowie die Biegungen und Windungen erinnern an den Red Bull RB18.
Gerade noch sichtbar ist hingegen der Beginn des Fahrzeugkiels links vom Vorderreifen, an dem sich unter anderem die Bodenplatte befindet. Hier zeigt das Windkanalmodell einen sogenannten Bib-Wing - einen Flügel direkt an der Spitze des Kiels.
Auch das ist nicht neu - Aston Martin zeigte diese aerodynamische Luftführung in der Fahrzeugmitte bereits bei der Präsentation des AMR22. Allerdings dauerte es eine Weile, bis das Konzept wirklich zählbare Ergebnisse lieferte.
Bei der Motorabdeckung gibt es Unterschiede zum Red-Bull-Design, die aber nicht weiter verwundern. Denn Andretti wäre wohl mit einem Renault-Kundenmotor angetreten, während die RBPT-Antriebseinheit auf einem Honda-Aggregat basiert. Die Airbox ist breiter, was auf zusätzliche Kühlaggregate auf der Lufthutze schließen lässt.
Auch am unteren Ende der Motorhaube folgt das Andretti-Modell dem allgemeinen Trend. Ein Wulst sorgt für eine scharfe Trennung von der Oberseite des Seitenkastens. Innerhalb dieses Wulstes werden zahlreiche Komponenten gekühlt. Was von der einstigen Haifischflosse übrig geblieben ist, fällt bei Andretti vergleichsweise kurz aus.
Frontpartie
Zurück zur Fahrzeugfront: Hier ähnelt das Andretti-Design stark dem Red Bull RB19, indem es auf eine Zugstrebenaufhängung ("Pullrod") setzt. Das bedeutet, dass die Querlenker an der Unterseite des Chassis angebracht sind und nach außen hin nach oben verlaufen und nicht umgekehrt.
Der vordere Arm des oberen Querlenkers ist sehr weit oben am Chassis angebracht, bereits an dessen Krümmung. Die Anlenkpunkte der unteren Querlenker befinden sich relativ weit hinten am Chassis. In der Draufsicht bilden die Querlenker also einen umgekehrten Deltaflügel.
Der Vorteil dieser Anordnung liegt zum einen in der Reduzierung der Nickbewegungen ("Pitching"). Zum anderen bietet diese Konfiguration aerodynamische Möglichkeiten, da die Querlenker mit Luftleitblechen verkleidet sind.
Es muss aber auch erwähnt werden, dass Red Bull hier kein Einzelfall ist. Auch McLaren setzt seit der Regeländerung 2022 auf Pullrod-Aufhängungen.
Beim Frontflügel hat sich Andretti bei einer ganzen Reihe von Teams bedient. Auffällig sind die Verbindungsstücke, die die beiden oberen Elemente des Frontflügels miteinander verbinden (im Fachjargon: slot gap separators). Diese haben bei Andretti eine besondere, nicht unumstrittene Form.
Normalerweise bilden die Verbindungsstücke einen Bogen. In diesem Fall hat Andretti jedoch eine andere Form gewählt, die erstmals von Mercedes beim Grand Prix der USA 2022 eingeführt worden war. Diese Elemente erzeugen "Outwash" - sie helfen, die Luft um den Vorderreifen herumzuleiten.
Mercedes debütierte in den USA 2022 mit fünf dieser slot gap separators pro Seite, Andretti begnügt sich im Windkanalmodell mit zwei. Damals wurde die Legalität dieser Teile in Frage gestellt, weshalb Mercedes die Idee nicht weiter verfolgte. Das hielt Ferrari nicht davon ab, diese Lösung in der Saison 2023 einzuführen, Haas zog im Laufe des Jahres nach.
Heckflügel
Beim Heckflügel folgt das Windkanalmodell von Andretti dem Trend zum offenen oberen Flügelblatt. Hier ist es den Formel-1-Teams gelungen, das Reglement auszuhebeln. Das obere Blatt muss mit den seitlichen Endplatten verbunden sein.
Allerdings haben Aston und Alpine zeitgleich beim Grand Prix von Monaco 2023 eine Lösung präsentiert, bei der das Oberblatt über eine Verbindung mit dem Hauptblatt indirekt mit der Endplatte verbunden ist. Im weiteren Verlauf der Saison tendierte das Feld mehrheitlich zur Alpine-Lösung, während Mercedes und Ferrari in Spa und Zandvoort eigene Interpretationen der Aston-Martin-Lösung präsentierten.
In beiden Fällen geht es darum, den freigewordenen Raum zu nutzen, um Luft hinter das nun freistehende Flügelblatt zu bekommen.