Wann Andretti frühestens einsteigen könnte und wovon das abhängt
Zu welchem Zeitpunkt das US-amerikanische Andretti-Team der Formel 1 beitreten könnte und wer als Fahrer für das neue Grand-Prix-Projekt in Frage kommt
(Motorsport-Total.com) - Schon seit Wochen hat Teamchef Michael Andretti die Freigabe des Automobil-Weltverbands (FIA) für seinen Rennstall. Das allein aber reicht nicht für einen Einstieg in die Formel 1. Denn es fehlt weiter die Zustimmung des Formel-1-Managements (FOM), ohne die das US-Team nicht an der Rennserie teilnehmen kann.
Vorausgesetzt, diese Zustimmung kommt: Wann könnte Andretti frühestens in die Formel 1 einsteigen? Welche Fahrer kämen für das US-Projekt in Frage? Und wann hatte die Formel 1 eigentlich zuletzt elf Teams im Feld? In diesem Artikel liefern wir die Antworten!
Wie nah dran ist Andretti an einem Formel-1-Einstieg?
Das Wichtigste zuerst: Eine Hürde auf dem Weg in die Formel 1 hat Andretti bereits genommen. Denn das Team hat sich in einem siebenmonatigen Bewerbungsprozess beim Automobil-Weltverband durchgesetzt und die FIA-Freigabe für eine Teilnahme an der Formel 1 erhalten.
Der Weltverband hat in diesem ersten Schritt die Nachhaltigkeit der Bewerbung geprüft: Hat Andretti die finanziellen und technischen Ressourcen, um langfristig in der Formel 1 antreten zu können? Ist das Team also gut genug, um in der "Königsklasse" mitzumischen? Diese Fragen hat die FIA für sich mit "ja" beantwortet und Andretti damit das Formel-1-Gütsiegel aufgedrückt.
Das ist aber nur die sprichwörtlich halbe Miete, weil das Formel-1-Management unter Rennserien-Besitzer Liberty Media ebenfalls zustimmen muss. Und diese Zustimmung zu erhalten, das erweist sich bislang als die größere Hürde für Andretti.
Denn das FOM beschäftigt sich nicht nur allein mit der Andretti-Bewerbung, sondern auch mit möglichen Auswirkungen auf die bestehenden zehn Formel-1-Teams. Ganz konkret: Welche (finanziellen) Folgen ergeben sich aus einer Vergrößerung des Teilnehmerfelds von zehn auf elf Rennställe?
Eine dieser Folgen betrifft das Preisgeld der Formel 1. Geschätzt eine Milliarde Euro gehen jährlich an die Teams. Dieses Geld würde bei einem möglichen Andretti-Einstieg nicht mehr nur durch zehn Teams, sondern eben durch elf Teams geteilt werden. Es bliebe also jeweils weniger als bisher für die Rennställe, und das stört natürlich vor allem die aktuellen Formel-1-Teams.
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Als Kompensierung sieht das Concorde-Agreement (gewissermaßen der "Formel-1-Vertrag" zwischen FIA, FOM und Teams) eine Anti-Verwässerungsgebühr in Höhe von rund 180 Millionen Euro vor. So viel Geld müsste ein neues Team einmalig bei seinem Formel-1-Einstieg zahlen, und dieses Geld würde an die bestehenden Rennställe gehen, um deren Einkommensverluste zumindest teilweise zu kompensieren.
Dagegen regt sich Widerstand im Fahrerlager. Tenor: Die Gebühr falle zu gering aus. Denn die Summe wurde zu einer Zeit festgelegt, als Teams noch Jahr für Jahr ums finanzielle Überleben kämpften. Inzwischen aber sind alle Rennställe gefestigte Größen und profitieren von steigendem Wert in einer weltweit immer populärer werdenden Formel 1.
Deshalb fordern einige Teams, die Anti-Verwässerungsgebühr müsse mindestens dreimal so hoch ausfallen, um die Preisgeld-Verluste zu decken, die durch den Andretti-Einstieg entstehen würden, und um den Gesamtwert der Teams zu erhalten.
Teams wie Haas und Williams pochen auf solche drastischen Maßnahmen, zumal sie die jüngste wirtschaftliche Notlage im Zuge der Corona-Pandemie überstehen mussten, und das unter hohem Kapitalaufwand.
Andretti-Teamchef Michael Andretti als Sohn von Formel-1-Weltmeister Mario Andretti wderspricht hier freilich und meint: Er werde mit seinem Team zur Wertschöpfung der Formel 1 beitragen und neue Sponsoren anziehen. Auch durch Andretti-Partner Cadillac werde die Rennserie nochmals aufgewertet. Seine These: Unterm Strich gehe den bestehenden Teams kein Einkommen flöten.
Und General Motors als Mutterkonzern von Cadillac meint es ernst: Der US-amerikanische Hersteller hat unlängst angekündigt, zur Saison 2028 einen eigenen Formel-1-Antrieb zu produzieren - ausdrücklich für Andretti. Das soll der Bewerbung des Teams nochmals Nachdruck verleihen.
Für einen möglichen Formel-1-Einstieg davor müsste Andretti also Kundenantriebe eines anderen Herstellers verwenden. Das Reglement sieht hier aber eine Pflichtzuteilung vor, sofern Andretti eine Startfreigabe erhält. Sprich: Das neue Team stünde nicht ohne Motorenpartner da, weil ein aktueller Hersteller als Partner auftreten müsste.
Wann könnte Andretti in die Formel 1 einsteigen?
Das bringt uns zur Frage, wann genau Andretti denn in die Formel 1 einsteigen könnte. Und klar ist: Für 2024 ist es zu knapp. Das stand aber ohnehin nie zur Debatte.
Erst beim USA-Grand-Prix in Austin vor wenigen Wochen hat Teamchef Michael Andretti nochmals betont, er könne sich einen Einstieg zur Saison 2025 sehr gut vorstellen, zumal sein Rennstall bereits mit einem Modellauto nach 2023er-Spezifikationen im Windkanal teste.
Weil Andretti und seine Sponsoren aber ein großangelegtes US-amerikanisches Projekt planen und umsetzen wollen, könnte die Vorlaufzeit doch größer ausfallen. 2026 wäre dann der naheliegende Zeitpunkt für den Formel-1-Einstieg, mit etwas mehr Vorbereitungszeit auf technischer und kommerzieller Seite.
Dazu passt: 2026 erhält die Formel 1 ein neues Technisches Reglement mit neuen Antrieben. Es wäre daher sinnvoll, erst 2026 den Schritt in die Formel 1 zu vollziehen, wenn ohnehin alle Teams ganz neue Autos entwickeln müssen. Denn sonst würde Andretti schon 2025 Formel-1-Fahrzeuge bauen und einsetzen, die 2026 nicht mehr weiterentwickelt werden könnten.
Allerdings kann es auch viele Vorteile haben, einen "Frühstart" hinzulegen in der Formel 1, wenn auch unter einem anderen Reglement. Das hat US-Team Haas 2016 vorgemacht: Es kam ein Jahr vor größeren Regeländerungen in die Formel 1 und nutzte dieses Jahr gewissermaßen zur Vorbereitung unter Rennbedingungen.
Wer käme als Fahrer in Frage für Andretti in der Formel 1?
Nehmen wir also mal an, Andretti bekommt die Formel-1-Freigabe. Dann stellt sich als nächstes die Frage, wer die beiden Autos des neuen US-amerikanischen Teams bewegen soll. Denn zumindest einen US-Fahrer will der Rennstall unbedingt an den Start bringen.
Teamchef Michael Andretti hat hier einen klaren Favoriten: Colton Herta. Der junge Kalifornier hat bereits in der IndyCar-Serie für Aufsehen gesorgt, indem er als gerade mal 18-Jähriger ein Rennen gewonnen hat. Herta zählt seither zu den Spitzenfahrern der Meisterschaft, war bereits Fünfter in der Gesamtwertung und zweimal Zehnter.
Seine bisherigen Ergebnisse bedeuten aber auch: Noch hat Herta nicht die erforderlichen Superlizenz-Punkte, um sich für den "Formel-1-Führerschein" zu qualifizieren. Herta müsste 2024 die IndyCar-Serie gewinnen. Damit wäre er 2025 startberechtigt in der Formel 1.
Andere US-Fahrer drängen sich aktuell nicht auf für Andretti. Josef Newgarden als Indy-500-Sieger 2023 etwa steht bei Penske unter Vertrag und hegt derzeit keine Wechselgedanken. Alexander Rossi als früherer Formel-1-Fahrer hat Andretti erst kürzlich in Richtung McLaren verlassen und dürfte ebenfalls nicht auf ein Formel-1-Cockpit spekulieren.
Mit Kyle Kirkwood hat Andretti unlängst einen Nachwuchsmann verpflichtet, der Formel-1-Ambitionen entwickeln könnte, aber auch ihm fehlen bislang die notwendigen Lizenzpunkte.
Aktuell ist mit Logan Sargeant bereits ein US-amerikanischer Rennfahrer in der Formel 1 aktiv. Er wäre theoretisch verfügbar für Andretti, sollte zum Beispiel Herta keine Superlizenz erhalten.
Und wer bekäme dann das zweite Cockpit? Auch das ist offen. Aber Andretti plant, das zweite Auto mit einem erfahrenen Mann zu besetzen, der die Formel 1 bereits gut kennt. Einen klaren Kandidaten dafür gibt es bislang noch nicht.
Von den aktuellen Fahrern wird sich vermutlich niemand sofort auf einen Neueinsteiger einlassen wollen, zumal es sich für 2026 auf dem Fahrermarkt zu positionieren gilt: Die meisten Verträge laufen Ende 2024 oder Ende 2025 aus. Doch das muss nichts Schlechtes sein für Andretti, denn es könnte einen Fahrer "auffangen", der im Cockpit-Poker für 2026 zunächst abblitzt.
Und solche Fahrer gibt es durchaus: Valtteri Bottas etwa könnte auf Cockpitsuche gehen müssen, falls er (für 2026) nicht von Audi übernommen wird. Auch Kevin Magnussen, derzeit bei Haas beschäftigt, käme vielleicht in Frage. Das gilt ebenso für Sergio Perez und Daniel Ricciardo, wenn sich eine Zukunft bei Red Bull nicht ergeben würde. Doch all das ist an dieser Stelle nur Spekulation.
Wann fuhren eigentlich zuletzt elf Teams in der Formel 1?
Fest steht nur: Es gibt begrenzt Platz in der Formel 1 bei derzeit zehn Teams mit jeweils zwei Autos. Zwei weitere Fahrzeuge würden mehr Möglichkeiten bedeuten. Wann aber hatte die Formel 1 zuletzt ein Feld mit insgesamt 22 Autos? Das ist noch gar nicht so lange her: Es war 2016.
Damals waren bereits 18 der aktuellen Formel-1-Rennstrecken 2024 im Kalender vertreten. Das Argument gegen Andretti, die Strecken hätten überhaupt keinen Platz für ein elftes Team, zieht also nicht. Und das Sportliche Reglement sieht sogar bis zu 13 Teams mit insgesamt 26 Fahrzeugen vor.
Doch zurück zur Saison 2016 und den elf Teams: Mit Haas war es ironischerweise ein US-Team, das für die Erweiterung des Feldes gesorgt hat. Es belegte damals P8 in der Konstrukteurswertung, ein solider Einstand für einen neuen Rennstall. Haas ist weiterhin das jüngste Team in der Formel 1.
Warum es jetzt aber nur noch zehn Teams sind? Weil Manor Anfang 2017 Insolvenz angemeldet hat. Es war dem Team in der Winterpause zwischen 2016 und 2017 nicht gelungen, neue Investoren für die Fortführung des Rennbetriebs sicherzustellen. Damit schrumpfte das Feld von 22 auf 20 Autos, und dabei blieb es bis einschließlich 2024.
Jetzt will die Formel 1 sicherstellen, dass sich dergleichen nicht wiederholt. Ein neues Team soll nicht nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwinden, so wie es bei Manor (2010 als Virgin eingestiegen) oder HRT und Caterham (davor Lotus) passiert ist.
In welchen Rennserien ist Andretti bereits aktiv?
Wie groß wäre wohl die Gefahr, dass Andretti die Formel 1 unterschätzt? Vermutlich eher gering. Denn Andretti hat einerseits die finanzielle und technische Nachhaltigkeitsprüfung des Weltverbands bestanden und tritt andererseits bereits in mehreren großen Rennserien an.
In der Formel-E-Weltmeisterschaft etwa stellte Andretti in der vergangenen Saison mit Jake Dennis den Fahrermeister. In der Teamwertung belegte der US-Rennstall den dritten Platz. In der ebenfalls elektrischen Extreme E kam Andretti auf P7 unter elf Teams.
Am bekanntesten von allen Andretti-Projekten aber dürfte das IndyCar-Engagement sein. 2002 ist Michael Andretti als Anteilseigner bei Team Green eingestiegen und hat das Team sukzessive zu seinem Familienrennstall umgebaut. Mit Erfolg: Seither hat Andretti fünfmal das Indy 500 und viermal die IndyCar-Meisterschaft gewonnen.
Weitere Andretti-Projekte betreffen die direkte IndyCar-Nachwuchsserie sowie die IMSA-Sportwagen-Meisterschaft in den USA. Aber auch in Australien ist Andretti aktiv, in der dortigen Supercars-Serie und in Zusammenarbeit mit den Teams Walkinshaw und United.