Max Verstappen unmittelbar nach der Kollision mit Lewis Hamilton in Copse-Corner
Lewis vs Max: "Meinungen sind wie Arschlöcher ..."
Der Crash des Jahres: Lewis Hamilton schießt Max Verstappen ins Krankenhaus - und gewinnt trotzdem den Grand Prix. Weitere Formel-1-Videos
Mir ist inzwischen jenes Diagramm in die Hände gefallen, das Mercedes-Teamchef Toto Wolff während des Rennens an FIA-Rennleiter Michael Masi gemailt hat. Das gilt als Handlungsempfehlung für Fahrer und als Orientierung für die FIA-Rennkommissare, um eben solche Kollisionen einzuordnen.
Auf dem Diagramm ist klar zu sehen, dass ein Fahrer, der in einer Kurve innen versucht, einen Gegner zu überholen, gar nicht auf gleicher Höhe sein muss. Ein Beispielbild, auf dem das Vorderrad des angreifenden Autos nur etwa eine Radbreite vor dem Hinterrad des verteidigenden Autos fährt ("significant overlap"), ist dort wörtlich so illustriert: "Die Kurve gehört dir. Vorausgesetzt du schaffst es sauber durch die Kurve."
Damit ist klar: So eindeutig, wie Red Bull es uns verkaufen wollte, ist die Schuldfrage nicht. Und angesichts dieses Diagramms ist auch nachvollziehbar, warum Mercedes' leitender Renningenieur Andrew Shovlin sogar findet, dass die Zehn-Sekunden-Strafe zu hart war. Denn demnach wäre es Verstappen gewesen, der zurückziehen hätte müssen, und nicht Hamilton.
Nun kann man herzhaft darüber streiten, ob diese Regel (die mir, zugegeben, vorher auch nicht in der Form bekannt war) sinnvoll ist. Tatsache ist aber: Fahrer und Teams wussten darüber natürlich besser Bescheid als die TV-Zuschauer und ich, die wir im ersten Impuls mehrheitlich dazu geneigt waren, Hamilton für geisteskrank zu erklären und ihm selbstverständlich die Schuld zu geben.
Zu einer reflektierten Betrachtung der Kollision gehört freilich auch, dass Hamilton durchaus seinen Anteil an dem Crash hatte, und so bleibe ich bei meiner Einschätzung aus der Video-Rennanalyse von Sonntagabend, die da lautete: Hamilton hat zwar, anders als Verstappen, versucht, eine Berührung zu verhindern (zumindest im letzten Moment). Aber die Strafe war in meiner subjektiven Wahrnehmung dennoch gerechtfertigt.
Denn der direkte Vergleich der beiden Manöver Hamilton-Verstappen und Hamilton-Leclerc zeigt, dass Hamilton bei der Attacke gegen Verstappen um eine Fahrzeugbreite weiter außen fuhr als gegen Leclerc.
Leclerc also dafür zu loben, dass er Platz gelassen habe, und Verstappen zwischen den Zeilen zu unterstellen, er habe sich zu aggressiv verhalten, ist angesichts solcher Beweisbilder nicht korrekt. Es war Hamilton, dessen Linie nicht konstant war, nicht die des jeweiligen Gegners.
Wie dem auch sei: Verstappen kommt jetzt mit acht WM-Punkten Vorsprung nach Ungarn, und weil der Hungaroring für den RB16B ein gefundenes Fressen sein sollte, steht zu erwarten, dass er unter normalen Umständen als WM-Führender in die Sommerpause gehen wird. In der können sich die Gemüter dann wieder ein wenig beruhigen. Und Red Bull Optimismus tanken.
Denn so euphorisch Hamiltons Sieg in Silverstone auch gewesen sein mag: Der Sprint am Samstag hat gezeigt, wer - trotz (letztem) Mercedes-Update - immer noch das schnellste Auto im Feld hat.
Wenn Verstappen nicht noch ein Baku oder Silverstone passiert, sondern zur Abwechslung auch Hamilton mal von seinem Glück verlassen wird, dann hat der 23-Jährige allerbeste Chancen, 2021 Formel-1-Weltmeister zu werden.
Ihr
Christian Nimmervoll
Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "Breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen.
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