Rennvorschau Spa: Nach der Sommerpause wird's winterlich
Regen und frostige Temperaturen könnten das Duell Mercedes versus Ferrari beim Belgien-Grand-Prix durcheinanderwirbeln - Neuer Motorenvorteil spricht für Vettel
(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 kehrt am kommenden Wochenende aus ihrer Sommerpause zurück und eröffnet mit dem Belgien-Grand-Prix in Spa-Francorchamps (Formel 1 2018 live im Ticker!) die zweite Saisonhälfte. Über allem schwebt die Frage, wer in den Duellen um die WM-Titel den nächsten Stich macht: Lewis Hamilton, Sebastian Vettel oder doch noch ein dritter Mann? Mercedes oder Ferrari?
Auf der Ardennen-Achterbahn spricht historisch vieles für Titelverteidiger Hamilton und die Silberpfeile. Bei den drei jüngsten Ausgaben des Rennens war das Team erfolgreich und wäre in der Hybridära wahrscheinlich ungeschlagen, hätte es 2014 nicht den Stallcrash mit Nico Rosberg gegeben.
Doch die Zeiten könnten sich geändert haben: Ferrari verfügt seit einem Update anlässlich des Kanada-Grand-Prix mutmaßlich über den stärksten Antrieb im Feld. Die Ausbaustufe "Spec2" erwies sich auf Kursen, auf denen mit wenig Abtrieb gefahren wird, als Trumpf. Gut möglich, dass Vettel und Kimi Räikkönen in Spa daher im Vorteil sein werden. Schließlich ist Power ein Schlüsselfaktor.
Auf der 7,004 Kilometer langen Traditionsbahn wird viermal an der 300-km/h-Marke gekratzt: vor den Kurven Eau Rouge, Pouhon und Blanchimont sowie auf der Kemmel-Geraden. Viele der ehemaligen Mutkurven gehen dank der ausgefeilteren Aerodynamik der Boliden auf trockener Fahrbahn problemlos mit Vollgas, was den Faktor Fahrer im Vergleich zur Vergangenheit entwertet hat.
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Belgien
1925 wird erstmals ein Grand Prix von Belgien ausgetragen, und schon damals wird in Spa-Francorchamps gefahren. Die Strecke führt über öffentliche Straßen und ist 15 Kilometer lang. Die heute berühmteste Kurve ist übrigens nicht von Anfang an Bestandteil der Strecke. Erst 1939 wird die Eau Rouge gebaut. Fotostrecke
Das liegt auch an der FIA: Sie hat entschieden, eine von den Piloten vorgeschlagene DRS-Zone durch Blanchimont nicht einzuführen. Bei 320 km/h und leichter Kurvenfahrt den Heckflügel umklappen zu lassen, ist Rennleiter Charlie Whiting zu gefährlich. So bleibt es bei bewährten DRS-Abschnitten auf der Start- und Zielgeraden sowie (etwas verlängert) auf der Kemmel-Geraden.
Überholen wird insbesondere an dem harten Bremspunkt vor Les Combes trotzdem möglich sein, was Mercedes erfreuen dürfte. Im Renntrimm waren Hamilton und Bottas Ferrari zuletzt ebenbürtig (wenn nicht sogar überlegen) und schienen weniger Probleme zu haben als im Qualifying. Dass Pirelli die Mischungen Supersoft, Soft und Medium nach Belgien liefert, schmälert den Bonus aber.
Denn umso konservativer die Auswahl ausfällt, desto eher wird Ferrari seinen kleinen Nachteil bei Abbau und Verschleiß zu kompensieren wissen und desto weniger Spielarten gibt es bei der Renntaktik. Ergo: Desto weniger Möglichkeiten bestehen, einen Mercedes an einem roten Renner via Boxenstrategie vorbeizubringen. Und schon jetzt deutet vieles auf ein Einstopp-Rennen in Spa hin.
Es sei denn, es regnet. Ersten Prognosen für Samstag und Sonntag zufolge sind Niederschläge nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Das Risiko während des Qualifying und des Rennens berechnen die Meteorologen Stand heute mit rund 70 respektive 60 Prozent. Dazu soll es ungewöhnlich kühl werden und das Thermometer zu keinem Zeitpunkt über die 14-Grad-Celsius-Marke klettern.
Bis zum Debakel im Ungarn-Qualifying hätten viele Experten angesichts der Vorhersage Geld auf die Red-Bull-Mannschaft gewettet. Doch offenbar ist der RB14 im Regen nicht so stark wie es die Teamführung zuvor herausposaunt hatte. Das Auto schont durch seinen starken Anstellwinkel die Reifen zwar gut, bekommt sie dafür aber insbesondere im Nassen nicht ausreichend auf Temperatur.
Max Verstappen und Daniel Ricciardo gelten daher in Belgien nicht einmal als Geheimtipp: Das PS-Defizit des Renault-Antriebs wird sich im Trockenen durch flachgestellte Flügel wohl kaum ausreichend kompensieren lassen, weil auch Mercedes und Ferrari in der Lage sind, sich auf ihre Chassis zu verlassen und wenig Luftwiderstand einzustellen. Bitter allen voran für Zehntausende in Orange gedresste Niederländer, die an der Strecke erwartet werden, um Verstappen anzufeuern.
Im Mittelfeld könnte es erneut eng zugehen: Haas und Sauber werden von ihrer Ferrari-Power profitieren und sind daher heiße Kandidaten auf die Rolle des ärgsten Verfolgers der Top-3-Teams. Was den reinen Speed betrifft sind die US-Amerikaner ohnehin zu favorisieren, sofern sie sich nicht (wie so häufig) selbst ein Bein stellen. Die Renault-Werkstruppe um Nico Hülkenberg machte renntaktisch zuletzt die beste Figur, wird jedoch an den langen Geraden des Kurses zu knabbern haben.
Spannend ist auch die Frage, ob Force India nach der Rettung durch ein Konsortium um Modemogul Lawrence Stroll in der Lage gewesen ist, funktionierende Updates für sein Auto zu produzieren. Mit den seit Monaten in Planung befindlichen, aber durch die finanziellen Probleme zurückgehaltenen Neuerungen könnten die Pinken viel prominenter in den Kampf um die WM-Punkte eingreifen.
Besonders motiviert dürften die Toro-Rosso-Piloten aus der Pause kommen: Pierre Gasly tritt erstmals in dem Wissen um seinen Aufstieg zu Red Bull an, während Brendon Hartley die Chance wittert, sich angesichts knapper Alternativen für 2019 zu behaupten. McLaren-Star Fernando Alonso beginnt in Belgien seine Abschiedstournee. Um den Platz neben seinem Nachfolger Carlos Sainz zu erhalten, muss Teamkollege Stoffel Vandoorne beim Heimrennen Werbung in eigener Sache machen - an einem Wochenende, an dem Teamjunior Lando Norris erstmals den Freitagsfahrer gibt.