Aston Martin: Eigentlich tickt Lance Stroll ganz anders
Medienmuffel, lustlos, meist langsamer als Alonso: Hat die Öffentlichkeit ein falsches Bild von Formel-1-Fahrer Lance Stroll? Sein Team wirbt um Verständnis
(Motorsport-Total.com) - Für viele Beobachter war Lance Strolls Aus beim Brasilien-Grand-Prix 2024 symptomatisch für sein Auftreten in der Formel 1: lustlos und fehleranfällig. Nimmt man noch sein oft mürrisches Verhalten in Interviews dazu, setzt sich ein Bild zusammen, das häufig in folgender These mündet: "Lance Stroll fährt nur in der Formel 1, weil er ein Cockpit im Team seines Vaters hat."
Zumindest für sein skurriles Ausscheiden in Brasilien aber gab es laut Stroll gute Gründe: Sein Aston Martin AMR24 habe "ein Bremsproblem" gehabt, weshalb er noch vor dem Start abgeflogen sei.
"Danach habe ich nur noch versucht, die Sache irgendwie zu retten. Und dann die Nummer mit dem Kiesbett, das war auch ein Reinfall. Aber zu diesem Zeitpunkt hätten wir angesichts der Bremsprobleme ohnehin nicht mehr viel ausrichten können. Eigentlich war das gesamte Wochenende vom ersten Training an schlecht." Mehr noch: Es sei "furchtbar" gewesen, meint Stroll.
Er wirkt ernüchtert, wenn er weiter sagt: "Die Strecke hat nicht gut zu unserem Auto gepasst, aber das sagen wir schon seit Wochen. Alle Strecken passen nicht gut zu unserem Auto."
"Deshalb haben wir viele unterschiedliche Pakete ausprobiert: alte Unterböden, neue Unterböden. Es gibt aber halt kein magisches Rezept für Teile, mit denen wir weiter nach vorne gelangen könnten", erklärt Stroll. "Ich hoffe einfach, an diesem Wochenende kommt unter anderen Umständen etwas mehr Leben ins Auto."
Aston Martin: Egal ist es Stroll sicher nicht!
Aber steckt in diesen Aussagen der wahre Lance Stroll oder ist es ihm eigentlich - so wie viele vermuten - herzlich egal, wie gut das Auto ist und was es auf der Rennstrecke hergibt?
Aston-Martin-Chefingenieur Tom McCullough bricht an dieser Stelle eine Lanze für Lance und meint, das Team erlebe Stroll intern "wirklich ganz anders". Der Teambesitzer-Sohn bringe sich intensiv in die Entwicklungsarbeit ein, indem er zum Beispiel "sehr oft" im Simulator sitze und so zur Korrelation mit dem Windkanal beitrage. Stroll nehme ausdrücklich auch an "vielen Besprechungen" mit den Ingenieuren teil.
"Er will wirklich verstehen, wie er am meisten aus dem Auto herausholen kann, und bei der Entwicklung helfen, indem er seine größten Baustellen benennt", sagt McCullough. "Und nach dem, was ich sehe, hat er Freude an den technischen Belangen."
Wird Stroll missverstanden?
Wird Lance Stroll also von vielen missverstanden? McCullough meint: "Von außen betrachtet: Ja, ich glaube schon. Intern erleben wir ihn ganz anders. Da ist er sehr engagiert und arbeitet wirklich gut mit seinen Ingenieuren zusammen. Auch Fernando und Lance arbeiten gut zusammen. Sie gehen sehr offen miteinander um. Aus unserer Sicht kann man gut mit Lance arbeiten."
Eine Einschränkung aber macht McCullough dann doch: Die "kommerzielle Seite" und "die Medienarbeit", das seien "Dinge, die ihm vielleicht weniger viel Freude machen". Stimmt: Stroll kommt schon mal Kaugummi kauend zum Pressetermin, gibt sich wortkarg und beendet die Interviewrunde mitunter selbst wieder, ohne auf ein Signal seiner Medienbetreuer zu warten.
Doch das ist laut Stroll-Teamkollege Fernando Alonso nur der Eindruck der Öffentlichkeit, die "immer ganz intensiv und mit der Lupe hinschaut", so beschreibt es der zweimalige Formel-1-Weltmeister. "Aber das ist die Welt, in der wir leben."
Dann lobt Alonso Stroll ausdrücklich, indem er dessen Erfolge aufzählt: "Lance hat jede Nachwuchsklasse vor der Formel 1 gewonnen und er hat auch in der Formel 1 gute wie schlechte Ergebnisse erzielt. Wie jeder andere."
Manche Fahrer leiden unter ihren Autos
"Unglücklich für ihn ist: Zu 90 Prozent seiner Formel-1-Laufbahn hatte er nicht konkurrenzfähige Autos. Das ist brutal für jeden Fahrer. Die Geschichte kennt viele Beispiele aus der Vergangenheit von Fahrern, die mit nicht konkurrenzfähigen Autos fuhren und dann schnell wieder raus waren aus der Formel 1."
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Wenn es keine Zwischenfälle gibt, haben Alpine, Haas, Sauber, die Racing Bulls und Williams zu Beginn der Saison 2024 kaum Chancen auf Punkte in der Formel 1. In dieser Fotostrecke vergeben wir daher nur Zähler für diese fünf Teams nach dem klassischen Schema 10-6-4-3-2-1. Beim Sprint gibt es für die Top 3 Punkte (3-2-1). Fotostrecke
"Ein Beispiel ist unser Ersatzmann Stoffel Vandoorne. Er ist sehr talentiert, hat die Formel [Renault] und die Formel 2 gewonnen, ist dann aber in einem nicht konkurrenzfähigen Auto gelandet - und fährt jetzt nicht mehr in der Formel 1."
"Lance dagegen hatte jahrelang schlechte Autos, aber er gibt nicht auf, davon zu träumen, eines Tages eben doch ein gutes Auto zu haben. Das ist unser aller Mission bei Aston Martin: eines Tages ein konkurrenzfähiges Auto zu haben", meint Alonso.
Nachsatz: "Ob ich davon profitieren kann, das weiß ich nicht, denn ich bin nicht ewig hier. Aber ich hoffe, Lance hat eines Tages ein konkurrenzfähiges Auto, womit er die Meinung vieler ändern kann."
Bei Stroll ist die Sache anders ...
Denn auch Alonso beschreibt Stroll als einen ehrgeizigen Fahrer, der hinter den Kulissen einiges dafür tut, das Auto schneller zu machen. Nach außen werde aber oft das Bild des Sohnes transportiert, der nur dank Papa überhaupt in der Formel 1 aktiv sein kann.
Oder wie es Alonso im O-Ton beschreibt: Weil Lawrence Stroll der Eigentümer von Aston Martin ist, "lässt das die Loyalitäten und die Arbeitsweise von Lance vielleicht etwas anders erscheinen als bei anderen meiner Teamkollegen. Denn die konnten für das folgende Jahr irgendwo anders hingehen oder waren etwas zurückhaltender beim Teilen von Informationen oder bei der Zusammenarbeit."
Alonso deutet an: Stroll bald die Nummer eins
Bei Stroll junior hingegen sei der Fall anders: "Lance gehört zur Aston-Martin-Familie. Das macht es einfacher für alle Beteiligten", erklärt Alonso. Mehr noch: Stroll werde in Zukunft noch mehr Verantwortung tragen, schließlich "befinde ich mich in der Endphase meiner Laufbahn und versuche, ihm bestmöglich zu helfen, denn er wird sehr bald schon der Führungsfahrer sein in diesem Team", sagt Alonso.
Was aber nicht bedeuten wird, dass Alonso bald raus ist: Seine jüngste Vertragsverlängerung mit Aston Martin beschert ihm voraussichtlich noch mindestens zwei weitere Saisons bis Ende 2026. Für Stroll gilt das Gleiche: Auch er ist vertraglich bis Ende der übernächsten Formel-1-Saison an Aston Martin gebunden.