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Exklusiv: Hinter den Kulissen des ersten Formel-1-Tests von Antonelli
Roberto Chinchero von Motorsport.com Italien durfte Andrea Kimi Antonelli bei dessen ersten Formel-1-Test im April 2024 in Spielberg hautnah begleiten
(Motorsport-Total.com) - Am Wochenende des Grand Prix von Österreich im Hotel Schonberghof ein Zimmer zu ergattern, ist praktisch unmöglich. Nur wenige Gehminuten vom Eingang zum Fahrerlager des Red-Bull-Rings in Spielberg entfernt, ist es offensichtlich nur für die Prominenz der Formel 1 reserviert.
Ganz anders sieht es aus, wenn auf der Rennstrecke gerade kein Rennen stattfindet. Wie an einem Dienstag im April. Der Frühling kommt nur sehr langsam in die Region, die Kleidung ist noch winterlich und die Atmosphäre erinnert an die Vorsaisontests in Barcelona.
Das Restaurant im Hotel Schonberghof ist geöffnet, und an einem der Tische wird Italienisch und Englisch gesprochen. Beiläufig wechselt Andrea Kimi Antonelli von seiner Muttersprache ins Englische zu Stephane Guerin, einem Mercedes-Berater, der ihn seit seinen ersten Schritten im Monoposto begleitet.
Sprachliche Vielfalt im Restaurant
"Wiener Schnitzel für alle", sagt Antonelli, und der Tisch folgt ihm fast einstimmig. Zwölf Stunden später klettert er zum ersten Mal in einen Formel-1-Auto: den Mercedes W12, den Lewis Hamilton in der dramatischen Saison 2021 gefahren ist.
In jeder Karriere gibt es besondere Tage, die unerwartet kommen, und andere, an denen Träume langsam Gestalt annehmen und dann Wirklichkeit werden. Der erste Test am Steuer eines Formel-1-Rennwagens ist für alle Fahrer ein unvergessliches Erlebnis.
Von Nervosität keine Spur, die verbergen seine Eltern Marco und Veronica wohl sehr gut. Vom Fahrersitz ("Er sieht sehr bequem aus") bis zum Wetter: "Nur für den Fall, dass ich meine ersten Runden in einem Formel-1-Auto mit Regenreifen drehen muss."
Die Vorbereitungen für einen besonderen Tag
Noch weiß Antonelli nicht, dass ihn bei seinem ersten Test in einem Formel-1-Auto nicht nur Regen, sondern am Nachmittag auch Schnee begleiten wird. Er verschlingt sein Wiener Schnitzel, macht aber einen Bogen um Süßigkeiten und begnügt sich mit stillem Wasser. Papa Marco bricht das Eis ein wenig, als er fragt: "Was haben dir die Ingenieure gesagt?"
"Das Programm hängt vom Wetter ab", antwortet Antonelli. "Ich war überrascht, wie aufgeregt sie waren."
Eine der Aufgaben, die Antonelli am Tag vor seinem ersten Formel-1-Test erledigte, bestand darin, sich die Namen aller Ingenieure einzuprägen, mit denen er zusammenarbeiten würde. Er bat Mercedes um eine Datei mit allen Mitarbeitern, die er an der Strecke treffen würde, verband die Namen mit den Gesichtern und prägte sich alles ein, um sich schneller im Team zurechtzufinden.
Nervosität wird geschickt überspielt
Am Ende des Abendessens erzählt Antonelli Anekdoten aus der Formel-Regional-Saison, die erst ein halbes Jahr zurückliegt. Und von den Schwierigkeiten, die er an den ersten drei Wochenenden in der Formel 2 hatte, als er mit einem Auto kämpfte, der noch nicht in Bestform war. Dann zieht sich der 17-Jährige in sein Zimmer zurück. Ein Kuss für seine Eltern wird mit einem Streicheln erwidert.
Es regnet. Als Antonelli um acht Uhr morgens die Tür zur Mercedes-Box öffnet, staunt er nicht schlecht: "Sind die all die Leute wegen mir hier?"
Gäste gibt es keine, nur das nötigste Personal, der Test findet hinter verschlossenen Türen statt. Doch wer aus den Fahrerlagern der unteren Klassen kommt, wird von der Menge der Menschen regelrecht übermannt. Bei einem Formel-1-Test sind etwa 30 Leute in der Box, darunter Ingenieure, Mechaniker, Telemetrie-Analysten und so weiter.
Ein unvergesslicher Moment hinter dem Steuer eines Formel-1-Autos
Die Ausnahme für den Autor dieser Zeilen ist ein altes Versprechen, das er Antonelli in dessen erster Saison im Formelsport gegeben hat: "Ich will an dem Tag dabei sein, an dem du zum ersten Mal ein Formel-1-Auto fährst". Es war nur eine Frage der Zeit, aber noch gibt Antonelli das Tempo vor.
Er bewegt sich lässig, grüßt jeden, plaudert und kommentiert den Regen auf der Strecke. "Ich glaube, es ist wirklich viel", sagt er. "Ich hoffe, ich kann fahren, auch wenn es nass ist, aber ich will eine Runde fahren." Pünktlich um neun Uhr haben die Ingenieure ein Einsehen: Antonelli setzt seinen Helm auf und klettert langsam ins Auto.
Neun Minuten später nehmen die Mechaniker die Reifenwärmer ab, der Druck steigt, Antonellis Hände zittern ein wenig. Dieser Moment ist der Höhepunkt eines Lebenswerks, das noch kurz, aber definitiv intensiv ist. Papa Marco (der als harter Kerl bekannt ist) kann einen Anflug von Rührung nicht verbergen, dann schiebt er alles beiseite und bereitet sich darauf vor, die Zeiten mitzuschreiben.
Beeindruckender Umgang mit schwierigen Streckenverhältnissen
Er beendet den ersten Run, der nur wenige Runden umfasst, und es folgt eine kurze Besprechung mit den Ingenieuren. Es ist beeindruckend, wie schnell und präzise der 17-Jährige die Fragen der um ihn versammelten Ingenieure beantwortet. Dann macht er eine Pause.
Fotostrecke: Andrea Kimi Antonelli: Sein Weg in die Formel 1
2019 nimmt Mercedes mit Andrea Kimi Antonelli einen Teenager unter Vertrag und in sein Nachwuchsprogramm auf. Der Italiener ist gerade mal 13 Jahre alt und zunächst noch einige Saisons lang im Kartsport aktiv, das aber sehr erfolgreich: Antonelli wird mehrfach Europameister. Erst mit 16 ... Fotostrecke
"Es ist so cool ... Egal, wie schwierig die Bedingungen sind, man spürt sofort: Je mehr du Gas gibst, desto tiefer bleibt das Auto. Wenn du aus der Kurve kommst, merkst du, dass du schneller hättest fahren können, und dann das Bremsen, der Grip in den Kurven trotz der Regenreifen ist verrückt, mamma mia."
Eine Brioche, ein Orangensaft und zurück ins Auto. Am Ende des zweiten Runs lachen die Ingenieure, vor allem Riccardo Musconi, der Ingenieur aus Imola, der das Testteam leitet. Sie zeigen Antonelli die Onboard-Bilder, die von der am Auto montierten Kamera heruntergeladen werden, und Antonelli nimmt ihre Kommentare vorweg: "Ich glaube, hier bin ich zu weit rausgekommen", sagt er lächelnd, und die Ingenieure können angesichts dieser Aufrichtigkeit nur nicken.
Ein spontaner Ausflug auf die Rennstrecke mit dem Straßenauto
Es ist zu beobachten, wie Antonellis Gesichtsausdruck bei den weiteren Fahrten immer ruhiger wird. Seine Hände zittern nicht mehr und er beginnt, den Moment zu genießen. Die Mittagspause kommt und es beginnt zu schneien. Aber Antonelli will nicht aufhören. Er nutzt die Pause und fragt, ob er ein paar Runden mit dem Straßenauto seines Vaters Marco drehen darf. "Was meint ihr, wenn ich ein paar Runden drehe, wird dann jemand sauer?"
Nach er das Okay bekommen hat, steigt er mit seinem Vater ins Auto und geht auf die Strecke. Marco Antonelli hat schon viel mehr Asphalt abgefahren als Kimi, eine Erfahrung, die es ihm erlaubt, die richtigen Ratschläge für die sehr schwierigen Streckenbedingungen zu geben.
Die beiden tauschen sich über die Streckenführung aus, welche Randsteine man nehmen und welche man meiden sollte, und dann bremst Kimi vor Kurve 4 etwas zu spät. Sein Vater sieht die Gefahr, im Kiesbett zu landen, und warnt ihn eindringlich: "Pass auf! Wir werden uns hier noch eingraben und dann sehen wir scheiße aus..." Kimi lacht: "Ich glaube, du hast zu viel Angst, was?"
Ein Teenager auf dem Weg zum professionellen Rennfahrer
Nach ein paar Runden, nach denen die Reifen nach einer Pause schreien, geht es zurück an die Box. Es schneit weiter, das Programm wird auf den nächsten Tag verschoben. "Hast du gesehen, ob meine Eltern aufgeregt waren?", fragt mich Antonelli. Als er eine positive Antwort bekommt, gibt er zu, dass er es auch war. "Gestern Abend beim Abendessen habe ich es vielleicht noch nicht gemerkt, aber heute... als sie das Auto für den ersten Run heruntergelassen haben, war es eine Mischung aus Spannung und Freude."
Die Feuertaufe ist vorbei. Die Eltern verabschieden sich von ihrem Sohn und machen sich mit dem Auto auf den Weg, um am nächsten Tag an der Rennstrecke von Mugello zu sein, wo das Familienteam in der italienischen Formel-4-Meisterschaft antritt.
Antonelli bereitet sich auf den zweiten Testtag vor, an dem ihm das Wetter eine Atempause gönnt, und er endlich zum ersten Mal mit Trockenreifen fahren kann. Er lächelt, mit seinen 17 Jahren ist Antonelli zugleich ein Mann und ein Junge. Auf der einen Seite der Profi, der Mercedes überzeugt hat, ihm eine Chance zu geben, die in der Welt des Motorsports sehr selten ist. Auf der anderen Seite ein 17-Jähriger (im August wurde er 18), der immer auf dem Boden bleibt.
Fazit eines lehrreichen Tages am Steuer eines Formel-1-Wagens
"Weißt du, was ich nach diesem Tag verstanden habe? Ich habe verstanden, warum tausend Leute daran arbeiten, ein Formel-1-Auto auf die Strecke zu bringen", sagt er. "Ach, und schick mir das Video, das du gemacht hast, als ich meinen Vater erschreckt habe!"
Dann macht er sich in seinem perfekt sitzenden schwarzen Overall auf den Weg zur letzten technischen Besprechung des Tages.