Wissen Sie, wo Red Bull falsch abgebogen ist, Helmut Marko?
Interview mit dem Motorsportkonsulenten von Red Bull: Warum der RB20 eine Diva ist und welcher der personellen Abgänge besonders wehtut
(Motorsport-Total.com) - "Wir haben erkannt, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind." Helmut Markos Bestandsanalyse nach 16 von 24 Rennwochenenden der Formel-1-Saison 2024 ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits suggeriert sie, dass Red Bull inzwischen erkannt hat, dass man sich in der technischen Weiterentwicklung des RB20 auf einem Irrweg befindet. Andererseits hat das Team um Technikchef Pierre Wache bisher offenbar noch keine Lösung gefunden, mit der man auf die Siegerstraße zurückkehren könnte.
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Helmut Marko hofft, dass Red Bull bald ein technischer Durchbruch gelingt Zoom Download
"Wir arbeiten mit allem Nachdruck dran, da wieder hinzukommen", sagt Marko in einem Interview mit Motorsport-Total.com. "Wir hatten am Jahresbeginn drei Doppelsiege und ein Auto, mit dem viele angenommen haben, dass es den nächsten Durchmarsch geben wird. Aber dann haben wir festgestellt, dass dieses Auto eine kleine Diva ist, um es mit den Worten von Toto Wolff zu formulieren."
Der RB20 sei "unvorhersehbar" und verhalte sich von Rennwochenende zu Rennwochenende anders, erklärt Marko. Dass das Team erkannt hat, falsch abgebogen zu sein, lässt jedoch die Vermutung zu, dass eine Lösung für die Probleme schon um die Ecke sei. Eine Vermutung, die Marko schweren Herzens entkräften muss: "Wenn wir genau wüssten, woran es liegt, hätten wir es schon behoben."
"Mit diesen 'Ground-Effect-Cars' ist die Fahrwerksabstimmung sehr komplex geworden. Man nimmt irgendeine Änderung vor, und das Gesamtkonzept reagiert sofort drauf. Und zwar so, dass zum Beispiel die Reifen sehr schnell Graining entwickeln. Das ist, was Max meint. Weil die Wettbewerbsfähigkeit nicht mit einer kleinen Änderung geringfügig abnimmt, sondern weil sie mit einem Schlag weg ist, wenn irgendwas nicht hundertprozentig passt."
Ground-Effect: Was sich in der Formel 1 verändert hat
Dazu muss man wissen: Die Formel 1 ist seit Einführung der "Ground-Effect-Cars" zur Saison 2022, die einen sehr großen Anteil ihres aerodynamischen Anpressdrucks über den Unterboden generieren, für die Ingenieure unberechenbarer und komplexer geworden.
War es davor so, dass aerodynamische Zugewinne im Windkanal sich in der Regel 1:1 auf die Rennstrecke übertragen ließen, ist es heute so, dass ein Team mit einem Update manchmal zwar theoretisch mehr Anpressdruck erreichen kann, das Auto in der Praxis aber sogar langsamer wird, weil plötzlich "Bouncing" auftritt oder die Balance nicht mehr stimmt.
"Grob kann man das so sagen", nickt Marko. Daher habe es "momentan auch keinen Sinn, dass man Updates mit mehr Downforce bringt, solange wir das Grundproblem des Autos nicht gelöst haben". Und das ist gar nicht so einfach, weil Red Bulls Diva von Wochenende zu Wochenende an anderen Symptomen leidet. Je nach Streckencharakteristik.
Diese Komplexitäten der modernen Formel 1 hat momentan eigentlich nur ein Team im Griff, das auf nahezu allen Strecken konstant konkurrenzfähig ist: McLaren. "Die funktionieren unter allen Bedingungen, auf jeder Strecke, mit jedem Reifentyp", blickt Marko neidisch auf die Konkurrenz.
Marko: Rob Marshalls Weggang schmerz
Von außen betrachtet liegt der Verdacht nahe, dass Red Bull langsam anfängt, die personellen Abgänge der jüngeren Vergangenheit zu spüren. Bereits 2021 verließ Dan Fallows, damals Head of Aerodynamics, das Team, um ab 2022 Technischer Direktor bei Aston Martin zu werden. Und im Mai 2023 wurde bekannt, dass Rob Marshall zu McLaren wechselt. Er war zu dem Zeitpunkt Red Bulls Chief Engineering Officer.
Marshall gilt als der Mann, der bei Renault einst den legendären Schwingungstilger entwickelt hat, und seine Ankunft bei McLaren korreliert zeitlich mit dem plötzlichen Aufschwung des Teams. Marko räumt, im Nachhinein betrachtet, ein: "Rob Marshall ist sicher ein guter Ingenieur, der bei uns gute Arbeit geleistet hat."
Und dann ist da natürlich noch Adrian Newey, der technische Übervater, das Genie, der Mann für die Geistesblitze, die Red Bull aktuell fehlen. Es gibt viele im Paddock, die der Meinung sind, dass Newey als gelernter Renningenieur gerade in einer Phase wie jetzt helfen könnte. Doch von Red Bull wird sein Weggang kleingeredet.
Man sei nie von einer einzelnen Person abhängig gewesen, und das Ingenieursteam um den aktuellen Technischen Direktor Pierre Wache sei in der Breite stark genug, um Neweys Weggang aufzufangen. Doch Tatsache ist: Seit Newey weg ist, hat in der Formel 1 eine Wachablöse stattgefunden. Jetzt ist McLaren Branchenführer, und nicht mehr Red Bull.
Vor der Herbstpause der Formel 1 2024 stehen mit Baku und Singapur noch zwei Stadtkurse auf dem Programm, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten. 2023 war Singapur für Red Bull ein schwieriges Pflaster. Aber Sergio Perez glaubt: "Im Moment, mit dem Paket, das wir haben, könnten das unsere besten zwei Strecken sein."