Formel-1-Technik 2024: Wie der Mercedes W15 weiter eigene Wege geht
Das Gesamtkonzept mag nun Red Bull entsprechen, doch Mercedes setzt in der Formel 1 weiter auf eigene Lösungen - Die erste Version des W15 unter der Lupe
(Motorsport-Total.com) - Natürlich ist es in der Formel 1 Mode, sich am Konzept des erfolgreichsten Autos seiner Zeit zu orientieren. So heißt es immer wieder, dass alle Formel-1-Teams bei den Seitenkästen den Red-Bull-Weg eingeschlagen hätten. Vom Grundkonzept her mag das stimmen - Red Bulls "Downwash"-Konzept hat sich gegenüber dem konservativen "Inwash" und Mercedes' Zeropods als überlegen erwiesen.
Doch der Mercedes W15 zeigt, dass es sich nicht nur um eine Kopie des Red-Bull-Konzepts handelt. Mercedes will Weltmeister werden - da reicht es nicht, ein Auto aus dem Vorjahr zu kopieren.
Natürlich hat der revolutionäre Frontflügel die Blicke auf sich gezogen, aber es gibt zwei Bereiche, in denen Mercedes sehr weitreichende Änderungen vorgenommen hat, die den Flügel in den Schatten stellen. Vor allem im Bereich rund um das Cockpit und den Seitenkasteneinlass hat Mercedes einiges anders gemacht und dabei auf die Erfahrungen mit der B-Version des W14 zurückgegriffen.
Die zentrale Änderung am W15 ist das nach hinten versetzte Cockpit. Lewis Hamilton hatte sich während der Saison 2023 teilweise lautstark über die Position des Cockpits beschwert. Seiner Meinung nach lag es zu weit vorne - eine Folge des Zeropod-Konzepts, bei dem das breite Cockpit möglichst weit von den nicht mehr vorhandenen Seitenkästen entfernt sein musste.
Mercedes rückte das Cockpit beim W15 um rund 100 Millimeter nach hinten. Das erforderte große Änderungen am Chassis und am Tank. Optisch fällt sofort auf, dass der Seitenaufprallschutz (SIS) als optisches Element nicht mehr sichtbar ist.
Es war ein "Carryover"-Effekt vom Zeropod-Konzept, dass sich der nach außen ragende Stift - natürlich aerodynamisch verkleidet - vor dem Einlass in den Seitenkasten befand. Jetzt ist er einfach Teil des Seitenkastens und nicht mehr als separates Teil erkennbar.
Die Rückversetzung des Cockpits hat einen Vorteil: Das Fahrzeug wird am Übergangsbereich von Chassis zum Unterboden deutlich schmaler. Das schafft an einer wichtigen Stelle zusätzlichen aerodynamischen Spielraum.
Auch der Einlass in den Seitenkasten ist keine einfache Red-Bull-Kopie. Stattdessen setzt Mercedes auf einen P-förmigen Einlasskanal, dessen unteres Ende gleichzeitig weiter nach vorn gerückt ist. Das schafft maximalen Platz für die Einbuchtung über dem Unterboden, um möglichst viel Luft nach hinten in Richtung Diffusor zu schaufeln.
Der Unterboden selbst ähnelt in vielerlei Hinsicht noch der Version aus der Endphase der Saison 2023. Hier ist noch viel Entwicklungsarbeit zu erwarten. Schließlich muss die Aerodynamik an dieser Stelle noch an das neue Gesamtkonzept angepasst werden.
Die "Rutsche" auf der Oberseite des Seitenkastens ist eher dezenter Natur und weit weniger radikal gestaltet als Lösungen, wie wir sie beispielsweise bei Aston Martin in der Saison 2023 gesehen haben. Mercedes setzt weiterhin auf eine vergleichsweise breite Rutsche, die ebenfalls an die eigene Lösung von 2023 erinnert.
Weit weniger martialisch wirkt die seitliche Motorabdeckung. Der dicke Wulst wurde stark geglättet und wirkt nun deutlich weniger dominant. Das Konzept mit einer Zwischenebene, die sich vom Ende des Halos bis zum Kühlauslass über dem Auspuff erstreckt, wurde jedoch beibehalten. Diese Lösung hat sich in der Formel 1 universell durchgesetzt. Der Kühlauslass strömt direkt zum Beam-Wing.
Pushrod-Aufhängung
Im Heckbereich hat Mercedes eine Änderung vorgenommen, die nach den Präsentationen des Williams FW46 und des Aston Martin AMR24 erwartet worden war. Beide Teams beziehen ihre Antriebskomponenten von Mercedes-Benz.
Konkret handelt es sich um eine Pushrod-Aufhängung. Diese Modifikation erfordert Kompromisse beim mechanischen Grip. Sie schafft aber Raum für neue aerodynamische Möglichkeiten. Die hier erzielten Vorteile können den mechanischen Nachteil mehr als ausgleichen.
Durch die Pushrod-Anordnung ergeben sich neue Designfreiheiten im Bereich des Unterbodens, des Diffusors und für die Aufbauten auf der Oberseite des Unterbodens. Die zu erwartenden Vorteile müssen groß sein, sonst hätte Mercedes nicht das gesamte Heckkonzept umgestellt.
Beim Heckflügel hat Mercedes eine neue Richtung eingeschlagen. In der Saison 2023 ging es vor allem darum, die abgerundeten Ecken am Übergang zum oberen Flügelblatt loszuwerden und dieses damit freizulegen. Es gab zwei Wege, einen von Aston Martin und einen von Alpine. Beide hatten beim Grand Prix von Monaco ihre Lösungen präsentiert.
Mercedes hatte sich zunächst der Lösung von Aston Martin angeschlossen und in Zandvoort einen neuen Heckflügel gebracht. Nun hat man aber das Konzept geändert und ist auf die Alpine-Lösung umgeschwenkt.
Frontflügel und Vorderradaufhängung
Im Fahrerlager wird vor allem über das revolutionäre Frontflügeldesign des Mercedes W15 diskutiert, über das wir bereits berichtet haben. Mercedes bleibt beim Frontflügel seiner 2023er-Linie treu, "Outwash" zu erzeugen, also den Luftstrom um den Frontflügel herum zu leiten. Die Flaps wurden überarbeitet, um sie an die neue, kürzere Nase anzupassen.
Die Vorderradaufhängung wurde an das neue aerodynamische Konzept angepasst und basiert weiterhin auf dem Pushrod-Prinzip. Ebenfalls beibehalten wurde die hohe Befestigung des vorderen Teils des oberen Querlenkers. Die alte Anordnung des W13 und der ersten Version des W14 gehört der Vergangenheit an.
Gerade beim Frontflügel gilt es natürlich, die Updates bei den Testfahrten abzuwarten.